Ein Kupferstich von 1564 zeigt von Tanzwut Betroffene auf einer Wallfahrt.

Tanzen bis zum Tod: Die Straßburger Tanzwut von 1518

Vor 500 Jahren verfielen Hunderte Menschen in Straßburg einer mysteriösen Choreomanie. Wochenlang tanzte die Menge, viele starben an Erschöpfung. Über die Ursache wird bis heute gerätselt.

Ein Kupferstich von 1564 zeigt von Tanzwut Betroffene auf einer Wallfahrt.

Foto von Pieter Bruegel der Ältere / Gemeinfrei, Wikimedia Commons
Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 21. März 2025, 07:39 MEZ

Im Juli 1518 kommt es in Straßburg, im heutigen Frankreich, zu einem rätselhaften Phänomen: Eine Frau namens Troffea beginnt ohne ersichtlichen Grund auf offener Straße wild zu springen und zu tanzen. Dutzende schließen sich ihr in den folgenden Tagen an. In den Wochen darauf – bis Ende August – füllen sich die Straßen und Gassen der Stadt mit bis zu 400 tanzwütigen Menschen, die sich nicht beruhigen lassen. Einige von ihnen tanzen bis zur völligen Erschöpfung, andere sogar bis zum Tod. 

Die sogenannte Straßburger Tanzwut ist eine der berühmtesten Choreomanien Europas. Diese Tanzepidemien, bei denen große Gruppen von Menschen offenbar willenlos tanzten, bis sie zusammenbrachen, traten zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert häufiger auf. Mehr als 80 Choreomanien sind aus dem mittelalterlichen Europa bekannt, einige davon sogar aus Deutschland. Bis heute sind die genauen Ursachen für das seltsame Massenphänomen unklar. Die Theorien reichen von Besessenheit bis zum Biss einer giftigen Spinne. 

Wie kamen Choreomanien zustande?

Das 16. Jahrhundert war eine Zeit großer sozialer und wirtschaftlicher Unsicherheit. Hungersnöte, gewaltige Pest-Ausbrüche und religiöser Fanatismus prägten das Leben der Menschen in Westeuropa. Einige Historiker*innen vermuten, dass diese Krisen einen fruchtbaren Boden für Massenhysterien bereiteten.

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Laut Michaela Schäuble, Sozialanthropologin an der Universität Bern, interpretierte die mittelalterliche Kirche Tanzwut auf ganz andere Weise: als teuflische Besessenheit oder religiöse Hysterie. In einem Artikel, der in der Zeitschrift uniFOKUS erschienen ist, schildert Schäuble, wie versucht wurde, die Tanzwütigen mit der Anrufung der Heiligen Veit und Antonius zu beruhigen. Der Heilige Veit wird mit der Heilung von Epilepsie, Tollwut oder Schlangenbissen in Verbindung gebracht, Antonius, der Eremit, ist wiederum der Schutzpatron für Menschen mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Choreomanien wurden nach diesen Heiligen auch Veitstanz oder Antoniusfeuer genannt. 

Medizinhistoriker*innen vermuten hinter der Tanzwut eine Gehirnerkrankung – konkret Epilepsie oder Chorea Huntington. Letztere wurde im Volksmund aufgrund ihrer Symptome zunächst auch als Veitstanz bezeichnet. „Die Bewegungsstörungen bei Chorea Huntington machen sich meist durch unwillkürliche Bewegungen, etwa von Kopf, Händen, Armen, Beinen, Rumpf [...] bemerkbar. Charakteristisch ist der tänzelnde Gang“, heißt es in einem Beitrag des Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE). Ansteckend sind jedoch weder Epilepsie noch Chorea Huntington. Dass die Tanzwut so viele Personen gleichzeitig befiel, lässt sich mit dieser Theorie also nicht erklären.

Eine andere mögliche Ursache für die krampfartigen Bewegungen der Tanzwütigen könnte eine Mutterkornvergiftung gewesen sein. Der Mutterkorn-Pilz ist hochgiftig und befällt Getreide wie Roggen, Weizen, Gerste, Hafer und Dinkel. Vergiftungen traten zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert oft als Begleiterscheinung von Hungersnöten auf, während derer die ärmere Bevölkerung ungereinigtes Getreide essen musste. Neben Krämpfen zählen auch Halluzinationen zu den Symptomen. 

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    In dieser europäischen Zeichnung aus der Mitte des 14. Jahrhunderts tragen Dorfbewohner die Särge von Pestopfern.

    Eventuell war aber auch ein Tier für die Straßburger Massenhysterie verantwortlich: Laut Schäuble ließ der Biss der Wolfsspinne, die damals weit verbreitet war, Betroffene wild herumspringen. Man glaubte außerdem, dass das Gift durch Tanzen schneller aus dem Körper verschwinden würde. Aus diesem Glauben entwickelte sich Anfang des 17. Jahrhunderts schließlich auch die Tarantella – ein schneller italienischer Volkstanz, der beim Stich einer Tarantel zum Einsatz kam. 

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    Aufbauend auf den Erfahrungen, die man mit Spinnenbissen gemacht hatte, ließ man auch die Menschen in Straßburg zunächst bis zur Erschöpfung weitertanzen. Die städtische Obrigkeit baute den Tanzwütigen sogar eine Bühne und ließ Musik für sie spielen. Geholfen hat das allerdings nicht. 

    Nach mehreren Wochen und sich häufenden Todesfällen pilgerte man mit den Betroffenen zur Veitskapelle im elsässischen Saverne, rund 40 Kilometer von Straßburg entfernt. Nach einer Messe, in denen den Tanzwütigen spezielle Schuhe tragen mussten, sollen sie wieder zu Sinnen gekommen sein. „An den Schuhen war unten und oben ein creutz mit Balsam aus Salböl gemacht und mit weywasser besprengt in St. Veits namen, das halff ihn’ vast allen“, schreibt der mittelalterliche elsässische Ingenieur und Baumeister Daniel Specklin in einer Chronik

    Ob dieser Prozess einen psychologischen oder religiösen Effekt hatte oder die Heilung schlicht auf kollektive Erschöpfung zurückzuführen ist, bleibt bis heute ein Rätsel. Fest steht jedoch: Die Tanzwut von 1518 ist eines der bizarrsten Massenphänomene der Geschichte.

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