Traufkinder: Das Schicksal ungetaufter Kinder in der frühen Neuzeit
Über viele Jahrhunderte war der Glaube fest, dass Ungetaufte nur schwer in den Himmel kommen. Das galt auch für Säuglinge, die vor ihrer Taufe verstarben. Helfen sollte ein Trick bei der Beerdigung.

Ungetaufte Kinder durften in der frühen Neuzeit offiziell nicht auf geweihten Friedhöfen bestattet werden – ein Trick sollte sie dennoch in den Himmel bringen.
In der frühen Neuzeit (1600-1800 n. Chr.) war die gängige Lehrmeinung der Kirche, dass Ungetaufte nach ihrem Tod nicht in den Himmel gelangen. Das galt auch für Säuglinge und Kinder: Starben sie vor der christlichen Taufe, so war nicht nur ihr Seelenheil gefährdet, sie durften auch auf den geweihten örtlichen Friedhöfen nicht bestattet werden. Aus diesem Grund, so der damalige Glaube, kamen ungetaufte Kinder nach ihrem Tod ins sogenannte ,Limbus puerorum‘, einem Ort zwischen Himmel und Hölle.
Die Lösung: Kinder, die einen tragisch frühen Tod starben, wurden nahe der örtlichen Kirche bestattet, unter der sogenannten Traufe, also der unteren Kante des Kirchdaches. Dieser Ruheort sollte den ,Traufkindern‘ eine letzte Möglichkeit bieten, doch noch in den Himmel zu kommen.
Geweiht durch die Traufe
Erklärungen für diese Praxis gibt es gleich zwei. Zum Einen hoffte man, den Kindern ihr Seelenheil durch die Nähe zum Gotteshaus wiedergeben zu können. Der Gedanke war, dass die Seelen der Toten von dem Heiligen, der am Tag des jüngsten Gerichts für die Kirche zuständig ist, direkt mitgenommen würden.
Die zweite Erklärung passt zur Namensgebung: Durch die Bestattung unter der Traufe legte man die Kinder an dem Ort nieder, an dem Wasser vom Kirchdach auf den Boden tropft. Man glaubte, dass dieses tropfende Regenwasser durch die Weihung des Wassers innerhalb der Kirche indirekt ebenfalls zu Weihwasser wurde – und die Kinder so nachträglich noch vom Traufwasser getauft werden konnten.
Traufkinder in Eschwege
Der jüngste Fund solcher nahe der Kirche bestatteten Kinderskelette wurde im Februar 2025 in Eschwege gemacht. Dort grub ein Forschungsteam unter der Leitung der Archäologin Anja Rütter Überreste von 30 Säuglingen und Kindern aus, die unter der Traufe einer ehemaligen Kirche bestattet wurden. Laut dem Hessischen Rundfunk (HR) entdeckte das Team bei Grabungen im Rahmen von Bauarbeiten zunächst das alte Fundament der ehemaligen Kirche und daraufhin die Überreste der bestatteten Kinder.
Erste Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass die insgesamt 30 Kinder hauptsächlich im Alter von vier bis fünf Jahren starben. Aber auch Säuglinge und Neugeborene sind unter den Bestatteten. Laut Rütter waren unter den Skeletten sogar zwei, deren Beinstellung darauf hindeutet, dass sie bei ihrer Bestattung Windeln getragen haben. „Das ist wirklich ein bisschen traurig“, so die Archäologin gegenüber dem HR. „Um die hat vor 400 Jahren mal jemand wirklich geweint.“
Begraben wurden die Kinder wohl über mehrere Jahrhunderte hinweg, vom späten Mittelalter bis in die frühe Neuzeit hinein. Das Team betont, dass die Praxis vermutlich vor allem Trost für die hinterbliebenen Eltern spenden sollte, die um ihre verstorbenen Kinder durch die fehlende Taufe besonders viel Angst hatten.
