Archäologie und Ethik: Sollten Tote ausgestellt werden?
Von einzelnen Knochen bis hin zu gut erhaltenen Mumien: Wie vertretbar ist es, menschliche Überreste öffentlich zu präsentieren – und wen dürfen Archäologen überhaupt ausgraben?

Ötzi ist eine der bekanntesten Mumien der Welt. Der Mann, der vor über 5.000 Jahren starb, ist so gut erhalten, dass ihn Besucher*innen des Südtiroler Archäologiemuseums bis heute anschauen können.
Alte Mumien in Ägypten, versteinerte Tote in Pompeji oder Knochen und Schädel von Pestfriedhöfen – bei archäologischen Ausgrabungen spielen menschliche Überreste oft eine große Rolle.
Wie die Forschungsdisziplin mit den Toten, die sie ausgräbt, umgeht, hat sich im Laufe der letzten Jahrhunderte stark verändert. Während frühe Archäologen die Toten noch relativ rücksichtslos aus ihren Gräbern beförderten, wird mittlerweile stark auf ethische Grundsätze beim Umgang mit menschlichen Überresten geachtet. Besonders heiß diskutiert wird dabei die Frage, ob Tote überhaupt noch ausgestellt werden sollten – in Form von Mumien, einzelnen Knochen oder Schädeln.
Warum werden Tote ausgegraben?
Generell graben Archäolog*innen menschliche Überreste meist aus, um die Lebens- und Todesumstände der Toten aufzuarbeiten. Gerade ältere Überreste können beispielsweise Informationen zur Todesursache oder zum allgemeinen Gesundheitszustand der Menschen liefern, die anderweitig nicht aufgezeichnet sind, sagt Claudia Theune vom Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie der Universität Wien.
„Durch die Untersuchung von Knochen kann man also neue Sichtweisen auf bestimmte Ereignisse bekommen“, sagt Theune. So beispielsweise bei Ausgrabungen am Austragungsort der Schlacht bei Wagram, die im Rahmen der Napoleonischen Kriege stattfand. Anhand der Skelette der toten Soldaten habe man herausgefunden, dass diese bei der Schlacht in einem schlechten Gesundheitszustand waren und die Versorgungssituation in Bezug auf Essen und medizinische Versorgung unzureichend war.
Durch die Ausgrabung von Massengräbern könne man außerdem Krankheitswellen dokumentieren oder Kriegsgeschehen und Verbrechen aufdecken sowie Tote identifizieren und ihnen einen Namen geben.

Die sogenannte Mumie aus der Barfüsserkirche wurde vor 50 Jahren in der Kirche in Basel gefunden. Mittlerweile konnte die Tote als Anna Catharina Bischoff identifiziert werden, eine Frau, die vor etwa 250 Jahren starb und in einem Sarg in einem Schacht der Kirche bestattet wurde. Mumifiziert wurde sie auf natürlichem Wege durch die Gegebenheiten in und um den Sarg. Bei ihr entschied man sich vor einigen Jahren, Genitalien und Brustbereich mit Tüchern zu bedecken, um der Toten Respekt zu zollen.
Oberstes Gebot ist bei den Ausgrabungen in jedem Fall, mit den Überresten verantwortungsvoll umzugehen, so Theune. „Die Ethik bekommt in der Archäologie einen immer größeren Stellenwert“, sagt die Archäologin. Die ethischen Grundsätze gelten dabei für alle Toten – ganz egal, ob sie vor 80 oder 8.000 Jahren verstorben sind.
Sollte man Tote ausstellen?
Bei der Frage, ob man menschliche Überreste ausstellen darf, gehen die Meinungen in der Forschungsgemeinschaft allerdings auseinander.
Claudia Theune betont, dass man Tote vor allem dann nicht ausstellen sollte, wenn dabei die Sensation im Vordergrund steht. Die Darstellung des Massengrabes von Lützen im Rahmen der Ausstellung Krieg. Eine archäologische Spurensuche sieht sie beispielsweise kritisch. Damals wurden die Überreste von 47 Soldaten auf einer großen Wand drapiert – ähnlich wie sie während des Dreißigjährigen Krieges ins Grab geworfen wurden. „Ich fand das ziemlich schrecklich anzusehen“, sagt Theune. Harald Meller, Landesarchäologe in Sachsen-Anhalt, nannte diese Darstellung hingegen „das bedeutendste Antikriegsdenkmal, das man sich überhaupt vorstellen kann.“
Ausstellen von Mumien und Moorleichen
Noch heißer wird die Diskussion in Bezug auf Mumien und Moorleichen, bei denen Gesichtszüge noch relativ gut erkennbar sind. Erst im März 2025 hat der Kulturminister Spaniens, Ernest Urtasun, in dieser Debatte eine radikale Entscheidung getroffen. Überreste des Homo Sapiens sollen in Spaniens staatlichen Museen nur noch in Ausnahmefällen ausgestellt werden. Mumien sollen vor allem dann aus den Ausstellungen verschwinden, wenn über sie nur wenig bekannt ist und der Kontext, aus dem die Mumie stammt, nicht ausreichend erklärt würde.
Für den Mumienforscher Albert Zink, der unter anderem die Eismumie Ötzi erforscht, geht dieser Schritt hingegen zu weit. Seiner Meinung nach verwehrt das Verbannen von Mumien aus Museen Besucher*innen einen wertvollen Einblick in das Kulturerbe. Gegenüber dem BR-Podcast IQ betont aber auch er, dass die Toten dabei nicht sensationslüstern zur Schau gestellt werden sollten. Stattdessen solle Interessierten anhand der Mumien ein möglichst klares Gesamtbild des Menschen geliefert werden. Ötzi zeige man deshalb im Kontext mit seinen Waffen und seiner Kleidung – so, wie er im Eis aufgefunden wurde.
Umgang mit jüngeren Skelettfunden
Bei anonymen Skeletten von Menschen, die in den letzten 80 bis 200 Jahren gestorben sind, oder bei Massengräbern, die in diesem Zeitraum angelegt wurden, ist die Sache klarer. Bei ihnen steht vor allem die Identifikation im Vordergrund. „Jüngere Überreste werden auch ausgegraben, um ihnen eine würdige Bestattung zu geben“, sagt Theune. Dabei handele es sich meist um Menschen, die im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen gestorben sind.
