Chinas sagenhafte Terrakotta-Krieger
Mehr als 6000 Krieger aus Ton ließ sich Chinas erster Kaiser vor 2200 Jahren vor sein Grabmal stellen. Jeder einzelne war lebensecht und in prachtvollen Farben gestaltet.
In einer Grube, dort, wo sich einst die Dattelpflaumen-Plantage ihres Dorfs erstreckte, sind drei Frauen über ein Puzzle der Superlative gebeugt. Yang Rongrong, eine fröhliche 57-Jährige mit Pagenschnitt, wendet in ihren schwieligen Händen eine gezackte Scherbe hin und her, dann fügt sie das Stück in die Figur vor ihr ein. Passt! Ihre Kolleginnen lachen und murmeln anerkennend. Diese entspannte Arbeitsszene in Zentralchina ist Teil eines der größten archäologischen Projekte des Landes. Nahe der Millionenstadt Xi’an helfen Yang und die anderen Frauen dabei, das Rätsel der 2200 Jahre alten Terrakotta-Armee zu lösen. Des berühmten – und immer noch kaum erforschten – Grabkomplexes des ersten chinesischen Kaisers Qin Shi Huangdi.
Normalerweise brauchen die drei Frauen viele Tage, um einen Haufen Tonscherben wieder zu einem lebensgroßen Krieger zusammenzufügen. Heute gelingt es ihnen in wenigen Stunden. «Dabei bin ich nicht einmal besonders begabt», sagt Yang, die seit 1974 hier arbeitet, und lächelt bescheiden.
Damals entdeckten Bauern aus dem Dorf Xiyang beim Brunnenbau für ihre Obstplantage einen modellierten Kopf. Dann weitere Bruchstücke von Tonfiguren. «Fast jeder der seither ausgegrabenen Krieger ist durch meine Hände gegangen», erklärt die Frau und begutachtet das letzte Fundstück dieses Tages, einen Kopf. Unter einer schützenden Plastikfolie sind rötliche Farbflecken erkennbar: ein klarer Hinweis auf die einstige Pracht der Terrakotta-Krieger. Die Figuren werden seit vielen Jahren von chinesischen und deutschen Wissenschaftlern erforscht. Heute geht es vor allem um zwei Fragen: Wie wurden sie einst bemalt? Und wie kann ihre Farbe dauerhaft erhalten werden?
Das Geheimnis der Terrakotta-Armee
Qin Shi Huangdi, Kaiser von 221 bis 210 v. Chr., war ein Tyrann – aber auch ein Reformer. Er eroberte benachbarte Regionen und schuf ein geeintes Reich. Überdies ließ er nicht nur die ersten Teilstücke der Chinesischen Mauer errichten, sondern standardisierte auch die Schrift, die Währung, die Maße und Gewichte. Eine festgelegte Wagenspurbreite erleichterte fortan die Transporte. Vom Namen seiner Dynastie Qin – sie wird „Tschin“ ausgesprochen – leitet sich vermutlich das Wort China ab.
Vor allem aber bereitete sich der Kaiser auf das Jenseits vor. Angeblich befahl er schon als König des Qin-Reichs den Bau eines 90 Quadratkilometer großen Grabkomplexes – und einer ungewöhnlichen Beigabe: mehr als 6 000 lebensgroße Soldaten aus Ton. Diese Krieger aller Ränge und Waffengattungen waren mit realen Hieb- und Stichwaffen sowie Armbrüsten ausgestattet. Ihre Kleidung und Schutzpanzer entsprachen der Kleidung und Ausrüstung ihrer Zeit. Und sie waren sogar in Schlachtordnung aufgestellt. 700 000 Menschen sollen 30 Jahre lang an Bau und Ausgestaltung der Grabanlage beteiligt gewesen sein – ein Heer von Zwangsarbeitern und zu Frondiensten verpflichteten Bauern.
Die einfarbigen gräulichen Figuren, deretwegen jährlich Hunderttausende Besucher dieses Unesco-Weltkulturerbes nach Xi’an kommen, sind Ausdruck eines Größenwahns, der weit über das Reich des Sterblichen hinausreichte. Doch die Krieger, Pferde, Schlachtwagen für das Totenreich bildeten keine düstere Prozession. Im Gegenteil: Die Figuren prunkten in ihren ersten Jahren in leuchtend bunten Farben: Rot und Rosa, Blau, Lila und Grün. Es ist ungewiss, ob die Soldaten dieser Zeit so gekleidet waren; Uniformen gab es noch nicht.
Gegen Ende der Qin-Dynastie wurden die durch Holzbalken befestigten, unter meterdicker Erdschicht versteckten Gruben ausgeraubt und durch Feuer zudem stark beschädigt. Doch die meisten Farben gingen verloren, als die Tonfiguren bei Plünderungen oder vor allem den Ausgrabungen der vergangenen Jahrzehnte der Luft ausgesetzt wurden.
Bei ihrer Anfertigung waren die Terrakotta-Figuren zunächst mit einer Schicht von ostasiatischem Lack überzogen worden, den man aus dem Lackbaum gewann. Auf diese schwarzbraune Grundierung wurden aus Azurit, Malachit oder Zinnober gewonnene Pigmente aufgetragen, die mit Ei-Tempera und einem wässrigen Bindemittel gebunden wurden. Das Problem: Der darunterliegende Lack ist gegen fast alles resistent – außer gegen UV-Licht und zu große Trockenheit. Eine Untersuchung ergab, dass die Grundierung schon nach 15 Sekunden an der Luft feine Risse bekommt und nach wenigen Minuten abblättert. Bei den Ausgrabungen erleben die Wissenschaftler dann einen seltsamen Vorgang. «Man kann förmlich zusehen, wie sie sich zunächst aufrollt und dann ganz ablöst», sagt Erwin Emmerling, Professor für Restaurierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft an der Technischen Universität München.
Die Farben der Terrakotta-Armee
Glückliche Umstände und die aufwendige Entwicklung von Konservierungsmethoden führen nun dazu, dass man die ursprünglichen Farben der Terrakotta-Armee besser analysieren und konservieren kann. Eine drei Jahre dauernde Ausgrabung in Grube 1, der bekanntesten Stätte im Grabkomplex des Kaisers, hat mehr als hundert Soldaten zutage gebracht. Einige der Gesichter sind noch intakt, mit rosafarbener Haut, schwarzen oder braunen Augen, schwarzem Haar. Die am besten erhaltenen Figuren lagen ganz unten, zwei Jahrtausende lang konserviert durch feuchtes Erdreich.
Die letzte Grabung hier war 1985 abgebrochen worden, nachdem ein Arbeiter den Kopf eines Terrakotta-Kriegers gestohlen hatte. Der Dieb wurde hingerichtet.
In der nachfolgenden Zeit suchten chinesische Forscher sowie Restauratoren und Chemiker des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege, dann der Technischen Universität und der Ludwig-Maximilian-Universität München nach Wegen, die Farben zu retten – und stießen unter anderem auf das Lösungsmittel Polyethylenglykol (PEG). Diese Substanz, vermischt mit einem Klebstoff, dringt durch die Pigmentschicht und den Lack und lässt diesen, vereinfacht gesagt, wieder an der Figur haften.
Bei den jüngsten Ausgrabungen wurden die bemalten Fundstücke sofort mit diesem Mittel besprüht und in Plastik verpackt, um die schützende Feuchtigkeit zu bewahren. Die farbenprächtigsten Teile brachte man zusammen mit der sie umgebenden Erde zur weiteren Behandlung in das Labor des Museums. Zur allgemeinen Freude scheinen die modernen Methoden zum Erhalt der alten Farben Erfolg zu haben.
(Gekürzte Version! Den kompletten Artikel inklusive der erstmaligen, vollständigen Darstellung der Armee finden Sie in der aktuellen Juni-Ausgabe von NATIONAL GEOGRAPHIC.)
(NG, Heft 06 / 2012, Seite(n) 60 bis 81)
Dieser Artikel wurde am 29.09.2020 aktualisiert.
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