China gründet 10 neue Nationalparks für neues Artenschutzkonzept
Ein neues System soll Tieren und Menschen zugutekommen – aber das Abwägen zwischen Naturschutz und Tourismus birgt viele Herausforderungen.
Die wilden Landschaften der Hochebene von Tibet prägen den Sanjiangyuan-Nationalpark, der im Mai fertiggestellt wurde. China plant die Etablierung von zehn neuen Nationalparks bis Ende 2020.
GUANBA, CHINA Als ich letztes Jahr auf einer nebligen Straße entlangfuhr, die von einer steilen, bewaldeten Schlucht gesäumt war, schob sich mir plötzlich eine drei Meter hohe Wandmalerei eines Cartoon-Pandas ins Blickfeld. Sie erinnerte an eine Szene aus dem Film „Kung Fu Panda“. Ganz in der Nähe führte ein makelloser Betonweg zu einem neuen Gemeindezentrum im Herzen von Chinas neuem Riesenpanda-Nationalpark.
Die Fassade des zweistöckigen Zentrums aus glänzendem Holz und hellem Stein bildete einen auffälligen Kontrast zu Guanbas alternden Häusern, die mit bemoosten Dachziegeln gedeckt sind. Im Inneren präsentieren ein Miniatur-Naturmuseum und eine Bibliothek das Naturerbe der Region, insbesondere die Hauptattraktion: den Großen Panda.
Eine solche Tourismusinfrastruktur entsteht überall in den hochgelegenen Bambuswäldern der Provinz Sichuan. Dort soll der neue Pandapark bis zum Jahresende fertiggestellt werden. Er ist Teil eines ausgedehnten neuen Nationalparksystems mit zehn Pilotparks, die über zwölf Provinzen verteilt sind. Ihr Ziel ist nicht weniger als der Schutz der Lebensräume gefährdeter Arten. Das reicht vom Sibirischen Tiger an der russischen Grenze bis zu den letzten 30 Hainan-Schopfgibbons der Welt im tropischen Regenwald Südchinas.
Zwei Schneeleopardenjunge wurden im Sanjianyuan-Nationalpark von einer Infrarotkamera festgehalten. Die häufigen Sichtungen haben Einheimische dazu veranlasst, ein kleines Schneeleoparden-Ökotourismusprogramm auf die Beine zu stellen.
Das neue System vereint Hunderte von Schutzgebieten, die von verschiedenen Gemeinden und Provinzen verwaltet werden. Es zielt darauf ab, den Naturschutz unter der zentralen Autorität der neuen Nationalen Forst- und Grünlandverwaltung zu optimieren.
Diese Testparks, die bis Ende 2020 offiziell genehmigt werden sollen, umfassen bereits jetzt eine Fläche, die zwei Dritteln der Größe des US-Nationalparksystems entspricht. Der größte von ihnen, der Sanjiangyuan-Nationalpark in der Provinz Qinghai, ist etwa so groß wie Griechenland.
Obwohl China inmitten der COVID-19-Pandemie eine Konjunkturflaute erlebt hat, werde das Land wahrscheinlich an seinem Ziel festhalten, die Parks bis zum Jahresende fertigzustellen, sagt Rose Niu. Die Chef-Beauftragte für Naturschutz am Paulson Institute setzt sich seit 1997 für die Schaffung von Nationalparks in China ein.
Die Pandemie könnte zwar größere Investitionen in den Naturschutz hemmen, „aber die Etablierung von Nationalparks hat für die chinesische Regierung höchste Priorität“, sagt Niu. Im vergangenen August, als China seine erste Nationalparkkonferenz abhielt, gab Xi Jinping einen seltenen öffentlichen Brief heraus, in dem er das Projekt unterstützte.
Bei einem so ehrgeizigen Plan gibt es zwangsläufig Hürden. Zu den größten gehören zweifelsfrei die Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung und die Abwägung zwischen dem benötigten Tourismus und dem Schutz der Wildtiere.
So hat China zum Beispiel nur einem Bruchteil der 652.600 Menschen, die in den zehn Parks leben, eine freiwillige Umsiedlung angeboten. Stattdessen hofft die Regierung, dass die bestehenden Gemeinden den Ökotourismus begrüßen und das neue Netz von Schutzgebieten, das zum Teil dem US-amerikanischen Nationalparksystem nachempfunden ist, als Chance sehen.
Aber 99 Prozent der verarmten Bezirke Chinas befinden sich im Umkreis von knapp 100 Kilometern zu bereits bestehenden Naturschutzgebieten. Sie bilden die Grundlage der neuen Nationalparks. Damit diese Vision Erfolg haben kann, müssen das auch die Menschen, die auf das Land angewiesen sind, sagt Li Xinrui, der bei der Leitung einer Gemeindekooperative innerhalb des Guanba Community Nature Reserve hilft.
Ein Großer Panda läuft an einer Infrarotkamera vorbei, die im Guanba Community Nature Reserve von Rangern aufgestellt wurde. Die Region hat die höchste Dichte an wilden Pandas in China.
„Ob Schutzbemühungen wirksam sind oder nicht, hängt nicht davon ab, wie gut ein Naturreservat oder ein Nationalpark angelegt ist. Es hängt davon ab, ob sie die Lebensgrundlagen der Einheimischen verändert haben“, sagt Li. „Wenn das Volk ein gutes Einkommen und ein gutes Leben haben kann, dann werden die Schutzbemühungen zum Erhalt der Natur wirksam sein.“
Das erfordert oft Kompromisse. Als ich mit Li durch das Wanglang National Nature Reserve fuhr – eines der ersten Naturschutzgebiete, das China in den 1960ern zum Schutz des Pandas eingerichtet hatte – verwies er auf Kühe, die zu beiden Seiten der Straße um knorrige Bäume herum grasten.
Das Grasen innerhalb des bergigen Reservats – mittlerweile ein Teil des Pandaparks – sei eigentlich illegal, sagt er. Nutztiere hätten bereits bis zu einem Drittel des Panda-Habitats von Wanglang beschädigt. Aber in Anbetracht der Bedeutung der Viehzucht für die lokalen Gemeinden einigten sich die Hirten und die Regierung auf einen wackeligen Kompromiss: Oft drücken die örtlichen Beamten ein Auge zu, sofern die Weidenutzung nicht über die Stränge schlägt, sagt Li.
Ausbaufähiger Tourismus
Bereits jetzt arbeiten viele Menschen in chinesischen Naturschutzgebieten im Ökotourismus. Die Industrie erzielt einen Umsatz von drei Milliarden Dollar und begrüßt 128 Millionen Besucher pro Jahr.
Trotzdem gibt es noch viel zu tun.
So hat die Regierung bisher zum Beispiel keinen Plan zur Schaffung eines Camping- und Genehmigungssystems in den Wildnisbereichen, wie es in US-Parks vorhanden ist. Ein solches System könnte steuern, unter welchen Regeln die Menschen die Natur selbst erkunden und genießen können.
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Jennifer Turner, Direktorin des China-Umweltforums am Wilson Center, ergänzt: „Es gibt nicht einmal unmittelbare Pläne für die Einstellung von Nationalpark-Rangern.“ Einige Lokalregierungen stellen zwar Ranger ein, aber es gebe keine formelle Struktur oder Ausbildung für die verschiedenen Pilotprojekte, erläutert sie.
Hinzu kommt, dass Ökotourismus – per Definition Tourismus, der sowohl den Einheimischen als auch ihrer Umwelt zugutekommt – nur in einem Fünftel der Naturschutzgebiete Chinas betrieben wird.
Das wurde deutlich, als wir 2019 auf Patrouille mit neu angestellten Rangern im Shennongjia-Nationalpark in der Provinz Hubei unterwegs waren. Wir machten bei der Holzhütte eines örtlichen Honigbauern Halt. Die Imkerei wird von der Regierung als umweltfreundliche Beschäftigung gefördert.
Er lud uns bei sich zum Mittagessen ein: ein dampfender Gemüseeintopf mit Schweinebauch, serviert mit eingelegten Schnittbohnen und scharfen Gurken. Zum Dessert reichten wir ein Glas Honig herum und tauchten unsere Essstäbchen direkt in die goldene Honigwabe, während der Bauer uns stolz erzählte, dass sein Vorrat für den Sommer bereits ausverkauft sei.
Als ich mich nach dem Essen entspannte, war ich am Boden zerstört, als der Bauer mir sagte, ich sei der erste Ausländer im Tal, von dem er seit Jahrzehnten gehört habe.
Tourismus für Besucher und Einheimische
Aber es besteht die Hoffnung, dass bestehende Ökotourismus-Projekte ähnliche Bemühungen im neuen Parksystem inspirieren werden, sagen Experten.
Weite Flächen des Giant-Panda-Nationalparks wurden in den Achtzigern abgeholzt. Die Spuren dieses Eingriffs sind noch immer sichtbar. Der dortige Baumbestand besteht jetzt hauptsächlich aus jungem Sekundärwald.
Ein Beispiel dafür ist das abgelegene tibetische Dorf Angsai, das am Ufer des oberen Mekong-Flusses im Sanjiangyuan-Nationalpark liegt. Seit 2018 betreibt das Dorf ein von der Gemeinde geleitetes Tourismusprogramm, das sowohl den Einheimischen als auch den Schneeleoparden zugutekommt, die der größte Touristenmagnet der Region sind.
Für 43 Dollar pro Tag können Besucher bei lokalen tibetischen Familien wohnen, die als Führer dienen, um diese seltenen „Geisterkatzen“ in der Wildnis zu entdecken. Etwa 75 Prozent der Besucher, die mindestens drei Tage bleiben, bekommen die Großkatzen zu Gesicht, so Terry Townsend. Er ist ein Berater des Shan Shui Conservation Center, einer der größten gemeinnützigen Naturschutzorganisationen Chinas, sowie Berater des Paulson Institute.
„Die Gemeinde hat alle wichtigen Entscheidungen getroffen und 100 Prozent der Einnahmen bleiben in der Gemeinde“, sagt Townsend. „Es war unglaublich erfolgreich.“
2019 wurde Angsai das erste Gemeinde-Tourismus-Franchise in einem Pilotpark, der von der Bundesregierung genehmigt wurde, fügt er hinzu. „Es wurde als eine Möglichkeit vorgestellt, Tourismus an ökologisch sensiblen Orten zu betreiben.“
Marc Brody, der seit 1994 in China arbeitet, ist ebenfalls der Meinung, dass gut konzipierter Ökotourismus die lokalen Ökosysteme stärken kann.
Li Xinrui kehrte nach Jahren als Wanderarbeiter in seine Heimatstadt zurück und arbeitet dort nun als Ranger im Giant-Panda-Nationalpark. Er patrouilliert tagelang in den Bambuswäldern, hält nach Wilderern Ausschau und stellt Infrarotkameras auf, um die Tiere der Gegend – darunter fünf Pandas – zu beobachten.
„Eine Kernaufgabe von Chinas Nationalparks ist die Förderung der Öko-Zivilisation – eine Mission, die durch die Einbeziehung von Besuchern vorangebracht werden kann“, sagt Brody. Der National Geographic Explorer ist der Gründer von Panda Mountain, einer Organisation für Ökotourismus und Naturschutz.
Öko-Zivilisation, die 2012 in der nationalen Verfassung festgeschrieben wurde, bedeutet ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen Wirtschaft und Umwelt.
„Wenn man die Menschen in die Wiederherstellung von Lebensräumen einbindet, bietet ihnen das eine Möglichkeit, die Landschaft ganzheitlicher zu sehen und ihre Verflechtungen zu erkennen“, sagt er. „Und das kann die Hoffnung wecken, dass wir etwas zur Rettung gefährdeter Arten beitragen können.“
Die Gefahren der Erschließung
Schlecht geplanter Tourismus kann allerdings auch das Gegenteil bewirken.
Im Jahr 2018 veröffentlichte die Chinesische Akademie der Wissenschaften einen Bericht, demzufolge einige der Pilotparks ihre Mittel zur Verbesserung der touristischen Infrastruktur zum Nachteil der Umwelt einsetzen. Fernerkundungstechnologie offenbarte, dass diese Parks Straßen, Stromleitungen und öffentliche Gebäude im großen Stil ausbauten und damit empfindliche ökologische Gebiete schädigten.
Der Förster Meng Ji steht vor einer Karte eines Gemeinschaftsreservats, das jetzt zum Giant-Panda-Nationalpark gehört. Das Reservat ist ein wichtiger Wildtierkorridor und verbindet die Schutzgebiete im Norden und Süden.
Der Shennongjia-Nationalpark ist ein weiteres markantes Beispiel für die Veränderung von Lebensräumen zur Förderung des Tourismus. Im Jahr 2011 trug die lokale Regierung 60 Meter eines 2.438 Meter hohen Gipfels ab, um eine ebene Fläche für den Flughafen zu schaffen. Dieser sollte den Zugang zu dem UNESCO-Welterbe verbessern, das seltene Arten wie die Goldstumpfnase und den Nebelparder beheimatet. Als ich in den Park flog, hatte ich das beunruhigende Gefühl, wir würden in den Wolken landen, ehe ich merkte, dass die Rollbahn auf dem abgeflachten Gipfel lag.
Um die Fragmentierung des Lebensraums durch Straßen und andere Bauprojekte auszugleichen, haben viele Pilotparks Wildtierkorridore geschaffen. Sie ermöglichen es Tieren wie dem Großen Panda, sich frei durch ihren Lebensraum zu bewegen.
Im August fingen Infrarotkameras einen Panda in einem dieser Korridore im Giant-Panda-Nationalpark ein. Es war die erste derartige Sichtung seit Baubeginn im Jahr 2002, wie die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtet.
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Dass sie in isolierten Gruppen leben, ist eine der größten Bedrohungen für die Großen Pandas. In den südwestlichen Provinzen Gansu, Shaanxi und Sichuan gibt es derzeit etwa 1.800 Tiere. Deshalb verbindet der Giant-Panda-Nationalpark 77 Schutzgebiete, die sich über 70 Prozent des gesamten Verbreitungsgebiets des Großen Pandas erstrecken. Im Jahr 2016 stufte die Weltnaturschutzunion den Großen Panda von „stark gefährdet“ auf „gefährdet“ herunter.
Während sich die Pandabestände erholen, sieht es für die Bestände anderer gefährdeter Arten nicht so gut aus. Eine im August in „Nature Ecology & Evolution“ veröffentlichte Studie schürt Zweifel an der Annahme, dass der Schutz der Pandas in ihrem heimischen Lebensraum auch anderen wichtigen Arten zugutekommt. Seit den 1960ern sind die Verbreitungsgebiete des Schneeleoparden, des Wolfes und des Rothundes in Naturschutzgebieten für den Großen Panda um mehr als 75 Prozent geschrumpft, wie Forschungsergebnisse zeigen.
Die Lücke in der Naturschutzstrategie könnte daher rühren, dass die Großen Pandas nur einen Lebensraum von wenigen Quadratkilometern benötigen. Damit entspricht er nur 5 bis 10 Prozent des Lebensraums der untersuchten Fleischfresser.
Am Telefon erklärte Li, er sei nicht überrascht.
„Am Anfang war der Schutz für prominente Arten wie den Großen Panda gut“, sagt er. „Aber man machte sich keine Gedanken über andere Tiere wie Tiger oder Leoparden, die aggressiv sein können. Außerdem hatte das Land nicht die Erfahrung, um mit vielen dieser Aspekte umzugehen“, sagt er.
Schützen, was man liebt
Die Experten sind sich einig, dass es einige Lichtblicke in Chinas neuem Parksystem gibt. Es ist aber noch zu früh, um vorherzusagen, wie sich die Parks langfristig auf den Naturschutz und die lokalen Lebensgrundlagen auswirken werden.
Turner vom Wilson Center befürchtet zum Beispiel, dass die wirtschaftlichen Rückschläge des Jahres 2020 Chinas Ziele in Bezug auf Biodiversität und Naturschutz erschweren werden.
Ein tibetisches Haus liegt am Fuße der Berge im Sanjiangyuan-Nationalpark, wo Tausende von Einheimischen als Parkranger angestellt wurden. Andere wurden in Städte umgesiedelt.
Sie merkt an, dass viele Pilotparks von den Kommunalverwaltungen finanziert werden anstatt vom Nationalparkdienst, der über mehr Mittel verfügt. „Viele der Parks liegen im Westen Chinas, wo die Verwaltungen weniger wohlhabend sind“, sagt sie.
Letztlich, so hofft Niu vom Paulson Institute, wird der Fokus auf Nationalparks die wachsende Verbindung zwischen Mensch und Natur in China vertiefen, die sich insbesondere unter den Jugendlichen zeigt.
„Wenn man einen Ort liebt, dann will man ihn auch schützen“, sagt sie. „Wenn die Chinesen mehr Möglichkeiten haben, diese Parks zu besuchen, wird das Bewusstsein des chinesischen Volkes für Naturschutzfragen gestärkt. Damit wird dann auch die Unterstützung für den Naturschutz wachsen.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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