Das Leben in Hongkongs Sargzimmern

Jene Menschen, die durch die extrem hohen Mieten im glanzvollen Hongkong verdrängt werden, leben – oft illegal – auf kleinstem Raum.

Von Sarah Stacke
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:39 MEZ, Aktualisiert am 9. Feb. 2021, 14:18 MEZ

 „An dem Tag kam ich nach Hause und habe geweint“, beschreibt Benny Lam eine seiner Erfahrungen, als er die grausigen Wohnverhältnisse in Hongkong fotografierte.

Nach vier Jahren, in denen er mehr als 100 aufgeteilte Wohnungen in Hongkong besucht hat, war Lam an die 1,4 Quadratmeter großen und mit Holzbrettern abgeteilten Wohnungen gewöhnt, die man auch als Sargzimmer bezeichnet. Als er ein Zimmer fotografierte, das ein wenig größer als normal war, platzte es gegenüber dem Bewohner aus Lam heraus: „Sie haben aber eine große Sargwohnung!“

„Ich habe mich so schlecht gefühlt“, erinnert sich Lam. „So zu leben, sollte niemals normal sein. Ich war abgestumpft.“

In Hongkong wimmelt es vor Shoppingmeilen, die im Neonlicht erstrahlen und in denen man Luxusmarken, Juwelen und technische Gerätschaften an willige Konsumenten verkauft. In den Wolkenkratzern der Skyline sitzen Unternehmen, deren Geschäfte die Stadt zu einer der großen Finanzmetropolen der Welt machen. Doch hinter der glamourösen Fassade leben schätzungsweise 200.000 Menschen, davon 40.000 Kinder, in Wohnungen von 1,4 bis  9,3 Quadratmetern.

Mit einer Bevölkerung von 7,5 Millionen gibt es fast kein Bauland mehr. Hongkongs Haus- und Wohnungsmarkt ist zu einem der teuersten der Welt geworden. Zehntausende Menschen, die durch die rasant steigenden Mieten aus ihren Wohnungen verdrängt wurden, haben keine anderen Möglichkeiten mehr: Sie bewohnen illegal kleine Baracken oder wohnen in unterteilten Wohneinheiten, in denen Küche und Toilette zu einer Einheit verschmelzen.

Manche bewohnen Sargzimmer oder Käfige, die etwa 1,8 Meter mal 0,8 Meter groß sind und üblicherweise mit Maschen- oder Kaninchendraht abgegrenzt sind. „Vom Kochen bis zum Schlafen finden alle Aktivitäten in diesen winzigen Räumen statt“, sagt Lam. Um solche Sargzimmer zu bekommen, unterteilt der Eigentümer illegal eine etwa 38 Quadratmeter große Wohnung, um etwa 20 Doppelstockbetten darin unterzubringen. Jeder Schlafplatz kostet im Monat an die 220 Euro Miete. Die Zimmer sind zu klein, um darin zu stehen.

BELIEBT

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    Ein Küchen-Toiletten-Bereich in einer Käfigwohnung.
    Foto von Benny Lam

    In seiner Serie namens „Trapped“ (dt. Gefangen) möchte Lam ein Licht auf die erstickend beengten Behausungen Hongkongs werfen, zu denen die glitzernden Neonschimmer der reichen Stadt nicht durchdringen. Er hofft, dass mehr Leute sich der sozialen Ungerechtigkeit bewusst werden, wenn sie die Mieter und ihre Wohnräume auf den Aufnahmen sehen.

    „Man fragt sich vielleicht, warum einen das interessieren sollte, da diese Menschen vielleicht kein Teil des eigenen Lebens sind“, schreibt Lam auf seiner Facebook-Seite. „Es sind genau jene Menschen, die jeden Tag das eigene Leben berühren: Sie bedienen einen als Kellner in den Restaurants, in denen man isst; sie sind die Sicherheitsleute in den Einkaufszentren, in denen man umherschlendert, oder die Reinigungskräfte und Lieferanten auf den Straßen, durch die man läuft. Der einzige Unterschied zwischen uns und ihnen ist [ihr Zuhause]. Das ist eine Frage der Menschenwürde.“

    Die Menschen in Hongkong können selbst einfache, kleine Wohnungen kaum finden.
    Foto von Benny Lam

    Ein Bild findet Lam besonders bewegend. Darauf ruht ein Mann auf seinem Bett. Er hat nicht genug Platz, um seine Beine völlig auszustrecken, und seine angewinkelten Knie berühren schon die Wände seines Sargzimmers. Er isst Baked Beans aus einer Dose, vermutlich sein Abendessen, und sein kleiner Fernseher zeigt einen Regenbogen. Von der niedrigen Decke hängt Wäsche. Für Lam ist es das exemplarische Beispiel, um den privilegierteren Bürgern und der Regierung zu zeigen, warum sie handeln müssen, um die Wohnungskrise in Hongkong und die Lohnungleichheit zu beheben.

    Hongkong ist seit Langem für seinen Reichtum bekannt, aber unter der schillernden Fassade liegt eine Welt aus Sargzimmern und Wohnkäfigen.
    Foto von Benny Lam

    Der Mut der Männer, Frauen und Familien, die ihre Türen für Lam geöffnet und ihre Geschichten mit einem völlig Fremden geteilt haben, ist etwas, das Lam im Gedächtnis geblieben ist. Viele von ihnen schämen sich dafür, in so beengten Verhältnissen zu leben, sagt er. Aber sie hoffen, dass sie etwas Unterstützung erfahren werden, wenn die Menschen diese Bilder sehen.

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