Dieser Mann suchte 60 Jahre lang nach dem Yeti – und fand ihn
Dabei entdeckte er außerdem die “großartigste Wildnis der Erde”.
1951 suchte ein britischer Entdecker namens Eric Shipton nach einer alternativen Route auf den Mount Everest und fand dabei einen Fußabdruck, den er einem menschenähnlichen Wesen zuschrieb. Er machte ein Foto davon und im Nu verzauberte das Mysterium des Yetis die ganze Welt. Daniel Taylor, Autor des Buches „Yeti: The Ecology of a Mystery“(dt. Yeti: Die Ökologie eines Mysteriums), sucht seit Kindheitstagen nach Spuren des riesigen Schneemenschen in den Hochlagen des Himalayas.
Von seinem Zuhause in West Virginia aus erklärt Taylor, was seiner Meinung nach den menschenähnlichen Fußabdruck hinterlassen hat, wie seine Suche zur Entstehung eines Nationalparks führte und warum wir uns in einem Zeitalter, in dem wir die Verbindung zur Natur verloren haben, so sehr danach sehnen, an Mysterien zu glauben.
Das wichtigste Beweisstück für die Existenz des Yetis ist das Foto eines Fußabdrucks, das 1951 vom britischen Entdecker Eric Shipton gemacht wurde. Erzählen Sie uns von dieser Begebenheit. Warum wurde Shiptons Bild auch als der Stein von Rosette der Yeti-Legenden gehandelt?
Das Foto wurde am Menlung-Gletscher auf der Westseite des Everest aufgenommen, an der Grenze zwischen Nepal und Tibet. Shipton und Michael Ward suchten nach einer alternativen Route auf den Everest, als sie auf diese Abdrücke stießen. Shipton war einer der angesehensten Everest-Erkunder, und wenn er einen Fußbadruck mitbringt, dann ist der auch echt. Das hat nie jemand infrage gestellt. Aber um was handelt es sich?
Das Fesselnde an den Fußabdrücken war, dass sie so klar erkennbar sind. Der Schnee war fest, weshalb der Fußabdruck wie eine Art Gipsabdruck aussieht. Außerdem sahen sie wie menschliche Fußabdrücke aus, nur mit einem Daumen. Man hat also den Eindruck eines Primaten, aber gleichzeitig wirkt es auch menschenähnlich. Seine enorme Größe – 33 Zentimeter – deuten auch auf ein stattliches Wesen hin, so eine Art King Kong. Und die Medien haben sich darauf gestürzt.
Zahlreiche Expeditionen brachen auf, um den Yeti zu finden. Geben Sie uns einen kurzen chronologischen Überblick.
Die wichtigste war die Expedition von der „Daily Mail“ 1954. Da brach das Yeti-Fieber so richtig aus, obwohl er damals noch als Abscheulicher Schneemensch (engl. Abominable Snowman) bezeichnet wurde. Tom Slick, ein Geschäftsmann der amerikanischen Ölindustrie, organisierte mehrere Expeditionen. Eine davon hatte 500 Träger und dauerte sechs Monate. Sie haben sogar Schweißhunde mitgenommen, um die Fährte aufzunehmen.
Dann war die Enzyklopädie „World Book Encyclopedia“ völlig bezaubert vom Yeti und trat an Edmund Hillary heran. Er hatte in den Fünfzigern in gewissem Maße an den Yeti geglaubt, aber er sagte: „Wir sollten nicht nur den Yeti suchen gehen. Wir sollten untersuchen, wie die Menschen in Höhenlagen leben.“ Also haben sie auf einer Höhe von etwa 5.800 Metern ein Haus gebaut und eine Reihe von Experimenten dazu durchgeführt, wie sich Menschen akklimatisieren. Sie waren es auch, die zum ersten Mal zwischen dem Sherpa-Glauben an den Yeti und dem Yeti als mysteriöses, menschenähnliches Wesen, das in den Bergen wohnt, unterschieden haben.
Wie kam es ursprünglich dazu, dass der Yeti Ihr Interesse geweckt hat?
Meine Oma war aus Cincinatti und mein Opa war ein Cowboy in Kansas. Sie lernten sich während schwerer Zeiten an der medizinischen Hochschule in Kansas City kennen und beschlossen, als medizinische Missionare nach Indien zu gehen. 1914 landeten sie in einem Gebiet nahe der westlichen Grenze Indiens zu Nepal: in einem dichten, üppigen Dschungel, der durch Jim Corbetts Bücher wie „Menschenfresser: Erlebnisse eines Tigerjägers“ (eng. „Man-Eaters of Kumaon“) bekannt wurde.
Ich komme dann 1946 ins Spiel, als meine eigenen Eltern nach Indien gingen, um die Leitung eines Krankenhauses zu übernehmen. Das war eine grandiose Kindheit. Meine Großeltern hatten ein Grundstück auf einem Berg in der Nähe der alten britischen Militärsiedlung Masuri gekauft. Es war ein herrliches altes Anwesen, das von Dschungel umgeben war.
An einem Samstag während der Monsunzeit sah ich das berühmte Bild des Yeti-Fußabdrucks in einer Zeitschrift. Ich kannte die meisten Dschungeltiere. Als also der Kurator des Britischen Museums sagte, dass er die Fußabdrücke für die eines Indischen Languren hielt, sagte ich: „Das ist unerhört! Ich kenne den Indischen Languren, der springt die ganze Zeit auf dem Blechdach rum. Irgendein anderes Tier muss diese mysteriösen, menschenähnlichen Fußabdrücke gemacht haben.“
Ich muss zu meinem Vater oder meinem Opa gegangen sein, und die sagten: „Danny, das ist der Yeti!“ Ich fragte: „Was ist der Yeti?“ Und sie sagten: „Der Yeti ist ein wilder Mann, der in den Bergen lebt, und das ist sein Fußabdruck.“ Und da hatte sich der Funke entzündet.
Ihre eigene Suche konzentrierte sich irgendwann auf eine wilde nepalesische Region namens Barun Valley. Nehmen Sie uns dorthin mit und erzählen Sie von ihrer Hypothese dazu, was der Yeti wirklich ist.
Wegen seines Mikroklimas gibt es im Barun Valley mehr Feuchtigkeit als in jedem anderen Tal im Himalaya. Das heißt, im Barun Valley gibt es sehr dichten Dschungel und viel Regen. Deshalb haben sich die Menschen dort nicht angesiedelt. Wenn man nach der letzten Wildnis sucht, dann findet man sie in diesem Tal. [Der Dschungel] ist dort so dicht, dass ihn nur sehr wenige Menschen überhaupt betreten haben, selbst die Einheimischen, die an seinem Rand leben.
Der König von Nepal hat mir empfohlen, dorthin zu gehen. Er sagte: „Wenn Sie an den wildesten Ort gehen wollen, an dem der Yeti sein könnte, dann ist es Barun.“ Und wenn der König das sagt, dann geht man auch, weil er sein Land wirklich gut kennt.
Als ich in dem Tal ankam, habe ich Fußabdrücke gefunden. Ich hatte schon zuvor welche gesehen, aber die hier waren frisch und ich hatte keinen Zweifel daran, dass ich den Yeti gefunden hatte.
Die Frage war: Was hatte sie gemacht?
Ein einheimischer Jäger, mit dem ich zusammenarbeitete, sagte, dass mein Fund seiner Meinung nach von einem Kragenbären stammte. Ich hatte noch nie von Kragenbären in dieser Region gehört. Plötzlich hatten wir eine Erklärung dafür, woher der Daumen kam. Ein Bär, der auf Bäumen lebt, drückt einen seiner inneren Zehen nach unten, damit er einen opponierenden Griff hat. Normale Bären können so einen Griff nicht machen. Aber wenn man viel Zeit in Bäumen verbringt, trainiert man diesen einen Daumen, um nach Ästen zu greifen oder Bambus abzubrechen. Ich habe zwei Jahre damit verbracht herauszufinden, ob es sich um eine eigene Art, eine Unterart oder einen noch nicht ausgewachsenen Bären handelt.
Die DNA-Analyse ist ein mächtiges neues Werkzeug bei der Suche nach dem Yeti. Erzählen Sie uns von den Tests, die Bryan Sykes an der Oxford Universität in Großbritannien gemacht hat und welche neuen Erkenntnisse das für die Suche nach dem Yeti gebracht hat.
Das hat eine Menge Verwirrung ausgelöst! Ein Professor von Oxford hat einen weltweiten Aufruf nach allen Yeti-Artefakten gestartet – Haare, Fingernägel, Knochenfragmente – und eine Menge Zusendungen bekommen, hauptsächlich Teile von Bären und Schafen. Dann führte er eine DNA-Analyse durch und entdeckte, dass zwei [der Proben] bärenähnlich sind, aber zu keiner bekannten Tierart passen. Die größte Übereinstimmung hatten sie mit einem Eisbären, aber mit mysteriösen DNA-Sequenzen mittendrin.
Nachdem er seine Forschung veröffentlicht hatte, lebte der Yeti-Mythos auf der ganzen Welt wieder auf. Eine Gruppe von Doktoranden beschloss dann, seine DNA-Sequenzierung zu überprüfen. Sie zeigten, dass ihm ein Fehler unterlaufen war und dass es die unvollständige Sequenz einer bekannten Tierart ist. Und wieder einmal landen wir beim Kragenbären.
Gegen Ende ihres Buches schreiben Sie: „Am Ende der Suche nach einem wilden Mann im Schnee wächst eine neue Wildnis.“ Erzählen Sie uns vom Makalu-Barun-Nationalpark und Ihrer Arbeit mit den einheimischen Kommunen bei der Schaffung des „Yeti Trail“.
Bei meiner Suche nach dem Yeti bin ich über die vermutlich großartigste Wildnis der Erde gestolpert. Aber es war kein geschütztes Gebiet. Die Dorfbewohner aus der Nähe legten in Barun Felder an. Auf der tibetischen Seite legten die Chinesen direkt nördlich von Barun eine Straße ins Tal an, um Holz abzubauen! Das war einer der drei oder vier majestätischsten Orte auf dem ganzen Planeten, also sagte ich mir, dass ich etwas tun muss, um ihn zu beschützen.
Ich bin aber nicht der World Wildlife Fund. Also beschloss ich, das Erbe meiner Familie im Bereich der gemeindeorientierten Lösungen im Gesundheitsbereich auf den Naturschutz anzuwenden. Ich arbeitete mit den lokalen Gemeinden zusammen, um die ganze Landschaft zu verwalten anstatt nur einzelne Bereiche davon. Als ich damit Mitte der Achtziger anfing, war über diese Idee schon gesprochen wurden, aber niemand hatte das je gemacht. Es war also ziemlich spannend, den Gedanken des partizipativen, gebietsbasierten Naturschutzes an einem der höchsten Orte der Erde umzusetzen. Jetzt können Touristen auf dem Yeti Trail durch einen unberührten, wilden Park wandern.
Daniel, Sie haben 60 Jahre mit der Suche nach dem Yeti verbracht. Was sind Ihre abschließenden Gedanken zu dem Thema? Und wie hat diese Odyssee Ihr Leben verändert?
In dieser Reihe von Entdeckungen habe ich ein – meiner Meinung und der Meinung vieler anderer Biologen nach – völlig neues Verständnis der Biologie entwickelt, das ich als Bio-Resilienz bezeichne. Bei unserem Bestreben zur Rettung des Lebens konzentrieren wir uns auf die Vielfalt der DNA. Aber es gibt bestimmte Lebensformen wie Krähen, Kakerlaken und Wandermuscheln, die widerstandsfähiger als andere sind und mit den Veränderungen der Temperatur und Feuchtigkeit umgehen können, die durch den Klimawandel entstehen. Die Lektion des Yetis ist, dass wir diese Resilienz in der Biologie pflegen und aufbauen müssen, wenn wir das Leben selbst retten wollen.
Das hat mein Leben verändert, weil ich das Leben jetzt auf eine andere Art und Weise begreife. In einer Welt, die zunehmend urbaner wird, ist es wichtig zu verstehen, dass wir Teil des Lebens und damit verbunden sind. Es gibt auf der ganzen Welt Yeti-Legenden. Es gibt eine russische Legende über den Dschungelmann, und auch eine chinesische. Das führt uns zu der Frage, warum es diese menschliche Sehnsucht nach solchen menschenähnlichen Erscheinungen gibt. Ich bin überzeugt, dass sie aus dem Viktorianischen Zeitalter stammen, als die Menschen auf der Suche nach dem fehlenden Bindeglied die Welt umrundet haben.
Das große Mysterium in unserem Inneren ist, dass wir eine Verbindung zum Jenseits haben wollen. Und wir brauchen Symbole, die uns dabei helfen, diese Verbindung zu verstehen. Darum glauben wir an Gott oder Engel oder das Ungeheuer von Loch Ness. In der ganzen Geschichte der Menschheit und über alle menschlichen Kulturen hinweg haben wir Boten aus dem Jenseits erschaffen. Das ist es letzten Endes, was der Yeti ist.
Das Interview wurde zugunsten von Länge und Deutlichkeit redigiert.