„Rogue Trip“: Die schönen Seiten von Konfliktzonen
Der ehemalige Kriegsberichterstatter Bob Woodruff und sein Sohn entdecken die Natur und die Menschen jener Länder, die uns aus den Medien oft nur als ausgebombte Krisengebiete bekannt sind.
Mack Woodruff schwimmt in einer natürlichen heißen Quelle im Aledeghi-Wildlife Reserve in Äthiopien – eines von sechs Ländern, die er und sein Vater Bob für ihre neue Reise-Serie besuchten.
An ihrem zweiten Tag in Beirut im Libanon wurden der altgediente Journalist Bob Woodruff und sein Sohn Mack vor Tagesanbruch von einer erschütternden Nachricht wachgerüttelt: In einem Mediengebäude der Hisbollah hatte sich eine Explosion ereignet. Noch am Tag zuvor hatten sie ihre Tour durch das Land begonnen, indem sie mit Einheimischen von sonnendurchfluteten Klippen sprangen. Dieses idyllische Bild war nun auf einen Schlag zerstört.
Der Moment wurde während der Dreharbeiten zu einer neuen National Geographic-Serie festgehalten. Er war ein ebenso erschreckendes wie betrübliches Beispiel dafür, wie das Leben in einer Konfliktzone aussehen kann. Am 4. August 2020 wurden die Einwohner Beiruts erneut auf tragische Weise daran erinnert, als eine gewaltige Explosion die libanesische Hauptstadt erschütterte, bei der mindestens 100 Menschen getötet und 4.000 verletzt wurden.
Aber natürlich gibt es an Orten wie dem Libanon so viel mehr zu sehen als Gewalt und Tragik. Die neue Show der Woodruffs, „Rogue Trip“, will genau das zeigen. Sie präsentiert Reiseziele und Kulturen, die in einer auf Kriege und Konflikte fokussierten Medienlandschaft oft missverstanden werden.
Ein Führer (links) begleitet Mack (Mitte) und Bob Woodruff für die Serie „Rogue Trip“ durch Äthiopiens Aledeghi Wildlife Reserve.
Das Vater-Sohn-Duo besucht Orte wie das pakistanische Swat-Tal, wo bis vor Kurzem die Taliban über die Einheimischen herrschten. Dort schoss man der jungen Malala Yousafzai eine Kugel in den Kopf, weil sie sich für das Recht auf Bildung für Mädchen einsetzte. Weitere Stationen auf ihrer West-Ost-Reise sind Kolumbien, Äthiopien, Papua-Neuguinea und die Ukraine.
Viele dieser Regionen sind dem 58-jährigen Bob bekannt, der jahrelang als Korrespondent für ABC News über sie berichtete. Seine Karriere endete schlagartig im Jahr 2006. Damals erlitt er eine lebensbedrohliche Gehirnverletzung, als im irakischen Tadschi eine Bombe am Straßenrand sein gepanzertes Fahrzeug traf. Er wurde ins Krankenhaus gebracht, wo er sich einer Kraniektomie (ein damals neuartiges Verfahren zur Entfernung eines Teils seines Schädels) unterzog und in ein künstliches Koma versetzt wurde.
Nach einem einjährigen Genesungsprozess, in dessen Verlauf er wieder laufen und sprechen lernte, stand er wieder vor der Kamera – allerding unter einer Bedingung: „Ich hatte eine Absprache mit meiner Familie: Ich würde nicht mehr aus aktiven Kriegsgebieten berichten“, sagte er kürzlich während eines Telefongesprächs. „Aber ich werde über Konflikte berichten.“
Für den 29-jährigen Fotografen Mack war die Reise die Gelegenheit, Zeit mit seinem Vater zu verbringen. Der war oft unterwegs gewesen, um einer Arbeit nachzugehen, die ihm ebenso fremd erschien wie die Länder, aus denen sein Vater berichtete. „Ich hatte die Gelegenheit, Dad in einem ganz anderen Licht zu sehen“, sagt er in einer Episode. „Das ist ein absoluter Traum, der wahr geworden ist.“
Während der Dreharbeiten zu „Rogue Trip“ besuchen Tauchlehrer Mohamed El Sarji und Bob Woodruff einen „Unterwasserpark“ in Sidon im Libanon, wo alte Panzer als neues Zuhause für Meeresbewohner dienen.
Am 30. Juli sprachen wir mit den Woodruffs in ihrem Haus im Bundesstaat New York. Sie erzählten von ihrer aufschlussreichen Reise, scherzten über die Höhen und Tiefen des Reisens mit der Familie und teilten ihre Gedanken über die Zukunft.
Wie hat Ihr Unfall Ihre Sicht auf die Welt verändert?
Bob: Ich wollte nicht, dass Mack jedes Mal denkt, wenn ich in gefährliche Länder reise, würde ich jeden Tag mein Leben riskieren. Ich wollte ihm nur zeigen, dass es Momente gab, die beängstigend waren. Aber der allergrößte Teil der Reise besteht darin, etwas Neues über einen Ort zu lernen, an dem man noch nie zuvor gewesen ist.
Mack: Dad hat einen wirklich tollen Job gemacht, indem er uns [meine beiden Schwestern und mich] dazu erzogen hat, wegen seines Unfalls keine Angst vor der Welt zu haben. Von Anfang an war er nicht wütend darüber und hegte keinen Groll gegen das irakische Volk oder das Land. Ich glaube, wenn man so viel Vergebung im Herzen hat, ist das ziemlich ansteckend. Es war ein unglücklicher Unfall und er hat uns als Familie näher zusammengebracht.
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Wie war es, an die Orte zurückzukehren, über die Sie berichtet haben?
Bob: Ein paar Dinge, die wir sahen, waren unerwartet, weil es sie [bei meinen früheren Besuchen] noch nicht gegeben hat. In Kolumbien zum Beispiel kämpft die FARC [Militärguerillas] seit Jahrzehnten gegen den Staat. Früher kam man gar nicht in diese Gebiete, wenn man keine sehr enge Beziehung zu jemandem dort hatte. Also war das eine Story, über die wir nie berichtet hatten. Aber wir fanden heraus, dass [die Rebellen] nun versuchten, einen Weg aus dem Dschungel heraus zu finden, um ein richtiges Leben zu führen und sich nicht mehr verstecken zu müssen. Sie suchten nach einem Weg, um Touristen den Zugang zu ermöglichen. So waren wir in der Lage, in dieses wunderschöne Land zu gelangen, das wir zu Pferd erkunden konnten. Das ist etwas, das wir vor fünf Jahren nie erwartet hätten.
Warum war es für Sie so wichtig, diese Serie gerade jetzt zu machen?
Wir haben vor einem Jahr mit den Dreharbeiten begonnen, und wie der Rest der Welt hatten wir keine Ahnung, dass es zu einer Krise wie dieser Pandemie kommen würde. Aber unser Ziel war es, der Welt zu zeigen, wie sich diese sogenannten gescheiterten Staaten im Laufe der Zeit verändert hatten. Wir bekommen gar nicht die Chance, viel über andere Teile dieser Länder zu erfahren – immer nur über die Orte, über die am häufigsten berichtet wird. Leider sind die Berichte in der Regel bedenklich und überwiegend negativ. Ich wusste, dass es noch andere Aspekte gab, aber ich hatte nie die Chance, sie zu entdecken.
Ein Thema der Serie ist das Verlassen der eigenen Komfortzone. Wie haben Sie das geschafft?
Mack: Bei einer Kundgebung im Libanon war ich nervös. Es sah einfach aus wie die Bilder, die man aus dem Nahen Osten kennt und die zu propagandistischen Zwecken und Angstmacherei genutzt wurden. Aber ich habe meinem Vater dabei zugesehen, wie er mit den Leuten sprach, und das wirkte gar nicht so bedrohlich. Es sieht einfach nur anders aus, aber eigentlich ist es nichts anderes als in den Staaten, wie zum Beispiel die Proteste hierzulande. Das ist im Grunde der Kern dessen, was diese Serie tut: Sie durchbricht hoffentlich Barrieren.
Was haben Sie aus Ihren Reisen mit Familienangehörigen gelernt? Haben Sie irgendwelche Ratschläge?
Mack: Mit der Familie zu reisen, ist unglaublich, aber manchmal natürlich auch schwierig. Für mich ist das eine ganz besondere Situation, weil mein Vater fast gestorben wäre. Ich bin sehr dankbar und bereit, über einige Dinge hinwegzusehen, weil er genauso gut hätte tot sein können. Was den Rat betrifft, würde ich sagen: Verreist nicht gleich fünf Monate!
Sie sind beide viel gereist. Was haben Sie während dieser besonderen Erfahrung über die Welt gelernt?
Bob: Ich habe auf dieser Reise mehr gesehen als in aktiven Kriegsgebieten. Die Menschen leben in Ländern, die uns wie Orte erscheinen, an denen man eher nicht leben möchte. Aber fast alle Leute, mit denen wir gesprochen haben, sagten uns, dass sie sehr stolz auf ihr Land sind. Sie würden die Probleme gern lösen und sie haben auch ihre Schwierigkeiten, aber sie haben nicht die Absicht, ihre Heimat zu verlassen.
Mack: Selbst wenn man schon einmal dort war, sollte man nicht von vornherein ausschließen, noch einmal dorthin zurückzukehren. Man kann dort so unendlich viel mehr erleben als das, was [in Online-Reiseführern] geschrieben steht. Wenn man einmal hinter diesen Vorhang blickt und sieht, was eine solche Erfahrung einem bietet und wie man sich dabei fühlt, merkt man schnell, dass man alle Orte auf der Welt besuchen möchte.
Wie gehen Sie mit dem Leben in der Quarantäne um, nachdem Sie Monate auf so engem Raum miteinander verbracht haben?
Mack: Nach der Show war ich in Sydney in Australien in Quarantäne und bin gerade erst wieder nach New York zurückgezogen. Wir haben die Nase noch nicht voll voneinander.
Bob: Sprich für dich! Mack war gerade erst allein campen. Ich denke aber, wir schaffen das ganz gut.
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Wie wird Ihrer Meinung nach das Reisen nach der Pandemie aussehen?
Mack: Da aktuell alle ‚eingesperrt‘ sind, bin ich sehr gespannt darauf, ob die Leute danach alle losreisen oder eher Angst haben werden, sich in eine enge Metallröhre zu setzen. Ich glaube, viele Menschen haben das Bedürfnis, wieder aus dem Haus zu kommen. Andere sind eher vorsichtig.
Am Ende jeder Episode fragt Bob Mack, wohin er als nächstes reisen möchte. Wenn wir wieder gefahrlos verreisen können, wohin wollen Sie dann?
Mack: Sobald ein Impfstoff für die Allgemeinheit verfügbar ist, werden wir als nächstes nach Italien reisen, um den 60. Geburtstag meiner Mutter zu feiern. Den hatten wir im Mai geplant, mussten ihn aber absagen.
Bob: Ich glaube, das Letzte, was wir jetzt tun können, ist, endlos in den Familienurlaub zu fahren! Ich würde gerne wieder rausgehen und über Länder berichten.
„Rogue Trip“ ist als Stream auf Disney+ verfügbar. Die Walt Disney Company ist Mehrheitseigner von National Geographic Partners.
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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