Wo sich Schottlands Feen und Kriegerköniginnen verstecken

Jahrhundertelang prägten Mythen und Legenden die Isle of Skye. Dieses reiche Erbe zeigt sich auch heute noch in der Landschaft und den Leuten der Insel.

Von Connor McGovern
Veröffentlicht am 14. Apr. 2021, 16:13 MESZ
The Old Man of Storr. Trotternish. Isle of Skye. Schottland

Ein uralter Erdrutsch schuf den Old Man of Storr auf der Halbinsel Trotternish auf Skye – eine dramatische Felsformation, bei der es sich laut schottischen Legenden um die Überreste eines Riesen handelt.

Foto von Peter Adams, Avalon/Universal Images Group/Getty Images

Dunscaith Castle war im 12. Jahrhundert eine bedrohliche Festung. Heute scheinen sich seine Überreste verbissen an einem Hang festzuklammern, während sich seine bröckelnden Wände am Rande einer Klippe schroff vor dem Himmel abzeichnen.

Auf der anderen Seite des Loch Eishort ragen die dunklen Gipfel der Cuillin-Berge wie eingeknickte Hexenhüte in den Himmel und berühren die vorbeiziehenden Wolken. Keine Menschenseele ist in Sicht. In dieser Ecke der schottischen Isle of Skye ist nicht viel mehr zu hören als der Wind, der durch das lange, goldene Gras rauscht.

Dem Betrachter wird schnell klar, warum die legendäre schottische Kriegerin Scáthach diesen versteckten Ort wählte, um ihre uneinnehmbare Kampfschule zu gründen. Vielversprechende Schüler kamen von weit her, um sich hier in Kriegsführung und Zauberei ausbilden zu lassen und im Geheimen von der vielleicht größten Kämpferin zu lernen, die die keltischen Reiche je gekannt haben. Doch was letztlich mit der mächtigen Kriegerkönigin Scáthach geschah, bleibt ein Rätsel. Ihr Grab wurde bis heute nicht gefunden, was zu ihrem Mysterium beiträgt. Seit dem Mittelalter besagt die Legende, dass sie zurückkehren wird, wenn die Welt sie am meisten braucht.

Pastellfarbene Häuschen säumen den Küstenort Portree, die größte Gemeinde von Skye.

Foto von Gordon Welters, Laif, Redux

„Es ist schwierig, Mythologie und Geschichte auf Skye zu trennen“, sagt der örtliche Reiseleiter Ciaran Stormonth. „Ich bin sicher, dass es eine Frau namens Scáthach gab, aber wie viel von ihrer Geschichte ist wahr? Wir wissen es einfach nicht.“

Skye hat die Form eines Rabenflügels, der sich in der Hebriden-See vor der Nordwestküste Schottlands ausbreitet. Die Insel ist ein wahres Theater für die Dramen von Mensch und Natur, in dem sich Legenden wie die von Scáthach seit Jahrhunderten abspielen. Es ist ein passender Schauplatz für Geschichten von Kriegern und Hexen, angesichts der düsteren Berge, Moorlandschaften, tosenden Wasserfälle und der vom Meer zerklüfteten Küsten, die auf das lange Wüten der Elemente hinweisen. In der Tat ist das Wetter auf Schottlands zweitgrößter Insel so dramatisch wie ihre Landschaften und kann blitzschnell umschlagen. Schließlich hat sie sich den Spitznamen „Misty Isle“ (dt.: nebelige Insel) nicht grundlos verdient.

„Die keltischen Nationen haben ein reiches Erbe an Geschichten“, sagt Stormonth. „Ein Beispiel sind Feen – sie wurden jahrhundertelang herangezogen, um seltsame Dinge zu erklären, die die Menschen nicht verstanden, zum Beispiel Krankheiten. Ob wahr oder nicht, es war ein Weg, die Gefahren der Welt zu kaschieren.“

Auf Skye scheinen Legenden und Fakten daher gleichermaßen fantastisch.

Die Seele Schottlands

Bei Duncan House, das versteckt an der Straße zum Dorf Elgol liegt, zeigt mir der Kunsthandwerker Garth Duncan seinen kunstvollen keltischen Schmuck: Broschen, Wappen und Ringe, verziert mit komplizierten, verschlungenen Mustern. Obwohl er ursprünglich aus den Vereinigten Staaten stammt, wo er mit der Silberschmiedekunst begann, zog Duncan vor zwei Jahrzehnten dauerhaft nach Skye, angetrieben von alten Familienbanden. „Ich habe schottische Wurzeln väterlicherseits“, erklärt er, „auch wenn ich mich früher nie dafür interessiert habe. Aber dann habe ich mich damit beschäftigt und gemerkt, dass ich diese alten Traditionen am Leben erhalten will. Plötzlich fing ich an, diese Artefakte zu kreieren.“

Zusammen mit seinem Sohn Gareth arbeitet Duncan an Auftragsarbeiten aus aller Welt. Eine Auswahl ihrer Kunstwerke liest sich wie die Funde aus einer mystischen Schatzkammer: Rüstungen, kunstvolle Stäbe, mit Juwelen und Skye-Marmor besetzte Ringe und Messer mit Griffen, die aus 5.000 Jahre alter Mooreiche geschnitzt sind.

„Ich kann mir nicht mehr vorstellen, irgendwo anders zu sein“, sagt Duncan. „Ich mag es, hier oben zu leben, abseits des Weges – ich höre den ganzen Klatsch und Tratsch aus Elgol, ohne dort sein zu müssen.“

Galerie: Bilderreise durch Schottland

Ich fahre in die winzige Hafenstadt Elgol, um mich mit dem Vater-Sohn-Duo Seumas und Sandy MacKinnon zu treffen, den Besitzern von Misty Isle Boat Trips. Mein Ziel: ein Besuch des abgelegenen Loch Coruisk. Versteckt auf der anderen Seite des Wassers, ist das Loch am schnellsten mit dem Boot zu erreichen. Angesichts der Tatsache, dass die Alternative eine 16 Kilometer lange Wanderung von Elgol aus ist, die eine felsige Kletterpartie mit dem unheilvollen Namen „Bad Step“ beinhaltet, ist der Wasserweg wohl auch die einfachste Route.

Mit dem Fernglas in der Hand weist der Rotschopf Seumas unterwegs auf Robben und Basstölpel hin.

„Schaut mal, da, schnell!“, ruft er und nickt zu zwei Zwergwalen, deren flüchtiges Auftauchen die anderen Passagiere zum Staunen bringt. Eine Sichtung der Wale sei nie garantiert, sagt er, aber das gelte auch für einige der phantastischeren Bewohner der Gewässer. „Man sagt, es gibt einen ùruisg am Loch Coruisk“, sagt Sandy. „Ein Wesen, Halb-Mensch, Halb-Ziege, das Unglück bringt. Wenn er Sie findet, führen Sie ihn nicht hierher zurück – ich will nichts mit ihm zu tun haben.“

Wenn es meine Aufmerksamkeit ist, die der ùruisg will, dann muss er mit Loch Coruisk konkurrieren. Der See ist fesselnd, dramatisch und gelassen zugleich – ein stiller, dunkler Spiegel, in dem sich die rauen, kahlen Gipfel der Cuillin mit beinahe digitaler Klarheit spiegeln. Felsbrocken sitzen einsam in der Landschaft wie Briefbeschwerer, und die fernen Schreie der Seeadler hallen von den Hügeln wider. Die Atmosphäre ist so überwältigend, dass der schottische Schriftsteller Sir Walter Scott sich dazu bewegt sah, sie in seinem Gedicht „The Lord of the Isles“ von 1814 zu Papier zu bringen, in dem er schrieb: „Selten hat ein menschliches Auge eine so unnachgiebige Szene erblickt wie diesen schrecklichen See.“ Der Dichter Alfred Lord Tennyson hatte weniger Glück und konnte bei seinem Besuch 30 Jahre später nur einen „dicken, wollweißen Nebel“ sehen.

Gälische Wurzeln

Einer, der sich mit den Landschaften von Skye bestens auskennt, ist Scott Mackenzie, der Wildhüter auf dem über 9.000 Hektar großen Eilean Iarmain. Das Anwesen gelangte 1746 zu Berühmtheit, als Flora MacDonald gefangen genommen (und später in den Tower of London geschickt) wurde, weil sie Bonnie Prince Charlie nach der Schlacht von Culloden zur Flucht verholfen hatte. Heute hilft Mackenzie dabei –gekleidet in voller Highland-Tracht inklusive Deerstalker-Hut –, ein kleines Hotel auf dem Anwesen zu beaufsichtigen und das uralte Waldgebiet des nahe gelegenen Dorfes Sleat zu erhalten.

Da er das Anwesen fast ein Jahrzehnt lang verwaltet hat, hat Mackenzie eine einzigartige Perspektive auf die Insel. „Der Tourismus hat die Dinge hier verändert“, sagt er. „Immer mehr Menschen besuchen Skye, mehr als jemals zuvor. Aber viele kommen nur für einen oder zwei Tage. Wir wollen, dass sie länger bleiben und langsamer reisen. Es gibt hier genug für eine ganze Woche, wenn man sich die Zeit nimmt.“

An der westlichsten Ecke von Skye liegt Neist Point, einer der besten Plätze auf der Insel, um Wale, Delfine, Schweinswale und Riesenhaie zu sehen.

Foto von Güven Purtul, Visum, Redux

Auf der Halbinsel Waternish auf der Isle of Skye befindet sich der Lookout, eine ehemalige Küstenwachstation, die in ein Mietobjekt umgewandelt wurde.

Foto von Alexander Turner, Guardian, Eyevine, Redux

Es hilft, dass Skye eine der letzten Bastionen des Gälischen in Schottland ist, das heute noch 60.000 Muttersprachler zählt. Obwohl das Schicksal der traditionellen Sprache ungewiss ist – die Zahl der Sprecher ist zwischen 1981 und 2001 um 30 Prozent zurückgegangen –, ist sie dennoch tief mit dem Leben und der Landschaft der Insel verwurzelt.

„Auf Skye sieht man überall Gälisch“, sagt Lady Lucilla Noble, die Besitzerin des Anwesens Eilean Iarmain. „Nicht nur auf den Straßenschildern, sondern auch in den Namen von Bergen, Inseln und Burns. Die Landschaften haben eine Wirkung auf die Menschen, und so sind Ortsnamen eine Möglichkeit, sie mit dem Gälischen vertraut zu machen.“

In einer Zeit, in der sich die Menschen nach einer Welt jenseits ihres Wohnzimmers sehnen, sind die wilden schottischen Inseln zum Inbegriff für eine Art sozial distanziertes Eintauchen in die Natur geworden. Aber Mackenzie betont: „Skye ist nicht die karge Wildnis, für die die Leute sie halten. Sie ist ein lebendiger Ort, der sich beständig weiterentwickelt.“

Das mystische Misty Island

Die Spur der Zeit ist auf meiner letzten Wanderung auf Trotternish, der nördlichsten Halbinsel von Skye, deutlich zu sehen. Wie eine Fraktur an einem Knochen durchschneidet der Quiraing das Land: die felsigen Überreste massiver, alter Erdrutsche. Noch heute ist es einer der geologisch aktivsten Teile des Vereinigten Königreichs, der langsam unter Schichten von vulkanischem Basalt zusammenbricht. Die Straßen in der Umgebung müssen jährlich repariert werden, weil das Gebiet allmählich absinkt.

Überall in Trotternish finden sich Spuren der fernen Vergangenheit: Im nahegelegenen Staffin schlendere ich bei Ebbe am Strand entlang und halte Ausschau nach 165 Millionen Jahre alten Dinosaurier-Spuren, während die Mealt Falls mit erdgeschichtlicher Dramatik über eine steile Klippe ins Meer stürzen.

Natürliche Felsformationen, kegelförmige Hügel mit versteckten Teichen und verstreute Wasserfälle verleihen Skyes Fairy Glen seinen mystischen Charme.

Foto von Ruben Galvez, Alamy

Am faszinierendsten ist der Old Man of Storr, eine markante Felsformation, die angeblich die Überreste eines verstorbenen Riesen sind. Nachdem ich Mackenzie verlassen habe, wandere ich zu ihm hinauf, über Hänge und schädelweiße Stümpfe gefällter Kiefern. Es ist still, abgesehen von einem dünnen, kalten Wind, der den anderen Wanderern den Atem raubt – nicht einmal die Krähen, die über die Felsen fliegen, geben Laut.

Vor mir liegt der Needle Rock: ein einsamer Finger aus bröckelndem Basalt, der aus der Erde ragt. Ich mache mir die Hände schmutzig, als ich zu seinem Fuß hinaufklettere, wo das Geröll unter meinen Füßen rutscht. Schon bald ragen die hutzeligen, felsigen Flanken des Old Man wie die Wände einer Kathedrale empor und hüllen die Szene in Schatten. Ich habe den Drang, weiterzuklettern, aber stattdessen bleibe ich eine Weile sitzen und genieße diesen spektakulären Unfall der Natur. Die Stille ist fast schon spirituell.

Von hier oben wirkt Skye wie eine Erinnerung – weit genug weg, um fast selbst schon ein Mythos zu sein. Am Himmel ziehen Wolken vorbei, die von Sonnenstrahlen durchbrochen werden. So schnell, wie sie aufgetaucht sind, ziehen sie mit dem Wind davon – wie Feinde auf der Flucht vor einer Kriegerkönigin.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

 

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