Instagram-Tourismus: Warum sich immer mehr Orte wehren

Auf der Suche nach dem perfekten Foto für Social Media pilgern inzwischen so viele Menschen zu den schönsten Flecken der Erde, dass viele Gemeinden und Regionen gegen Overtourismus vorgehen.

Diese Hängebrücke in den Zillertaler Alpen wurde zum Instagram-Hotspot. Viele Wanderer posten in den sozialen Netzwerken perfekt inszenierte Bilder der Brücke – ein Geheimtipp ist sie dadurch schon lange nicht mehr.

Foto von Mirjam Claus, AdobeStock
Von Anna-Kathrin Hentsch
Veröffentlicht am 6. Aug. 2021, 18:03 MESZ

Sie generieren die meisten Likes und Klicks: Fotos von idyllischen Orten in der Natur, auf denen eine einzelne Person die Ruhe und Einsamkeit vor phänomenaler Kulisse genießt. Das Paradoxe: Während das Foto entsteht, sind die Abgelichteten alles andere als einsam und einzig umgeben von Natur. Denn unzählige Menschen stehen schon Schlange, um das gleiche Foto für den eigenen Social Media-Account zu machen. „Man hat den Eindruck, dass es Instagram-Touristen weniger um die Naturerfahrung für sich selbst geht, sondern darum, sich mit dem Bild vor anderen besonders toll darstellen zu können“, erklärt Thomas Frey vom Bund Naturschutz Bayern. „Je exotischer, desto größer der Wow-Effekt, auch wenn der Aufenthalt vielleicht wenig erholsam, interessant oder harmonisch war.“

Kommen, knipsen, weiterziehen 

Urlaubserinnerungen über Fotos zu teilen, ist nicht neu. „Schon vor Instagram hatte man den Eindruck, dass die Erzählungen oder analogen Bilder eine Reise extrem überhöht haben. Instagram hat die Darstellungssucht nur erleichtert und die Reichweite erhöht“, so Frey. Mit teilweise schwerwiegenden Folgen für die Natur. Denn die neuartigen Instagram-Touristen kommen nur für ein Foto und nehmen dafür auch Anfahrten von mehreren hundert Kilometern in Kauf, wie eine Umfrage des Nationalparks Berchtesgaden ergab.

Um möglichst schnell an den fotogenen Hotspot zu gelangen, zerstören sie durch Trampelpfade die Natur, lassen Müll liegen und vertreiben mit Drohnen und Lärm die Tiere. „Liegen diese Fotopunkte in sensiblen Räumen, kann das erhebliche Auswirkungen auf die Natur haben, sei es für störungsempfindliche Tierarten oder für die Vegetation“, bestätigt Frey. Oft seien Sonnenaufgangstouren in den Bergen besonders beliebt, doch gerade die Dämmerungsstunden gelten als besonders sensible Zeiten für die Tiere. Dazu kämen noch indirekte Auswirkungen, wie ein erhöhtes Verkehrsaufkommen, das zu erheblichen CO2-Emissionen und Flächenversiegelung durch den Bau neuer Parkplätze führe.

Nach Erreichen des Gipfels wollen Wanderer auf ein Selfie als krönenden Abschluss meist nicht verzichten. Problematisch wird es jedoch, wenn dieses Beweisbild die einzige Motivation für eine Reise in die Berge ist.

Foto von Anton Petrus, AdobeStock

Schluss mit lustigen Fotos

Zum Schutz der Natur hat erst kürzlich das Landratsamt Berchtesgaden den Bereich um die #gumpen des Königsbach-Wasserfalls oberhalb des Königssees geschlossen. Der einzigartige Ort wurde in den letzten Jahren von immer mehr Instagram-Touristen aufgesucht, wie Carolin Scheiter von der Nationalparkverwaltung Berchtesgaden sagt: „Die Gumpen am Königsbach Wasserfall waren immer eine Art wohlgehütetes Geheimnis der Einheimischen, die zum Baden und Lesen dorthin gingen. Einen exponentiellen Anstieg an Instagram-Touristen beobachten wir seit ungefähr drei Jahren, bedingt durch die Posts und Hashtags auf Instagram, wie es scheint.“

Während sich nach wie vor die meisten Besucher des Nationalparks vorbildlich benähmen, also auf den vorgegebenen Wegen blieben, in Hütten schliefen und ihren Müll nicht liegen ließen, steige mit der allgemeinen Zunahme der Touristen auch der Anteil an Gästen, die sich eben nicht so verhielten. Darunter auch jene, die nur für das eine Foto in den Nationalpark kommen: „Normalerweise kommen Besucher und wollen wandern, sich erholen und die Natur genießen. Das ist bei Instagram-Touristen anders. Ihnen geht es primär um das eine Foto, für dass sie sogar längere Wartezeiten in Kauf nehmen.“ Zeitweise habe es lange Schlangen an dem natürlichen Pool gegeben. „Jeder durfte fünf Minuten rein und trat direkt den Rückweg an“, berichtet Scheiter. Das größte Problem sei dabei, dass die Gumpen weitab des Wegenetzes liegen. „Deshalb haben die zahlreichen Trampelpfade auch solche Probleme verursacht. Jeder muss sich für ein Foto durch das Gebüsch schlagen. Die GPS-Daten findet man nur im Internet, denn es gibt keine Beschilderung seitens des Parks“.

BELIEBT

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    Das hat Tiere und Pflanzen großflächig so gestört, dass das Landratsamt eine Sperrverordnung der umliegenden 11 Hektar für zunächst fünf Jahre erlassen hat. „Wir sind darüber wirklich traurig. Den Park gibt es seit 1978, erstmals musste nun ein Bereich für Besucher gesperrt werden“, so die Sprecherin des Nationalparks. „Doch in einem Nationalpark steht der Schutz der Natur an erster Stelle, so steht es in der Verordnung.“ Wenn ein Teil so stark unter der touristischen Nutzung leide, dass dort nachhaltige Schäden entstehen, greife das Gesetz. Der Natur müsse Vorrang eingeräumt werden, um solche Plätze vor den Menschen schützen. „Wir haben uns trotz Information und Kampagnen nicht mehr in der Lage gesehen, diesem unglaublichen Run irgendwie Einhalt zu gebieten.“

    Städtetrip zukünftig nur noch mit Termin? 

    Für das Phänomen, dass beliebte Reiseziele und Sehenswürdigkeiten von Touristen überrannt werden, gibt es seit einigen Jahren einen Namen: Overtourismus. Er steht im Gegensatz zum nachhaltigen Handeln, denn ökologischen und sozialen Grundsätzen wird wenig Beachtung geschenkt.

    Mit der weltweit wachsenden Mittelschicht steigt auch die Zahl derer stetig, die ihr Einkommen für Reisen ausgeben. Dazu ist Reisen billig wie nie. Beispielsweise ist die Gästezahl in den bayerischen Alpengemeinden in den letzten 20 Jahren um rund 37 Prozent gestiegen. Die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) prognostizierte vor der Pandemie ein jährliches Wachstum der internationalen Touristenankünfte von mindestens vier Prozent. Das verursacht weltweit Probleme für die Natur, Städte und deren Bewohner.

    Und die Stimmung kippt, denn egal ob Venedig, Garmisch oder am Mount Everest: Es ist zeitweise so überlaufen, dass es nicht nur den Einheimischen, sondern auch den Touristen zu viel wird. Ein entspannter Besuch in der unberührten Natur oder einer idyllischen Kleinstadt ist fast unmöglich geworden. Die 780 Einwohner des österreichischen Örtchens Hallstatt treffen jährlich auf eine Million Besucher, die größtenteils nur für ein Foto anreisen: Ein Bild mit dem malerischen See, zwei Kirchen und den Holzhäusern. So ist das Leben in dem idyllischen Ort fast unmöglich geworden, seitdem #hallstatt UNESCO Weltkulturerbe und Instagram-Hotspot ist. Viele Einheimische spielen inzwischen mit dem Gedanken wegzuziehen, Profiteure gibt es wenige.

    Immer mehr Urlaubsorte werden von Touristen geradezu überrannt. An entspannte Ferien in der Natur ist so nicht mehr zu denken.

    Foto von AdobeStock

    Während die Südeuropäer ihren Unmut über die Touristenmassen seit ein paar Jahren bei „Tourist Go Home“- Protesten Luft machen, will man in Deutschland so schlechter Stimmung vorbeugen. Denn auch hierzulande ärgern sich immer mehr Einheimische über den Ansturm der Wochenend-Touristen auf Berlin und den Tegernsee, sowie die steigende Zahl an Flusskreuzfahrt-Touristen, die für wenige Stunden Städte wie Bamberg oder Regensburg überschwemmen.

    Einwohnerbefragungen zeigen Stimmung

    Um ein Stimmungsbild und die Auswirkungen des Tourismus auf die Bewohner einzufangen, wurden in den vergangenen Jahren in mehreren deutschen Städten wie Kiel, Heiligenhafen oder Neustadt-Pelzerhaken-Rettin Einwohnerbefragungen zum Thema Tourismusakzeptanz durchgeführt. Auch auf der Insel Föhr läuft eine solche Befragung gerade.

    In den Befragungen in Kiel und Heiligenhafen heisst es, dass das lokale Tourismusangebot nur dann erfolgreich sein könne, „wenn auch die einheimische Bevölkerung mit der Situation vor Ort zufrieden ist und gerne dort lebt und arbeitet, wo andere Urlaub machen.“ Tourismus solle nicht nur Gästeankünfte und Übernachtungen „produzieren“, sondern vor Ort Wohlstand und Wohlfahrt schaffen und die Lebensqualität auch für die eigene Bevölkerung verbessern. Ziel der Befragung sei es, eventuelle Missstände zu entdecken und zu beheben.

    Während in Kiel jeder zehnte Bewohner die Anzahl der Touristen insgesamt als zu hoch empfindet und vor allem das Volumen der Kreuzfahrtgäste kritisch bewertet wird, werden die negativen Effekte des Tourismus in Heiligenhafen noch stärker wahrgenommen: 85 Prozent der Befragten empfinden den Ort als zeitweise zu voll, fast die Hälfte der Befragten fühlen sich durch die Touristen in ihrem Alltag gestört und deutlich mehr als ein Drittel fühlen sich sogar nicht mehr richtig zu Hause.

    Hohe Preise, zu viele touristische Unterkünfte und Verkehrsprobleme werden in allen drei Befragungen als negative Effekte genannt. Deshalb arbeite man nun an einer nachhaltigen Tourismusstrategie, damit sich der Tourismus im Einklang „mit den natürlichen Gegebenheiten der Region, der Identität des Ortes und den Bedürfnisse der Einheimischen“ entwickelt, wird der Bürgermeister von Neustadt in Holstein Mirko Spieckermann in der Befragung zitiert.

    Wie so eine Strategie aussehen kann, zeigt die kürzlich erlassene Verordnung der Stadt Amsterdam, in der die maximalen Touristenübernachtungen pro Jahr geregelt sind. Ausschlaggebend war eine Bürgerinitiative, deren Petition eine Obergrenze für Touristen forderte. Die Verordnung erlaubt nun jährlich zwölf Millionen Übernachtungen statt der bisherigen fast 22 Millionen.

    Neben weiteren Maßnahmen fordert der Bund Naturschutz für den bayerischen Alpenraum im Prinzip dasselbe. „Die Erholung in der freien Natur ist ein Grundbedürfnis der meisten Menschen. Es muss jedem die Möglichkeit gegeben sein, diesem Bedürfnis auch nachzukommen. Aus gutem Grund ist das freie Betretungsrecht der Natur in der bayerischen Verfassung verankert. Nun kommt es vor allem darauf an, wie diesem Bedürfnis nachgegangen wird: Würden sich mehr Menschen an die Regeln halten, auf den Wegen bleiben und dazu mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen, dann könnte in Hotspots wahrscheinlich zukünftig auf regulative Maßnahmen verzichtet werden“, so der Sprecher des BN. Ein Silberstreif am Horizont also, den wir doch alle nur allzu gerne fotografieren.

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