Mysteriöse Ursache toter Haie (teilweise) aufgeklärt

Wissenschaftler haben eine überraschende Ursache für die Haistrandungen in Kalifornien und anderswo entdeckt, aber es bleiben noch offene Fragen.

Von Eric Simons
Veröffentlicht am 6. Nov. 2017, 15:53 MEZ
Hai
Dieser Hai, der in diesem Frühling in Kalifornien tot aufgefunden wurde, hilft Wissenschaftlern bei der Untersuchung des Problems.
Foto von Ward Kadel

Der Leopardenhai lebte noch, als er in der Bucht von San Francisco ins Wattenmeer gespült wurde, unweit des Rollfelds des San Francisco International Airport. Ein Jagdaufseher fand ihn dort, wie er sterbend und schlaff im flachen, braunen Wasser zuckte.

Der Jagdaufseher kontaktierte die Pelagic Shark Research Foundation, eine Haischutzgruppe aus Monterey in Kalifornien. Der Geschäftsführer der Gruppe fuhr nach San Francisco, verstaute den mittlerweile toten Hai in einer Kühlbox und schickte ihn an Mark Okihiro.

Okihiro ist ein Chefpathologe für Fische bei der kalifornischen Behörde für Fische und Wildtiere, wo er Krankheiten an den Laichplätzen des Weißen Seebarsch feststellt und auswertet. In letzter Zeit fungiert er in seiner Freizeit jedoch als führender Experte für die Todesursache von Haien, die von Menschen gefunden wurden. In den letzten Jahren hat er die Leichen von gestrandeten Makohaien, Fuchshaien, Weißen Haien, Leopardenhaien und Lachshaien untersucht. Er leitete eine Untersuchung des 2011er Massensterbens in der Bucht von San Francisco, dem seiner Schätzung nach Tausende von Leopardenhaien und Kalifornischen Adlerrochen zum Opfern gefallen sind.

Auch wenn die eigentlichen Ursachen und Umstände der Strandungen sich unterscheiden, scheinen sie alle auf tödliche Hirninfektionen zurückzuführen sein. Obwohl einzelne Massenstrandungen mittlerweile öfter vorzukommen scheinen und mehr Arten betreffen, gibt es laut Forschern nur wenig Daten darüber und nicht genügend finanzielle Mittel, um dem nachzugehen.

„Wir wissen, dass Massenstrandungen auch in der Geschichte vorkamen“, sagt der Haibiologe Chris Lowe von der California State University Long Beach. „Es ist schwer zu sagen, ob diese [jüngsten Strandungen] von menschengemachten Aspekten angetrieben werden oder von Klimaproblemen oder von einer Kombination aus beidem. Und natürlich ist es das, was jeder wissen will. Sehen wir hier etwas, das häufiger vorkommen wird, nicht nur in der Bucht von San Francisco, sondern auf der ganzen Welt?“

ANSTIEG DER HIRNERKRANKUNGEN

Es gab bis vor ein paar Jahren praktisch keine Berichte über Hirnkrankheiten in Haien. 2007 fanden Wissenschaftler einen gestrandeten Riesenhai an der Ostküste Schottlands und stellten Meningoenzephalitis als Todesursache fest. In einer Abhandlung aus dem Jahr 2010, die im „Journal of Comparative Pathology“ erschien, vermerkten sie, dass nur „wenige Krankheiten in Haiarten verzeichnet wurden, und keine beim Riesenhai.“ Andere Abhandlungen erwähnten eine Hirnkrankheit bei einem Sandbankhai, die durch Vibrionen verursacht wurde, sowie in wilden Ammenhaien, die mit Fadenwürmern infiziert waren.

2012 identifizierten Wissenschaftler eine Infektion, die durch Carnobacterium maltaromaticum ausgelöst worden war, als Ursache für Hirnhautentzündungen von Lachshaien und nachfolgende Strandungen an der Westküste. Solche Strandungen wurden zwischen Baja California und dem Golf von Alaska seit Jahrzehnten immer wieder gemeldet. Diese Bakterien kommen ganz normal im Wasser vor sowie im Darm gesunder Kaltwasserfische wie Lachs und Forelle. In Haien sind sie allerdings untypisch.

Aus Gründen, die Forscher bisher noch nicht verstehen, werden diese Bakterien also manchmal zu Krankheitserregern. Sie dringend über Ohren oder Nase in den Hai ein, sagt Lowe, und „fressen sprichwörtlich sein Gehirn“. Dadurch verursachen sie Orientierungslosigkeit und schließlich den Tod des Tieres.

Okihiro und Laura Martinez-Steele, eine Doktorandin in Lowes Labor an der CSU Long Beach, fanden das Cranobakterium in den erkrankten Gehirnen kürzlich gestrandeter Fuchshaie. Bis vor vier oder fünf Jahren waren von dieser Art keine Strandungen bekannt. Im Dezember 2016 wurde ein Makohai im Süden Kaliforniens angespült – die erste verzeichnete Strandung dieser Art. Lachshaie, Fuchshaie und Makohaie sind eng miteinander verwandt, und tatsächlich war die Ursache wieder das Cranobakterium.

„Drei Arten mit der gleichen Infektion, alle drei verwandt“, sagt Martinez-Steele. „Es könnte sein, dass wir von diesen Vorgängen Kenntnis erhalten, weil wir Haie jetzt einfach genauer erforschen. Dann wiederum haben wir Berichte von [gestrandeten] Lachshaien, die weit zurückreichen. Es wäre also logisch, dass man auch andere Haie sehen würde. Es ist schwer zu sagen, weil wir so wenig wissen.“

Am 8. April 2017, einen Tag vor Entdeckung des Leopardenhais in der Bucht von San Francisco, wurde ein junger Weißer Hai ins flache Wasser eines beliebten Surfstrands in Santa Cruz gespült. Während Schaulustige die Szene mit ihren Handykameras festhielten, versuchten einige Freiwillige, ihn ins Wasser zurückzuschieben. Der eindeutig orientierungslose Hai schwamm allerdings nicht davon und wurde später tot an einem Landungssteg in der Nähe angespült.

Haie könnten in Küstennähe anfälliger für Krankheiten sein, allerdings sind sie dort auch sicherer vor ihren natürlichen Feinden.
Foto von Henry Hernandez

Als er den Hai öffnete, fand Okihiro Blutungen im Gewebe, welches das Hirn des Hais umgab. Das ließ darauf schließen, dass er an einer Infektion gestorben war. Weiße Haie gehören zur selben Familie wie Lachshaie, Fuchshaie und Makohaie. Daher erwartete Okihiro, dass er auch hier das Cranobakterium finden würde. Das tat er aber nicht. Das Gehirn des Weißen Hai schien von etwas völlig Anderem befallen zu sein.

DIE SUCHE NACH DEM MÖRDER

Die Haistrandungen gingen weiter. Noch während Okihiro Proben des Weißen Hais zu weiteren Untersuchungen an diverse Pathologielabore schickte, wurden noch mehr Leopardenhaie in der Bucht von San Francisco angespült. Ein Paar, das am Strand von Foster City spazieren ging – einem kleinen Vorort, der an der Bucht gebaut wurde und künstlich geschaffene Lagunen besaß –, meldete 20 tote oder sterbende Haie an einem einzigen Strandabschnitt. Mehr Meldungen kamen aus Berkeley, Oakland und von anderswo herein und summierten sich auf Hunderte toter Haie in der Bucht, allesamt in der zweiten Maiwoche.

Okihiro nahm Proben aus dem Innenohr, der Rückenmarksflüssigkeit und aus dem ans Hirn grenzende Gewebe der toten Leopardenhaie. Er tat die Proben in eine Petrischale, um zu sehen, ob sich dort Bakterien vermehren würden. Eine Woche lang sah er gar nichts, also weit jenseits des Zeitpunkts, an dem das Cranobakterium sichtbar geworden wäre. Er begann sich zu fragen, ob der Übeltäter vielleicht ein Virus war, der in seinem Algenpräparat nicht auftauchen würde.

Aber dann, zehn Tage nach dem Beginn des Tests, wuchs in der Schale eine Pilzkolonie. Okihiro hatte nun das, was er als Indexpatienten bezeichnete. Eine Pilzkolonie tauchte kurz darauf in einer Schale mit Proben des zweiten Leopardenhais auf, den er untersucht hatte.

Acht weitere Leopardenhaie, die Okihiro analysiert hatte, zeigten Anzeichen von Pilzinfektionen, auch wenn die meisten von ihnen noch keine Pilze in Petrischalen hervorgebracht haben. Okihiro glaubt, dass das daran liegen könnte, dass die Haie schon tot waren, als er sie eingesammelt hat. Dadurch haben die Pilze ihre Reproduktion eingestellt. Die bisherigen negativen Resultate bedeuten aber nur, dass sich noch nichts Genaues sagen lässt.

„Bisher ist es nur eine Hypothese“, sagt er. „Hypothetisch glauben wir, dass ein pilzlicher Krankheitserreger sich in stehenden Gewässern vermehrt, in Salzsümpfen, in sich langsam bewegenden Salzwassertümpeln, die durch die südliche Bucht mäandern, und in den künstlichen Lagunen von Foster City und Redwood Shores.

Die Todesfälle ereignen sich im Frühling, so Okihiro, weil die Leopardenhaie sich dann üblicherweise in kleinen Gruppen im flachen Wasser sammeln, wo die Pilzkonzentration explosionsartig angestiegen ist.

Theoretisch, meint Okihiro, könnten Forscher die Pilzart isolieren – sie stammt aus der Penicillinum-Gattung – und dann nach DNA-Signaturen dieser Art in den konservierten Gewebeproben des Leopardenhaisterbens von 2011 suchen. Eine Übereinstimmung würde es Biologen ermöglichen, einen Test für die Pilze im Wasser zu entwickeln und herauszufinden, ab wann die Konzentration tödlich wird. So könnten sie in Zukunft potenziell die Bedingungen verhindern, die zu dem Sterben der Haie führen.

An diesem Punkt muss die Untersuchung allerdings der Realität der meisten Haiuntersuchungen ins Gesicht sehen: Es gibt einfach kein Geld dafür, sagt Okihiro, und es gibt noch immer so viele Fragen.

WELCHE BEDINGUNGEN FÜHREN ZU ERKRANKUNG?

Zum Beispiel ist es wahrscheinlich, dass Kaliforniens Rekordregenfälle in diesem Jahr eine Rolle in dem Haisterben spielten. Sie könnten zum Beispiel die pilzlichen Krankheitserreger und andere Toxine aus den Lagunen und Tümpeln ins Meer gespült haben oder den Salzgehalt der Bucht verringert haben, was die Haie schwächte und dem Pilz ermöglichte, größeren Schaden anzurichten. Es ist aber auch möglich, dass es einfach ein normales Krankheitsereignis ist: Strandungen und Massensterben sind in der Meereswelt halbwegs üblich und betreffen allerlei Arten, von wirbellosen Tieren bis hin zu Walen. Es kann Jahre dauern zu bestimmen, was passiert ist.

Es ist auch möglich, dass dies nur ein Anzeichen wachsender Haipopulationen ist. Verordnungen zum Fischen in Küstennähe und zur Wiederherstellung von Lebensräumen haben dazu beigetragen, dass sich in den letzten 50 Jahren die Populationen der Leoparden- und Fuchshaie erholt haben. Keine der beiden Arten ist so gut untersucht, dass man die Größe ihrer Population vor den menschlichen Eingriffen kennt. Und mit dem Abnehmen der Bedrohungen für die Haie verblasst selbst ein Haisterben mit Hunderten Tieren im Vergleich zu der globalen Bedrohung der Überfischung und des Beifangs. Dadurch sterben schätzungsweise 100 Millionen Haie jedes Jahr.

„In den letzten 20 Jahren gab es zunehmend Studien, welche Schadstoffe in Haien untersuchten“, sagt Lowe. „Aber andere Fische sind besser untersucht. Es gibt schon Leute, die das versuchen, aber es ist teuer. Und solange das nicht zu einem ernsthaften Problem für Menschen oder Wildtiere wird, gibt es dafür kein Geld.“

Während die pilzlichen Krankheitserreger die Leopardenhaie ohne Unterschied befallen haben, scheinen die Lachs-, Fuchs- und Makohaie, die angespült wurden, hauptsächlich Jungtiere zu sein. Martinez-Steele sagt, dass das bedeuten könnte, dass die Haie schon im Mutterleib von dem Krankheitserreger oder von Schadstoffen befallen werden und kein Immunsystem entwickeln, um eine Infektion wie ein erwachsener Hai zu bekämpfen. Oder es könnte sein, dass wir nicht ganze Bild sehen wie bei Leopardenhaien.

„Die Jungtiere leben an der Küste“, sagt sie. „Das ist ihr Kinderzimmer. Dort sind sie geschützt. Könnten erwachsene Tiere davon auch befallen werden und dann einfach nicht stranden, weil sie weiter weg von der Küste sind?“

Lowe sagt, dass er mit einem unbegrenzten Budget zuerst versuchen würde, das Mikrobiom der Haie zu untersuchen, die nicht von menschlichem Einfluss beeinträchtigt sind. Die Erforschung der Mikroben im Menschen hat erstaunliche Erkenntnisse darüber zutage gefördert, was einen Menschen gesund macht. Vielleicht könnte sie uns auch dabei helfen zu verstehen, was bei manchen Haien zu Krankheiten und Strandungen führt.

„Wir haben keine Ahnung, wie das normale Mikrobiom eines gesunden Hais aussehen sollte“, sagt er.

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