Stadtleoparden und ihr Nutzen für die menschliche Gesundheit

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Mumbais Leoparden pro Jahr etwa 90 Fälle von Tollwut verhindern könnten.

Von Sarah Gibbens
Veröffentlicht am 16. März 2018, 16:24 MEZ
Leopard
Eine Kamerafalle hat einen Leoparden im Sanjay-Gandhi-Nationalpark abgelichtet.
Foto von Steve Winter, National Geographic Creative

Mumbai ist eines der am dichtesten besiedelten Stadtgebiete des Planeten, und im Umkreis des großen Sanjay-Gandhi-Nationalparks der Stadt hat sich ein eigenwilliges Ökosystem entwickelt.

Etwa 40 Leoparden wurden mit einem Rückgang von Tollwutfällen in Verbindung gebracht. In Indien erliegen pro Jahr ungefähr 20.000 Menschen der Krankheit.

Der Zusammenhang? Anscheinend fressen die Großkatzen herumstreunende Hunde, die von Tollwut befallen sind.

Im Rahmen einer neuen Studie, die in „Frontiers in Ecology and the Environment“ erschien, wurden die Auswirkungen der Großkatzen auf die anderen Tiere und Menschen der Region untersucht.

Einer der Autoren, Alex Braczkowski, war 2015 im Park, um Filmaufnahmen für eine Produktion des National Geographic Channel zu machen, als ihm die klare Grenze des Parks auffiel: Auf der einen Seite dominierte das Grün der Pflanzen, auf der anderen die dicht bevölkerte Stadt.

Als ein Leopard vorbeilief, „fing jeder Hund in Mumbai zu bellen an“, sagt er.

Vorherige Studien hatten gezeigt, dass die Hunde die Hauptbeute der örtlichen Leoparden sind, die sich aber auch von wilden Tieren im Park ernähren, zum Beispiel von Wild und Schweinen.

Anhand des Nahrungsbedarfs eines Leoparden und der Größe der Hunde schätzen Wissenschaftler, dass die Großkatzen pro Jahr etwa 1.500 Hunde erlegen.

INDIENS WILDE HUNDE

In Indien leben etwa 30 Millionen Streuner, davon etwa 100.000 allein in Mumbai, wie man in einem Bericht der indischen Regierung aus dem Jahr 2014 nachlesen kann.

Das Töten von Hunden ist in Indien illegal, und derzeit bemüht sich die Regierung großflächig um die Sterilisation der Tiere, um den enormen Bestand zu verkleinern. Wenn die Leoparden also tatsächlich etwa 1.500 Hunde pro Jahr töten, spart das der Regierung ungefähr 18.000 Dollar im Jahr.

In der Nähe des Parks war die Hundedichte laut der Studie etwa zehnmal niedriger als im Stadtdurchschnitt.

Die Forscher bildeten den statistischen Durchschnitt für Fälle von Hundebissen und Tollwut in der Region und leiteten daraus ab, dass Leoparden ungefähr 1.000 Bisse und 90 mögliche Tollwutfälle verhinderten.

„Das ist ein Service des Ökosystems, über den wir gar nicht nachdenken“, sagt Braczkowski.

Der potenzielle finanzielle und gesundheitliche Nutzen von Leoparden in der Nachbarschaft könnte auch die Bemühungen zum Erhalt des Parks unterstützen.

Mit einer Fläche von knapp über 80 Quadratkilometern ist Sanjay Gandhi eine der wichtigsten Grünflächen Mumbais. Dieser Lebensraum der Leoparden wird aber durch Pläne für neue Infrastrukturprojekte bedroht.

DIE BEDEUTUNG DER JÄGER

Allerdings sollte man nicht vergessen, dass die Fleischfresser auch Menschen gefährlich werden können. Statistisch gesehen kommt es zwar nicht oft vor, aber die Tiere greifen auch Menschen an und töten sie mitunter. Außerdem fressen sie Nutztiere, von denen die Menschen in der Region oft abhängig sind.

Dennoch betonen Naturschützer, wie wichtig es ist, den Lebensraum der Großkatzen zu schützen, damit Konflikte mit Menschen möglichst vermieden werden können. Stattdessen böte es sich im Zweifelsfall eher an, einzelne Tiere zu töten, die problematisch werden. Letztendlich tragen die Leoparden aber zur Stabilisierung ihrer Beutetierpopulationen bei und halten damit das Ökosystem im Gleichgewicht.

Sichtbar wird das am Beispiel von Geiern: Deren Bestand ist in den letzten 20 Jahren in Indien katastrophal geschrumpft, nachdem ein Medikament für Rinder in die Umwelt gelangte, das sich als tödlich für die Vögel erwies. In der neuen Studie legen die Forscher ihre Theorie dar, dass durch den Rückgang der Geier mehr Aas verfügbar war, das auch mehr streunende Hunde anlockte.

BELIEBT

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    Ähnliche Auswirkungen menschlichen Handelns konnten auf der ganzen Welt beobachtet werden. In den USA schlug der Rückgang der Berglöwen beispielsweise gefährliche Wellen.

    Eine Studie aus dem Jahr 2016 kam zu dem Schluss, dass der schrumpfende Bestand der Berglöwen im Osten einen regelrechten Boom in der Population von Weißwedelhirschen nach sich zog. Das wiederum führte zu vermehrten Wildunfällen und erklärt vermutlich teilweise den Anstieg der Fälle von Lyme-Borreliose, da sich die entsprechenden Zecken gern an Weißwedelhirschen festsaugen.

    Der Yellowstone-Nationalpark konnte eine Reihe positiver Veränderungen verzeichnen, nachdem Mitte der Neunziger einer ihrer berühmtesten Jäger – der Wolf – in den Park zurückgebracht wurde. Die Fleischfresser trugen schlussendlich zu einer Zunahme des Biberbestandes und zu einem verbesserten Waldwachstum bei. Zuvor hatte der Mangel an Wölfen dazu geführt, dass die Elche des Parks nicht so viel umherzogen, um den Jägern auszuweichen. Stattdessen verbrachten sie mehr Zeit damit, im Winter die jungen Weiden zu fressen, auf die die Biber angewiesen sind.

    Solche zusammenhängenden Veränderungen innerhalb eines Ökosystems bezeichnet man als trophische Kaskade, die oft zu beobachten ist, wenn eine entscheidende Tierart aus dem System entfernt wird.

    Die Leoparden in Indien haben bereits 80 Prozent ihres Lebensraums eingebüßt, finden im Sanjay-Gandhi-Nationalpark bisher aber noch einen Zufluchtsort.

    „Wir wissen nicht, wie es wirklich ist, mit diesen Tieren zusammen zu leben“, sagt Brazckowsk über das Leben in der Nähe dieser tödlichen Großkatzen. Aber er hofft, dass seine Studie zeigt, wie diese Tiere auf indirektem Weg Leben retten können.

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