Bärenmütter kümmern sich länger um ihre Jungtiere – eine Folge der Bejagung?

Die Ergebnisse einer neuen Studie könnten auch Rückschlüsse auf die weitere Entwicklung der Braunbären liefern.

Von Elaina Zachos
Veröffentlicht am 6. Apr. 2018, 10:29 MESZ
Braunbärin mit Jungtier
Eine Braunbärin mit ihren Jungen in einem finnischen Wald.
Foto von Winfried Wisniewski, Minden Pictures, National Geographic Creative

Schon seit Jahren dokumentieren Wissenschaftler Veränderungen im Verhalten skandinavischer Braunbären bei der Aufzucht ihrer Jungen. Schwedische Bären haben eine der weltweit schnellsten Reproduktionsraten dieser Tierart und gleichzeitig scheint es so, als würden die Weibchen mehr Zeit mit ihren Jungen verbringen.

„Wir waren auf der Suche nach Beweisen und das hat dann neue Fragen aufgeworfen“, sagt Joanie Van de Walle, eine Doktorandin des biologischen Instituts der Université de Sherbrooke in Québec in Kanada.

Van de Walle ist Mitglied eines internationalen Wissenschaftlerteams, das Forschungsdaten der letzten Jahrzehnte akribisch durchforstete. Sie untersuchten dabei diese ungewöhnliche Entwicklung innerhalb der Bärenpopulationen in Schweden. Dabei legten sie besonderes Augenmerk auf die Lebenswege hunderter Bärinnen und stellten fest, dass die Mütter ihre Jungtiere inzwischen rund ein Jahr länger aufziehen als in der Vergangenheit.

Laut einer Studie, die am 27. März in der Fachzeitschrift „Nature Communications" veröffentlicht wurde, könnte dieses Verhalten auf menschliche Einflüsse zurückzuführen sein. Eine Population von etwa 3.000 Bären, die um bis zu fünf Prozent pro Jahr steigt, kann durch nachhaltige Jagd konstant gehalten werden. Die Veränderung im Verhalten von Bärenmüttern, die ihre Jungen nun länger bei sich behalten, könnte in direktem Zusammenhang mit der Jagdgesetzgebung stehen.

Der Mensch greift in die Natur ein, wenn er Tiere tötet. Er kann die Natur jedoch ebenso beeinflussen, indem er bestimmte Tiere nicht tötet. Langfristig gesehen könnte dies auch Konsequenzen für die Evolution des Braunbären haben.

Grizzly-Forschung

Evolutionär gesehen ergibt es keinen Sinn für ein Wildtier, weniger Nachkommen zu produzieren und die Zeitspanne der Aufzucht auszudehnen. Angesichts eines hohen Jagddrucks wäre es logisch, wenn Braunbären so viele Jungtiere wie möglich hervorbringen würden. Doch die Forschungsergebnisse des Teams stehen in Widerspruch dazu.

BELIEBT

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    Die Wissenschaftler untersuchten das Datenmaterial der letzten 22 Jahre und die Lebenswege von mehr als 500 Bärenweibchen, oftmals von ihrer Geburt bis zum Tod. Sie fanden heraus, dass in den Jahren vor 2005 nur etwa sieben Prozent der Bärenmütter ihre Jungen eineinhalb Jahre lang bei sich behielten. Die Studie belegt, dass mehr als 36 Prozent der Weibchen im Zeitraum von 2005 bis 2015 ihre Jungen ein zusätzliches Jahr lang aufzogen. Die Zeitspanne der Aufzucht hat sich verändert, die Verhaltensmuster der Bärenmütter während dieser Zeit sind jedoch gleich geblieben.

    Der Jagddruck in Schweden ist hoch und daher überraschten die Erkenntnisse der Studie die Wissenschaftler. Setzt man sie jedoch in Bezug zu einem relativ neuen Gesetz, ergeben die Daten mehr Sinn. Das Gesetz verbietet in Schweden den Abschuss von weiblichen Bären, solange diese Jungtiere führen. Es ist also ein doppelter Vorteil für Bärinnen, möglichst lange in Familiengruppen zu leben: Zum einen schützt es sie vor Jägern, zum anderen haben sie mehr Zeit, sich um ihre Jungtiere zu kümmern.

    „Ein einzelgängerisches Weibchen wird in Schweden mit einer viermal höheren Wahrscheinlichkeit abgeschossen als eines mit Jungtier“, sagte Jon Swenson, ein Professor des Department of Ecology and Natural Resource Management an der norwegischen Universität für Umwelt- und Biowissenschaften, in einer Presseerklärung.

    Außerdem verschafft die verlängerte mütterliche Fürsorge den Jungen eine höhere Überlebenschance. Die Forscher fanden heraus, dass weibliche Jungtiere, die länger bei ihren Müttern geblieben waren, in der Regel ihr zweites Lebensjahr überstanden. Dagegen erreichten 22 Prozent der Jungtiere, die bereits nach eineinhalb Jahren abgesetzt worden waren, nicht das dritte Lebensjahr. Zusätzlich zur Bejagung durch den Menschen drohen allen Jungtieren, die früh von ihrer Mutter getrennt werden, mehr Gefahren. Sie werden häufiger von anderen Bären im Kampf um Reviere oder Nahrung getötet.

    Diese neue Entwicklung, sich langsamer fortzupflanzen, dafür aber mehr Zeit in die Aufzucht der Jungtiere zu investieren, „hat Vorteile gegenüber der schnellen Fortpflanzung“, sagt Van de Walle.

    Strukturwandel

    Wenn Weibchen ihre Jungtiere länger bei sich behalten, pflanzen sie sich weniger oft fort und produzieren dadurch im Verlauf ihres Lebens weniger Nachkommen. Bezieht man jedoch alle entscheidenden Faktoren ein, wirkt die längere Lebensspanne weiblicher Braunbären ihrer reduzierten Geburtenrate entgegen.

    „Die Weibchen, die ihre Jungtiere länger aufziehen, verlieren dadurch eine gewisse Anzahl an Möglichkeiten zur Fortpflanzung“, sagt Fanie Pelletier, eine Biologieprofessorin an der Université de Sherbrooke. „Das wird jedoch aufgewogen. Die Zusammensetzung der Population ist dann anders.“

    Die verlängerte Aufzucht führt dazu, dass mehr erwachsene Weibchen in der Population zu verzeichnen sind. Die Jagd konzentriert sich auf männliche Bären und junge Weibchen ohne Jungtiere, sagt Van de Walle. Die Jäger schießen weiterhin Weibchen ab, die ihre Jungen nur etwas über ein Jahr lang führen. Da aber insgesamt gesehen weniger erwachsene Bärenweibchen geschossen werden können, wird die Anzahl der Bären langfristig gesehen wahrscheinlich steigen.

    Wenn Bärinnen, die sich länger um ihre Jungtiere kümmern, weibliche Nachkommen hervorbringen, werden sich diese wiederum auch länger um ihre eigenen Jungtiere kümmern. Das könnte zu einer Weiterentwicklung innerhalb der Art führen. In Nordamerika kümmern sich Braunbärinnen bereits etwa zweieinhalb Jahre um ihre Jungen.

    „Es wäre wirklich spannend zu beobachten, ob dieses Fortpflanzungsverhalten an die weiblichen Nachkommen weiteregegeben wird“, sagt Van de Walle.

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