Öl- und Gasbohrungen sorgen für weniger Vogelnachwuchs
Lärm stresst – und zwar nicht nur Menschen, sondern auch Tiere. Das kann sich auch auf die Fortpflanzung auswirken.
Wüsten gelten gemeinhin als Orte der Stille und Abgeschiedenheit. Wen es beispielsweise in das San-Juan-Becken in New Mexico verschlägt, der wird dort kaum mehr als das Säuseln des warmen Windes im Wacholder und in den Pinyon-Kiefern erwarten.
Allerdings hat ein Boom im Öl- und Gassektor die Klanglandschaft dieser Region auf den Kopf gestellt. Je nachdem, wie nah man sich an einem Bohrplatz oder einem Kompressor befindet, kann die Wüste klanglich an den Lärm eines geschäftigen Büros erinnern – oder an noch Schlimmeres.
“Einige der lautesten Stellen sind vergleichbar damit, auf der Landebahn eines Flughafens zu stehen”, sagt Clinton Francis, ein Ökologe an der California Polytechnic State University. (So klingt eine Kompressorstation.)
Francis und seine Kollegen untersuchen seit Jahren, welche Auswirkungen solcher Lärm auf das Leben in der Wüste hat. Ihre neusten Ergebnisse, die im Fachmagazin „PNAS“ veröffentlicht wurden, sind besorgniserregend.
Kurz gesagt: Blaukehl-Hüttensänger, die in der Nähe solcher Lärmquellen nisten, brüten weniger Küken aus als jene Exemplare, die einen ruhigen Nistplatz haben. Das ist besonders deshalb beunruhigend, weil Blaukehl-Hüttensänger eigentlich als robuste Art gelten, die sich von Krach nicht besonders stören lässt, erzählt Francis, der von National Geographic gefördert wurde.
Aber nicht nur das: Die Küken, die inmitten dieser industriellen Kakophonie aufwachsen, sind auch kleiner als jene aus ruhigeren Gebieten, sagt er.
EIN SEHR „DICHTER NEBEL“
Ihre Erkenntnisse sammelten die Wissenschaftler mithilfe eines Netzwerks aus 240 Nistkästen, die sie in unterschiedlicher Entfernung zu Öl- und Gasquellen in der Wüste platzierten.
Dank der Kästen konnten die Wissenschaftler die Vögel regelmäßig beobachten und die Nestbedingungen sowie das Vorhandensein von Eiern und Küken prüfen. Über eingebaute Türen an den Kästen konnte das Team die Vögel entnehmen, vermessen und Blutproben nehmen, um zu sehen, wie die Tiere auf ihre Umwelt reagierten.
Frühere Studien haben sich bereits damit beschäftigt, wie sich Lärm auf den Stresshormonspiegel oder die Fitness diverser Tierarten auswirken kann. Francis zufolge ist die Studie seines Teams aber die erste, die all diese Faktoren kombiniert, um ganz präzise festzustellen, wie sich Lärm auf die Fortpflanzung auswirkt.
Warum er das tut, ist allerdings weniger offensichtlich.
Eine im letzten Jahr von Francis veröffentlichte Studie ließ erkennen, dass es in Wüstenbereichen mit dem größten menschlichen Lärmpegel weniger Grillen, Zikaden, Heuschrecken und Ameisenwespen gab. Das könnte darauf hindeuten, dass in solchen Gebieten nistende Vögel schlichtweg weniger Nahrung finden könnten. Es ist auch möglich, dass die Vögel einfach nicht verstehen, dass der Lärm schlecht für sie ist – eine sogenannte ökologische Falle.
Der Krach könnte auch die Kommunikation zwischen ausgewachsenen Blaukehl-Hüttensängern beeinträchtigen oder die Rufe überlagern, die andere Tiere in der Gemeinschaft vor Räubern warnen.
Uns kann es schwerfallen zu verstehen, was für eine Belastung Lärm für Tiere sein kann, weil Menschen vorwiegend visuelle Lebewesen sind, erklärt Francis. Es hilft aber, sich das Hören wie das Sehen vorzustellen.
“Das ist so, als würde man durch sehr dichten Nebel wandern”, sagt er. „Stellen Sie sich mal vor, Sie würden versuchen, irgendeine Landschaft zu durchqueren und hätten dabei nur 10 bis 15 Meter Sichtweite, obwohl Sie sonst meilenweit sehen können.“
STRESSSIGNALE
Francis und seine Kollegen haben aber auch entdeckt, dass der Stresshormonpegel bei Blaukehl-Hüttensängern, Berghüttensängern und der Tyrannenart Myiarchus cinerascens sinkt, obwohl sie chronischem Lärm ausgesetzt sind.
Das ist überraschend, weil ein höherer Pegel dieser Glucocorticoide oder Stresshormone der beste Indikator für Stress ist. In diesem Fall scheint es aber so, dass der Körper der Vögel diese Reaktion abschwächen musste, um zu überleben.
“Das ist ein wirklich interessanter Fund und eine der neueren Erkenntnisse der letzten zehn Jahre darüber, wie Stresshormone funktionieren”, sagt Sue Anne Zollinger, eine Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Ortnithologie.
Insgesamt reagieren verschiedene Arten sehr unterschiedlich auf von Menschen verursachte Geräusche, sagt Zollinger. In ihrem Labor setzte sie ausgewachsene Zebrafinken einem gewissen Lärmpegel aus, die das allerdings nicht zu stören schien. Die Jungtiere hingegen wurden dadurch stark beeinträchtigt: Sie waren kleiner und alterten schneller als ihre Artgenossen, die ohne Krach aufwuchsen.
Chris McClure verweist vor allem darauf, dass die Studie mit der Vorstellung aufräumt, die Vögel würden sich an Lärm gewöhnen. McClure ist Ornithologe und der Direktor für globale Artenschutzwissenschaft für den Peregrine Fund.
„Mit anderen Worten: Wir können nicht einfach annehmen, dass die Vögel keinen Preis für ihr Verbleiben bezahlen, nur weil sie dem Lärm nicht aus dem Weg gehen.“
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