Forscher entwickeln Bürste nach Vorbild der Katzenzunge

Das Design ist effizienter als herkömmliche Bürsten und könnte die Tiere weniger allergen machen.

Von Carrie Arnold
Veröffentlicht am 20. Nov. 2018, 17:12 MEZ
Die kleinen Borsten auf Katzenzungen werden Papillae genannt. Ihre Funktionsweise inspirierte Forscher zur Entwicklung einer neuartigen ...
Die kleinen Borsten auf Katzenzungen werden Papillae genannt. Ihre Funktionsweise inspirierte Forscher zur Entwicklung einer neuartigen Bürste, die eventuell sogar dafür sorgen könnte, dass die Tiere weniger allergen wirken.
Foto von Joël Sartore, National Geographic Creative

Katzen verbringen bekanntermaßen viel Zeit mit Schlafen. Fast ebenso viel Zeit wenden sie für die Fellpflege auf – immerhin ein Viertel ihrer wachen Stunden. Das Geheimnis ihrer gründlichen Fellpflege? Die Widerhaken auf ihrer Zunge sind gebogen und haben eine hohle Spitze, wie eine Studie zeigte, die in „PNAS“ erschien. Diese kleinen Haken, die man als Papillen bezeichnet, können große Mengen Speichel vom Maul ins Fell leiten. So werden die felinen Freunde nicht nur bis auf die Haut sauber, sondern kühlen auch ihre Körpertemperatur herunter, wenn der Speichel verdampft.

„Eine Katzenzunge funktioniert wie ein intelligenter Kamm“, sagt David Hu, ein Bioingenieur am Georgia Institute of Technology und der Seniorautor der Studie.

Die Ergebnisse liefern aber nicht nur einen Einblick in die Körperpflege eines der beliebtesten Haustiere der Welt. Sie inspirierten die Wissenschaftler auch zur Entwicklung einer neuen Bürste namens TIGR („Tongue-Inspired GRooming“, also von der Zunge inspirierte Fellpflege). Der TIGR-Prototyp ist mit kleinen, gebogenen, flexiblen Borsten ausgestattet, die denen an einer Katzenzunge ähneln. Er entfernt lose Haare oder Fell von Menschen und Katzen und kann durch einfaches Drüberstreichen gereinigt werden. Möglicherweise reduziert die Bürste sogar das Allergiepotenzial der Tiere, da sie abgestorbene Hautschuppen entfernt.

Insgesamt hatten die Forscher Zungen von sechs Arten zur Verfügung: Hauskatze, Luchs, Puma, Schneeleopard, Tiger und Löwe. Mit einem Mikro-CT-Scanner sahen sie sich die Papillen der verschiedenen Zungen ganz genau an.
Foto von Kim Wolhuter, Nat Geo Image Collection

Die Forscher entdeckten, dass die schaufelförmigen Papillen den Speichel direkt bis auf die Haut bringen. Ihr Design könnte neue Möglichkeiten zur Reinigung und Verteilung von Flüssigkeiten für alle möglichen haarigen, felligen und fusseligen Oberflächen eröffnen. „Der Transport von Flüssigkeiten ist für Tiere und Ingenieure ein Problem“, sagt Singhwan Jung, ein Bioingenieur an der Cornell University, der an dem aktuellen Projekt nicht mitgewirkt hat. „Die Studie zeigt, dass Wissenschaftler die Physik grundlegender Verhaltensweisen von Tieren nutzen können, um fundamentale Fragestellungen zu beantworten.“

Cat-Scan

Hus Doktorandin Alexis Noel wurde zum ersten Mal auf die Thematik aufmerksam, als sie beobachtete, wie die Zunge ihrer Katze mehrfach hängenblieb, als das Tier eine Mikrofaserdecke ableckte. Noel hatte ihre Katze zuvor oft dabei beobachtet, wie sie sich putzte. Aber erst, als sie sah, wie die Katze eine flauschige Decke zu kämmen versuchte, begann sie, den Vorgang auf eine neue Art und Weise zu betrachten.

Die spitzen Widerhaken auf der Zungenoberseite von Katzen verleihen dem Organ eine raue Oberfläche. Diese Widerhaken verfingen sich in Noels Decke. Sie wollte herausfinden, warum diese Papillen sich so gut dafür eigneten, Knoten aus Katzenfell (und Mikrofaserdecken) zu entfernen. Ein kurzer Blick in die wissenschaftliche Literatur offenbarte, dass sich Wissenschaftler bislang fast gar nicht mit den biomechanischen Vorgängen der Katzenfellpflege beschäftigt hatten. Hu und Noel beschlossen, das zu ändern.

Als erstes brauchten sie aber Katzenzungen. Proben von verstorbenen Hauskatzen zu bekommen, war kein großes Problem. Bei Großkatzen sah das Ganze schon anders aus.

BELIEBT

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    “Es gibt nicht viele Zungen, die einfach herumliegen.”

    David Hu, Georgia Institute of Technology

    Nachdem sie monatelang Zoos und Reservate um Hilfe gebeten hatten, waren schließlich genug Zungen zusammengekommen. Insgesamt hatten sie Proben von sechs Arten: Hauskatze, Luchs, Puma, Schneeleopard, Tiger und Löwe. Mit einem Mikro-CT-Scanner sahen sie sich die Papillen der verschiedenen Zungen ganz genau an. In einer Studie aus dem Jahr 1982 war nachzulesen, dass die Papillae die Form eines hohlen Kegels haben. Dank der neuen Technologie der Forscher von der Georgia Tech zeigte sich aber, dass die Widerhaken nach hinten in Richtung der Kehle gebogen sind.

    Der Unterschied scheint klein, das ist er aber nicht, wie Hu erklärt. Die gebogene Form der Papillen ermöglicht es ihnen, Wasser bei Berührung aufzunehmen, indem sie dessen Oberflächenspannung ausnutzen. Gerade, hohle Kegel könnten das nicht.

    Katzenzungen können den Speichel bis auf die Haut der Tiere bringen. Durch die Nachahmung dieser Funktionsweise lassen sich neue Technologien entwickeln, mit denen man Cremes und Lotionen auf die Katzenhaut aufbringen könnte, ohne die betroffenen Stellen rasieren zu müssen.
    Foto von Candler Hobbs Georgia Institute of Technology, Atlanta

    „In diesen geringen Größenbereichen sind solche Unterschiede wirklich wichtig“, so Hu.

    Auch wenn jede Papille nur einen winzig kleinen Teil eines Wassertropfens weiterleiten kann, kann die Zunge einer Hauskatze im Laufe eines Tages im Schnitt 48 Milliliter auf das Katzenfell auftragen – etwa ein Fünftel eines durchschnittlichen Wasserglases mit 250 Millilitern Fassungsvermögen.

    Haarige Angelegenheit

    Die Forscher entdeckten aber auch, dass die Ausrichtung der Papillen flexibel ist. Hochgeschwindigkeitsvideos von kurzhaarigen Hauskatzen, die sich putzten, zeigten, dass ihre Papillen rotierten, wenn die Zunge auf Knoten im Fell stieß. Dadurch konnten sie noch tiefer ins Fell eindringen und den Knoten lösen.

    Diese Flexibilität ist der entscheidende Faktor, der es den relativ kurzen Papillen ermöglicht, nicht nur die obere Fellschicht zu reinigen, sondern auch das dichte, weiche Unterhaar. Die Messungen der Forscher zeigten, dass alle Katzenarten sich auch mit geringem Druck ihrer Zunge effektiv bis auf die Haut reinigen konnten. Die einzige Ausnahme bildeten Perserkatzen. Sie müssen täglich gebürstet werden, damit ihr Fell nicht verknotet und verfilzt.

    All das Putzen sorgt aber nicht nur dafür, dass das Katzenfell sauber und seidig bleibt. Wärmebildkameras zeigten, dass die Tiere ihre Körpertemperatur damit senken können, wenn der Speichel auf der Haut verdampft.

    Eye of the TIGR

    Für den Ingenieur Hu war es aber nicht genug, nur zu verstehen, wie genau sich die Katzen sauber hielten. Als seine Kinder Läuse bekamen, hatte er Apotheken stundenlang nach dem besten Kamm durchsucht, um die Tierchen im Anschluss durch ausgiebiges Kämmen zu entfernen. Eine kurze Internetsuche offenbarte, dass sich Kämme in den letzten Zehntausenden von Jahren nicht großartig verändert hatten. Hu und Noel glaubten, dass sie mit den Ergebnissen ihrer Forschung ein besseres Design erarbeiten konnten.

    „Es ist ziemlich cool, nach neuen Materialien zu suchen, indem man sich ansieht, wie sich Katzen putzen. Das zeigt, dass man nicht erst in den tiefen Wald gehen muss, um etwas Nützliches zu entdecken“, sagt Sylvain Deville, ein Ingenieur am französischen Centre national de la recherche scientifique, der an der Forschung nicht beteiligt war.

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    Das Duo erzeugte mit einem 3D-Drucker und einem Polymer auf Silikonbasis eine kleine, flexible Bürste, die etwa so groß und breit wie zwei Finger ist. Die Borsten sind im Grunde eine größere Version der Katzenpapillen. Noel und Hu verglichen dann, wie gut die TIGR und eine normale Bürste für Menschen Knoten aus Pelz und Kunstfell herausbürsten konnten. Die TIGR konnte bei dem Test mehr Knoten mit weniger Druck entfernen als die normale Haarbürste. Außerdem konnte Noel die losen Haare einfach mit einer Wischbewegung ihres Fingers entfernen.

    Das neue Bürstendesign könnte auch ein Segen für viele Katzen sein, die es hassen, von ihren Besitzern gebürstet zu werden. Durch ihre Flexibilität und den geringen Druck könnte die TIGR der natürlichen Fellpflege der Katze näherkommen und den Vorgang so etwas angenehmer für die Tiere (und ihre Besitzer) gestalten.

    Die TIGR ist das perfekte Beispiel für ein Design, das von der Natur inspiriert wurde, findet Megan Schuknecht, die Leiterin des Projekts Design Challenges am Biomimicry Institute in Missoula, Montana. „Wir leben schon seit Jahrhunderten mit Katzen zusammen, aber niemand kam auf die Idee, mal genauer hinzusehen“, sagt sie.

    Dennoch ist die TIGR längst nicht reif für die Massenproduktion, wie Jung erzählt. „Sie muss in vielerlei Hinsicht noch verbessert werden, bevor sie bereit für den Einsatz im Alltag ist“, sagt er.

    Hu und Noel haben das Prinzip der TIGR bereits patentiert. Sie glauben, dass die Bürste nicht nur zur Fellpflege verwendet werden kann, sondern auch, um Cremes und Lotionen auf die Katzenhaut aufzubringen, ohne die betroffenen Stellen rasieren zu müssen. Darüber hinaus könnte sie auch bei der Glättung und Entwirrung von Textilfasern zum Einsatz kommen.

     

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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