Auch Wale trauern um ihre Toten

Laut einer Studie hat man bei sieben Arten der Meeressäuger beobachtet, wie Wale am Leichnam von Tieren festhalten, mit denen sie vermutlich verwandt oder befreundet waren.

Von Traci Watson
Veröffentlicht am 27. Okt. 2017, 15:43 MESZ
Orka-Mutter mit totem Neugeborenen
Eine Orka-Mutter trägt ihr totes Neugeborenes. Mehrere Wahlarten zeigen Trauerverhalten.
Foto von Robin W. Baird, Cascadia Research

Die klugen und oft sozialen Wale schmieden enge soziale Bande untereinander. Nun deutet alles darauf hin, dass diese Bande auch den Tod überdauern können.

Bei mehr als sechs Arten der Meeressäuger hat man laut einer Studie entsprechendes Verhalten beobachten können: Die Wale hielten an ihren toten Artgenossen fest, bei denen es sich vermutlich um Verwandte oder Mitglieder derselben sozialen Gruppe handelte.

Die wahrscheinlichste Erklärung für die Weigerung der Tiere, die Leichname ihrer Artgenossen loszulassen, ist Trauer.

„Sie trauern“, sagt die Co-Autorin der Studie Melissa Reggente, eine Biologin von der Universität von Milano-Bicocca in Italien. „Sie erfahren Schmerz und Stress. Sie wissen, dass etwas nicht stimmt.“

Wissenschaftler entdecken zunehmend mehr Tierarten, von Giraffen bis zu Schimpansen, die Verhalten zeigen, das wie starke Trauer anmutet. Elefanten zum Beispiel kehren wieder und wieder zum Leichnam eines toten Gefährten zurück.

Solche Befunde tragen zur Diskussion darum bei, ob Tiere Emotionen empfinden – und falls dem so ist, wie solche Emotionen sich auf den menschlichen Umgang mit Tieren auswirken sollten.

Tierische Trauer kann als seelisches Leid in Kombination mit einer Störung des normalen Verhaltens definiert werden, so Barbara King. Sie ist eine Professorin für Anthropologie am College of William & Mary in Williamsburg, Virginia und Autorin des Buches „How Animals Grieve“ (dt. Wie Tiere trauern).

TOTENWACHE

Für ihre Studie sammelten Reggente und ihre Kollegen – größtenteils unveröffentlichte – Berichte über Trauerverhalten bei sieben Walarten. Darunter befanden sich auch Pottwale und der vergleichsweise kleine Ostpazifische Delfin.

Sie haben herausgefunden, dass alle sieben Walarten überall auf der Welt dabei beobachtet wurden, wie sie ihren Toten Gesellschaft leisten. Die entsprechende Studie wurde im „Journal of Mammalogy“ veröffentlicht.

„Wir haben entdeckt, dass das sehr üblich ist und dass das Verhalten weltweit verbreitet ist“, sagt Reggente.

Wissenschaftler auf einem Boot im Roten Meer haben beispielsweise einen Indopazifischen Großen Tümmler beobachtet, der den stark verwesten Leichnam eines kleineren Delfins durch das Wasser schob.

Nachdem sie das tote Tier mit einem Seil eingefangen hatten, begannen sie, es mit dem Boot gen Küste zu ziehen, um es zu begraben. Der ausgewachsene Delfin schwamm mit dem Leichnam mit und berührte ihn gelegentlich. Er ließ erst ab, als das Wasser gefährlich flach wurde. Noch lange, nachdem der Leichnam weggebracht wurde, verweilte der Delfin vor der Küste.

Es war nicht klar, in welchem Verwandtschaftsverhältnis die Delfine zueinander standen, sagt Reggente. Aber vermutlich handelte es sich wohl um Mutter und Kind oder um anderweitig nahe Verwandte.

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Ein solches Verhalten hat seinen Preis: Ein Wal, der über einen toten Gefährten wacht, frisst nicht und stärkt auch seine Bindungen zu anderen Walen nicht.

TRAUER UM GELIEBTE

Mitunter können Wissenschaftler aber Rückschlüsse auf die Beziehung zwischen einem Trauernden und dem Toten ziehen.

Ein Orkaweibchen mit der Bezeichnung L72 wurde vor San Juan Island, Washington beobachtet, wie es ein Neugeborenes in seinem Maul trug. L72 zeigte Anzeichen einer kürzlich erfolgten Geburt. Die Wissenschaftler, die sie entdeckten, wussten außerdem, dass seit ihrem letzten Kalb genug Zeit verstrichen war und dass es daher Zeit für sie war, ein neues zu haben.

„Sie versuchte die ganze Zeit, das [tote] Kalb an der Oberfläche zu halten, und balancierte es auf ihrem Kopf“, sagt der Co-Autor der Studie Robin Baird, der die Bemühungen des Muttertiers beobachtet hatte. Baird ist Doktor der Biologie und Teil des Cascadia Research Collective in Olympia, Washington.

Eine Orkamutter und ihr Nachwuchs können ein Leben lang zusammenbleiben, erklärt er. Wenn eines der Tiere stirbt, so glaubt Bairds, „macht das [andere] Tier eine Phase durch, in der es dieselben Emotionen durchlebt, die auch Sie oder ich hätten, wenn ein geliebter Mensch stirbt.“

Die Studie hat auch Berichte von Walen gefunden, die ihre toten Kälber im Maul halten, sie durch das Wasser schieben und mit ihren Flossen berühren.

In einem Fall schwamm ein Kurzflossen-Grindwal im Nordatlantik in einem schützenden Kreis um ein erwachsenes Tier und ein totes Kalb. Ein andermal schob ein Ostpazifischer Delfin den Leichnam eines Jungtiers zu einem Boot. Als die Insassen den Leichnam an Bord holten, umkreiste die komplette Delfinschule das Boot und schwamm dann davon.

(Die Sprache der Delfine: Wir müssen reden.)

„Wir haben keine Erklärung dafür, warum sie das getan haben“, sagt Reggente.

ECHTE TRAUER

Die Anthropologin King ist ebenfalls der Meinung, dass dieses Verhalten die Trauer der Wale zeigt.

„Sicher, manchmal sehen wir auch Neugier oder den Drang, etwas zu erkunden, oder Fürsorgeverhalten, das einfach nicht ‚abgestellt‘ werden kann“, sagt sie per E-Mail.

Aber „es ist unbestreitbar, dass wir auch etwas von der Trauer der Tiere in der Energie lesen können, die sie aufwenden, um tote Kälber zu tragen oder an der Oberfläche zu halten, oder um in einer sozialen Phalanx um jenes Tier herumzuschwimmen, das am meisten betroffen ist.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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