Was macht dieses Entenküken im Eulennest?

Brautenten setzen bei ihrem Nachwuchs nicht alles auf eine Karte: Sie sind Brutparasiten, die ihre Eier auch mal in fremde Nester legen.

Von Jason Bittel
Veröffentlicht am 29. Okt. 2019, 14:17 MEZ
Entenküken in Eulennest
Die Hobbyfotografin Laurie Wolf machte diese Aufnahme eines Entenkükens, das sich den Nistkasten mit einer Ost-Kreischeule teilt, im Ort Jupiter im US-Bundesstaat Florida.
Foto von Laurie Wolf

„Oh, wir haben ein Eulenküken! Das ist ja toll!“

Das war der erste Gedanke, der Laurie Wolf durch den Kopf schoss, als sie etwas Kleines, Flauschiges im Nistkasten ihres Gartens in Jupiter im US-Bundesstaat Florida entdeckte. Etwa einen Monat zuvor hatte es sich eine Ost-Kreischeule in dem Kasten gemütlich gemacht. Die Vermutung lag also nahe, dass die Eule Nachwuchs bekommen hatte.

Was sich tatsächlich in dem Nistkasten verbarg, hätte sich Wolf nie träumen lassen.

Als sich der Himmel verdunkelte und ein Sturm aufzog, konnten sie und ihr Mann einen Blick auf die Eulenmutter erhaschen, die ihren Kopf aus dem Kasten steckte. Und neben ihr saß ein kleines, gelb-schwarzes Entenküken.

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„Die beiden saßen da einfach nebeneinander“, sagt Wolf, eine professionelle Wildtier-Illustratorin und Hobbyfotografin. „Das war einfach unfassbar. Ich kann das bis zum heutigen Tag nicht glauben.“

Wolf befürchtete, dass die Eule das Brautentenküken eventuell fressen könnte, und kontaktierte einen Greifvogelexperten, der bestätigte, dass das Küken in Gefahr sein könnte. Ein nahegelegenes Schutzzentrum erklärte sich bereit, sich um das Küken zu kümmern, falls Wolf es einfangen könnte.

Gerade als sie und ihr Ehemann sich der Sache annehmen wollten, sprang das Küken aus dem Nistkasten und flatterte direkt zum Teich ganz in der Nähe. Seither hat Wolf das Tier nicht mehr gesehen.

„Ich glaube, sowas werde ich meinen Lebtag nicht noch mal erleben“, sagt Wolf.

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    Unmöglich wäre das allerdings nicht: Es gibt wissenschaftliche Aufzeichnungen darüber, dass Brautenten mit Ost-Kreischeulen zusammenleben.

    „Das wird zwar nicht regelmäßig beobachtet, aber es kommt vor, keine Frage“, sagt Christian Artuso, der Direktor für Manitoba von Bird Studies Canada. Als er 2005 Ost-Kreischeulen im Rahmen seiner Doktorarbeit erforschte, hat er selbst eine solche Beobachtung gemacht.

    Damals hatte eine weibliche Eule drei Brautenteneier ausgebrütet, sagt Artuso, der seine Erkenntnisse 2007 im „Wilson Journal of Ornithology“ veröffentlichte.

    Ungleiche Nestbewohner

    Brautenten gehören zu jenen Arten, die Brutparasitismus betreiben. Die Enteneltern legen mitunter ein bis zwei Eier in fremde Nester – für gewöhnlich sind das aber Nester anderer Brautenten oder nah verwandter Arten.

    „Man könnte sagen, dass die Eltern nicht alles auf eine Karte setzen“, sagt Artuso. „Wenn sie ihre Eier verteilen, erhöhen sie damit leicht die Chancen dafür, ihre Gene weiterzugeben – insbesondere, wenn sie ihr eigenes Gelege durch ein Raubtier verlieren.“

    Es gibt noch weitere dokumentierte Fälle, in denen Raubvögel die Eier von Wasservögeln ausgebrütet haben, beispielsweise einen Buntfalken, der eine Büffelkopfente ausbrütete, und einen Fischadler, der sich um ein ganzes Gelege Kanadagänse kümmerte.

    Brautenten sind Nestflüchter und können schon früh auf sich allein gestellt überleben.
    Foto von Laurie Wolf

    Artusos Bericht ist nicht einmal der einzige dokumentierte Fall einer Ost-Kreischeule und einer Brautente, erzählt er.

    „Wir wissen, dass sowas passiert, aber wir wissen nicht, wie oft“, so Artuso. „Deshalb habe ich mich gefreut, von einem weiteren Fall zu erfahren.“

    Fremdes Ei als Superstimulus

    Die Frage steht im Raum, ob das Eulenweibchen nicht merkt, dass es auf den falschen Eiern sitzt. Zumal die Eier von Brautenten nicht nur länglicher sind als die der Eule, sondern auch ungefähr doppelt so groß.

    Es lasse sich unmöglich sagen, was der wilden Eule durch den Kopf geht, sagt Artuso. Aber womöglich könnte es sich um einen Superstimulus handeln.

    „Die Eltern denken dann vielleicht: Meine Güte, dieses Ei ist ja riesig! Wir werden das beste Baby der Welt bekommen!“

    Wahrscheinlicher ist allerdings, dass solche Vorfälle enorm selten sind, weshalb Ost-Kreischeulen dafür evolutionär einfach keinen Verteidigungsmechanismus entwickelt haben.

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    Erfolgreiche Nestflucht

    Was das Brautentenküken angeht, so könnte es durchaus überlebt haben, fügt er hinzu.

    Brautenten sind Nestflüchter, so Artuso. Das bedeutet, dass sie von Anfang an recht selbstständig sind. Mehrfach wurde dokumentiert, wie Küken aus einem Gelege sich einfach den Küken eines fremden Geleges anschließen.

    Und nach seinem Abenteuer im Eulennest wäre das für das fotografierte Küken sicher eine leichte Übung gewesen.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

     

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