Einsiedlerkrebse: größere Penisse bewahren vor Obdachlosigkeit

Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Einsiedlerkrebse mit wertvolleren Schneckenhäusern größere Geschlechtsorgane besitzen, das macht die Paarung für sie sicherer.

Von Jake Buehler
Veröffentlicht am 27. Jan. 2020, 14:13 MEZ
Wie viele seiner Verwandten verbringt auch Coenobita perlatus viel Zeit damit, sein Schneckenhaus „auszubauen“. Auch diese ...
Wie viele seiner Verwandten verbringt auch Coenobita perlatus viel Zeit damit, sein Schneckenhaus „auszubauen“. Auch diese auf den Seychellen beheimatete Unterart der Landeinsiedlerkrebse verlässt ihren Schutzpanzer nur äußerst ungern – selbst zur Paarung.
Foto von Wil Meinderts, Minden Pictures

Auf warmen Sandstränden ist der Anblick von Einsiedlerkrebsen keine Seltenheit. Doch viele der sympathischen Krustentiere warten mit überraschend üppiger Ausstattung auf: Einem großen Penis. Er wird nicht selten halb so lang wie ihr im Schneckenhaus verborgener Körper. Neueste Forschungsergebnisse lassen nun darauf schließen, dass die Krebse diese überdimensionierten Organe entwickelten, um sich paaren zu können, ohne ihr Zuhause allzu weit verlassen zu müssen.

Einige der Einsiedlerkrebsarten verwenden viel Energie darauf, das Innere ihrer Schneckenhäuser „auszubauen“. Anders als bei den meisten Krebsen wächst ihr Schutzpanzer natürlich nicht automatisch mit, erklärt Mark Laidre, Biologe am Dartmouth College und National Geographic Explorer.

Diese Tiere besitzen ein korrodierend wirkendes Sekret, mit dem sie die Innenseiten ihrer Behausungen abschleifen. So erhalten sie eine glatte Oberfläche und mehr Platz im Inneren. In diesen umgestalteten Eigenheimen können sie besser wachsen und auch Stauraum für die Lagerung von Eiern freilegen – was sie extrem wertvoll macht. Mit anderen Worten: Ein solches 'Haus' lässt man nicht gerne unbeaufsichtigt, noch nicht einmal für kurze Zeit. Doch das ist der Idealfall.

Was wäre aber, wenn man ein Sexualorgan besäße, das lang genug ist, um den Paarungsakt zu vollziehen, ohne dabei das Haus verlassen zu müssen und sich der Gefahr eines Diebstahls auszusetzen?

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Es kommt doch auf die Größe an

Laidre studierte Landeinsiedlerkrebse am Smithsonian National Museum of Natural History und bemerkte dabei, dass die Penisgrößen der Tiere sich stark voneinander unterschieden. Auffällig war, dass die Krebsart, die den größten Aufwand bei ihrer „Hausrenovierung“ betrieb – und damit die wertvollsten Schneckenhäuser ihr Eigen nennt –, auch den längsten Penis besitzt.

Laidre veröffentlichte seine neueste Studie in der Fachzeitschrift „Royal Society Open Science“. Diese legt nahe, dass die Einsiedlerkrebse im Verlauf der Evolution größere Sexualorgane entwickelten, um der Obdachlosigkeit zu entgehen.

Er nannte seine Theorie „Private Parts for Private Property“ und untersuchte dafür die mögliche Korrelation zwischen Penis- und Hausgröße. Dabei konzentrierte Laidre sich zwar auf die Genitalien der Gattung Coenobita, bezog aber auch verwandte Krabben aus den verschiedensten Habitaten und Lebensumgebungen mit ein. Einige Krebsarten modifizieren ihre Schneckenhäuser auf die unterschiedlichsten Arten, andere tun dies nicht. Seine Studienobjekte reichten von winzigen Tieren, die in Gezeitenbecken leben, bis hin zu riesigen Tiefseeexemplaren wie dem Petrochirus diogenes.

BELIEBT

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    Foto von Mark Laidre

    Laidre nahm auch den Palmendieb mit in seine Studie auf, der etwa die Größe einer Wassermelone erreicht und damit das größte an Land lebende Krustentier der Welt ist. Ein Schneckenhaus benötigt diese Art jedoch nicht.

    Nachdem Laidre bei mehr als 300 Museumsexponaten die Penislängen mit ihrer Körpergröße verglichen hatte, kam Laidre zu einem für ihn eindeutigen Schluss. Je mehr Zeit und Energie eine Krebsart in den Ausbau ihres Eigenheims steckt, desto länger ist ihr Penis im Vergleich zu ihrer Körpergröße. Laidre schloss sogar alternative Theorien für dieses Muster aus. Dazu zählten auch die Möglichkeit, dass die Penislänge generell von der Körpergröße abhängig ist und proportional mit ihr ansteigt, aber auch die unterschiedlichen Lebensräume der verschiedenen Arten.

    Das passt außerdem zur Lebensweise der Landeinsiedlerkrebse, bei denen sich alles um ihre schützenden Schneckenhäuser dreht. Die gewieften Tiere stehlen die schöneren Behausungen ihrer Nachbarn ohne zu zögern, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt.

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    Diebe und Häuserschlachten

    „Da toben wahre Häuserschlachten, bei denen die Tiere ständig dem Risiko ausgesetzt sind, aus ihrem Eigentum geworfen zu werden“, erklärt Laidre. Er führt an, dass die renovierten Schneckenhäuser sogar noch leichter gestohlen werden können, da ihre glatten Innenseiten es den Krebsen schwerer machen, sie festzuhalten.

    "Größere Genitalien sind evolutionär gesehen eine gute Lösung für eine der größten Gefahren, denen sich die Krebse aussetzen müssen“, meint er.

    Verliert ein Krebs sein umgebautes Schneckenhaus, droht ihm unweigerlich die Austrocknung. Die Tiere sind so stark spezialisiert, dass sie nicht einmal vorrübergehend in einem unbearbeiteten Schneckenhaus einziehen können. „Wenn diese Kerlchen ihr Zuhause verlieren, wird das innerhalb von 24 Stunden zu einer lebensbedrohlichen Situation für sie.“

    Daher geht Laidre davon aus, dass die vergrößerten Penisse eine Art Versicherung zum Schutz einer lebensnotwendigen Investition sind. Diese wird von weiteren Verhaltensweisen unterstützt, um den Sex so sicher wie möglich zu machen.

    Von einem Haus zum anderen

    Bei der Paarung drehen die beiden Krebse die Öffnungen ihrer Schneckenhäuser zueinander und rutschen so nahe wie möglich zusammen. Das erlaubt es dem Männchen, sein Sperma abzugeben, ohne dass einer der beiden Krebse sein Zuhause verlassen muss. Penetration findet beim Sexualakt nicht statt. Laidre stellte fest, dass dieser Vorgang bei Arten mit renovierten Häusern deutlich schneller abläuft als bei anderen Krebsen. Außerdem findet der Akt in sicherer Umgebung statt, was das Risiko für die Tiere zusätzlich vermindert.

    Einen starken Gegensatz dazu bilden die Palmendiebe, die bei den untersuchten Krabbenarten das kleine Penis-zu-Körpergröße-Verhältnis aufwiesen. Palmendiebe nutzen als Jungtiere umgebaute Schneckenhäuser, werden jedoch zu groß für sie, bevor sie das Erwachsenenalter erreichen. Da sie als adulte Tiere nicht auf den Schutz eines externen Hauses angewiesen sind, erübrigt sich die Gefahr beim Geschlechtsakt, ebenso wie der Nutzen eines größeren Penis.

    „Die Studie war für mich unglaublich interessant“, meint Justa Heinen-Kay, die als Evolutionsbiologin an der University of Minnesota forscht und nicht an der Studie beteiligt war. „Es ist wirklich bemerkenswert, dass diese Tiere größere Penisse entwickelte, um beim Sex nicht aus dem Haus gehen zu müssen. Dass ein Objekt bei der Evolution der Sexualorgane spielt, ist mehr als außergewöhnlich.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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