Ungewöhnlicher Umweltschützer: Bob, der Flamingo

Die unglaubliche Geschichte eines rosa Vogels, der Kinder für Umweltschutz sensibilisiert.

Von Christine Dell'Amore
bilder von Jasper Doest
Veröffentlicht am 20. Feb. 2020, 14:19 MEZ
Flamingo als Umweltaktivist
Flamingo Bob prallte 2016 gegen ein Hotelfenster in Curaçao und zog sich eine Wunde am linken Flügel und eine Gehirnerschütterung zu. Wegen dieser und anderer Verletzungen konnte er nicht in die freie Wildbahn zurück. Heute wohnt er bei seiner Retterin, der Tierärztin Odette Doest.
Foto von Jasper Doest

Bob liebt Kaviar zum Frühstück, er genießt ein Bad in seinem eigenen Salzwasserpool und alle zwei Wochen eine Fußmassage am Strand. Ein Luxusleben, gewiss, aber er hat es verdient: Bob ist Artenschutzbeauftragter und verbringt auf seiner Heimatinsel Curaçao viel Zeit mit Schulkindern.

Alles begann mit einem Unfall

Bob, muss man wissen, ist ein Flamingo. Die Tierärztin Odette Doest rettete Bob 2016, nachdem der Vogel gegen ein Hotelfenster geflogen war und sich eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Doest päppelte ihn in ihrer gemeinnützigen Artenschutzeinrichtung Fundashon Dier en Onderwijs Cariben (Stiftung für Tiere und Bildung in der Karibik) wieder auf und stellte dabei fest, dass Bob zuvor bereits gezähmt worden war: Er kam mit Menschen zurecht und er litt an Pododermatitis, einer chronischen Erkrankung der Füße, die ihm in freier Wildbahn das Überleben erschwert hätte. Deshalb entschloss sich Doest, ihn zu Bildungszwecken mit etwa 90 anderen Tieren zu behalten.

Bob besucht die A. E. Goilo-Schule im Wohnviertel Julianadorp. So unerschrocken wie Bob sind nicht alle Flamingos. Seinen Freund George zum Beispiel, der gleichfalls von Odette gerettet wurde, nennt sie einen „Stubenhocker-Flamingo“: Er wird in Gesellschaft von Menschen nervös.
Foto von Jasper Doest

Junge und alte Flamingo-Fans

Zu seinen Mitbewohnern auf ihrem Anwesen gehören unter anderem ein Karibikkarakara (eine tropische Falkenart), ein Esel und eine ganze Schar von Hunden und Katzen. Früher gab es hier auch zwei unartige Pelikane, die bis zu ihrem Tod Fluchtversuche unternahmen. Als die Tierärztin den damals noch namenlosen Vogel erstmals zu den wöchentlichen Besuchen ihrer Stiftung in Schulen und anderen Versammlungsorten auf der niederländischen Karibikinsel mitnahm, wurde der Flamingo sofort zu einer Berühmtheit. Es folgten Auftritte in den Medien, und als Doest in einem Radiointerview gefragt wurde, wie der Vogel heiße, platzte sie mit „Bob“ heraus. Der Name blieb.

BELIEBT

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    Bob beim Bad im Salzwasserpool hinter Doests Haus. Er ist in der Rettungsstation auf ihrem Anwesen eines von rund 90 Tieren. Die Hälfte von ihnen sind Dauergäste. Flamingos kommen häufig hierher, wenn sie von Fischereileinen oder streunenden Hunden verletzt wurden.
    Foto von Jasper Doest

    Ein Flamingo verbreitet positive Vibes

    Die meisten Menschen haben noch nie einen derart eleganten, farbigen Vogel aus nächster Nähe gesehen und erst recht keinen, der auch noch so freundlich ist. „Wenn Bob mit den Flügeln schlägt“, sagt Doest begeistert, „machen die Kinder sofort Flatterbewegungen mit den Armen und die Erwachsenen auch. So hingerissen sind sie von seiner Schönheit.“ Weniger erfreut ist Doest, wenn Leute ein #Bobselfie machen wollen. „Darum geht es nicht“, sagt sie resolut. „Ich bringe Bob mit, damit die Leute über Natur und Umwelt nachdenken und sich überlegen, wie schon eine kleine Veränderung ihrer Gewohnheiten große Auswirkungen auf die Natur haben kann.“ Wenn sie Mehrwegbecher anstelle von Plastikflaschen benutzen, bei einer Geburtstagsparty auf Luftballons verzichten oder am Strand Müll einsammeln – das seien Dinge, so Doest, die Kinder sich zu Herzen nehmen, weil sie von Bob fasziniert sind. „Sie nutzt ihn, um eine größere Geschichte zu erzählen“, sagt Odettes Cousin Jasper Doest. Der in den Niederlanden ansässige Fotograf hat die Abenteuer des Vogels drei Jahre lang aufgezeichnet. „Er allein wäre nur ein Flamingo, und sie hätte ohne Bob kein derart symbolträchtiges Tier, das ihr die notwendige Aufmerksamkeit für ihre Aufklärungsarbeit verschafft.“ Auf die Idee, Bob zu fotografieren, kam Jasper Doest, als der Vogel eines frühen Morgens in sein Schlafzimmer in Odettes Haus stolziert kam. „Er läuft herum, als wäre er der König“, sagt Doest. „Wir hören so viele düstere Untergangsgeschichten. Hier hatten wir die großartige Gelegenheit, einen positiven Aspekt zu zeigen.“

    Die achtjährige Rihantely Niles lauscht in einer Schule in Willemstad auf Bobs Herztöne. Die Kubaflamingos werden auf der Insel häufig durch Plastikmüll und weggeworfenes Fischereigerät geschädigt. Über das Thema spricht Doest, hier mit Bob auf dem Schoß, in ihren Aufklärungsvorträgen.
    Foto von Jasper Doest

    Die größten Bedrohungen für Flamingos

    Zuhause hat Bob eine weitere Erziehungsaufgabe: Er nimmt regelmäßig andere genesende Flamingos unter seine Fittiche und zeigt ihnen beispielsweise, wie man aus einem Napf frisst. Nach Odettes Erfahrung hilft seine Gegenwart neu eingetroffenen Flamingos dabei, ruhig zu bleiben. Bob lebt in Odettes Haus in einem „Vogelzimmer“, das er sich mit George und Thomas teilt, zwei anderen geretteten Flamingo-Dauergästen. Viele der geretteten Vögel hatten sich in Angelleinen verfangen, eine Umweltgefahr, auf die Odette Doest in ihren Vorträgen aufmerksam macht. Weitere Bedrohungen sind der Plastikmüll, der Abbau der Korallenriffe und der Verlust der Mangrovenwälder durch Tourismus-Bauten. Odette spricht Papiamento, die Sprache der Einheimischen von Curaçao, und kann deshalb mit den Kindern auf einer Ebene kommunizieren, die vielen anderen verschlossen bleibt.

    Flamingo Bob streckt nach dem Schwimmen die Flügel aus.
    Foto von Jasper Doest

    Kinder an das Thema Umweltschutz heranführen

    Als kürzlich ein Flamingoweibchen starb, nachdem es sich in einer Angelleine verfangen hatte, brachte Odette die Schnur in eine Schule und zeigte sie den Kindern. Sie sagte: „Sie war genau so schön wie Bob, so groß und kräftig und gesund, aber weil jemand da draußen die Leine liegen gelassen hat, ist sie jetzt tot.“ Einige Wochen später erzählten ihr die Lehrer, die Kinder würden immer noch darüber sprechen. Odette lehrt die Kinder, stolz auf die wilde Natur ihrer Heimat zu sein – auch auf den kleinen Bestand an Kubaflamingos, von denen 400 bis 600 Exemplare auf Curaçao leben. Man kann sie sehen, wie sie auf den Rohmarschen der Insel Nahrung suchen; sie wühlen mit ihren Schwimmfüßen nach Krebsen und Algen, denen sie die charakteristische Rosafärbung verdanken.

    Bobs Naturpink passt zu den bunten Stufen in der Altstadt von Willemstad. Der Flamingo begleitet Odette Joest durch die ganze Stadt und sitzt sogar auf ihrem Schoß, wenn sie Auto fährt. Kürzlich wurde sie gefragt: „Ist der echt?“
    Foto von Jasper Doest

    Bob, der heißgeliebte Botschafter

    Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Kubaflamingos als Fleisch- und Federlieferanten durch die Jagd beinahe ausgerottet; damals sank der Bestand der Spezies auf nur noch 10 000 Tiere, die nur auf einer einzigen Insel der Bahamas lebten. Seither haben sich die Bestände überall in der Karibik, in Venezuela und im Süden der Vereinigten Staaten erholt.

    Der schöne Bob: Die Autorien Christine Dell’Amore, leitende Redakteurin für Tierthemen, berichtete zuletzt über den illegalen Handel mit Papageien. Jasper Doest fotografiert Bob seit November 2016.
    Foto von Jasper Doest

    Wie Flamingoexperte Jerry Lorenz, Forschungsdirektor bei Audubon, erklärt, kommen Kubaflamingos im Allgemeinen gut mit Menschen zurecht; deshalb sind gerettete Vögel, die nicht in die freie Wildbahn zurückkehren können, „großartige“ Botschafter für den Artenschutz. Odette schätzt Bobs Alter auf 15 Jahre. In freier Wildbahn können Flamingos bis zu 50 Jahre alt werden, in Gefangenschaft noch länger. Deshalb glaubt Jasper Doest, dass ihm noch viele Jahre bleiben, in denen er das seltsame Paar aus der Karibik porträtieren kann. „In meiner Vorstellung ist Odette eine ältere Dame im Schaukelstuhl“, sagt er lächelnd, „und umgeben ist sie von lauter Flamingos.“ 

    Aus dem Englischen von Dr. Sebastian Vogel.

    Der Artikel wurde ursprünglich in der Februar-Ausgabe des deutschen National Geographic Magazins veröffentlicht. Jetzt ein Abo abschließen!

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