Die Zeit für Rettung der Korallenriffe läuft ab

Eine neue Studie bestätigt, dass die Riffe in den letzten Jahrzehnten schwere Schäden erlitten haben – ein Symptom des schnell voranschreitenden Klimawandels.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 8. Jan. 2018, 15:18 MEZ
Eine Kolonie von Acroporen bei der Weihnachtsinsel in Kiribati vor und nach dem Ausbleichungsereignis, das sich von 2015 bis 2016 erstreckte.

Korallenriffe spielen eine maßgebliche Rolle, wenn es um die Gesundheit unserer Meere geht. Aber eine neue Studie verdeutlicht, dass der menschliche Einfluss auf das Klima sie an den Rand des Abgrunds treibt.

Die Analyse, die am vergangenen Donnerstag in „Science“ veröffentlicht wurde, warf einen Blick auf den Zustand von 100 Korallenriffen auf der ganzen Welt. Mit Hilfe von Regierungsdokumenten aus dem Zeitraum 1980 bis 2016, wissenschaftlichen Studien und Medienberichten wurde ein möglichst vollständiges chronologisches Bild der Veränderungen erstellt.

Dieser Ansatz korrigiert die statistischen und anderen Verzerrungen anderer, nicht durchgehend geführter Datenbanken – und zeichnet ein düsteres Bild. Die Studie fand heraus, dass die Zeit zwischen schweren Ausbleichungsereignissen im Schnitt um den Faktor 5 geschrumpft ist.

In den 1980ern konnten Korallenriffen mit etwa 25 bis 30 Jahren an Erholungszeit zwischen Episoden des Umweltstresses rechnen. Mittlerweile tritt abnormal warmes Wasser im Schnitt einmal alle sechs Jahre auf. Wissenschaftler warnen, dass das den Korallen einfach nicht genug Zeit lässt, um sich zu erholen. Selbst die am schnellsten wachsenden Korallen benötigen zehn bis 15 Jahre, um sich von einer schweren Ausbleichung zu erholen. Ein ganzes Riff benötigt mehrere Jahrzehnte.

„Das ist, als würde man alle paar Jahre an einer schweren Krankheit erkranken, oder in so kurzen Abständen, dass man nicht genug Zeit hat, um zwischendurch zu genesen“, sagt die Co-Autorin der Studie Julia Baum, eine Meeresbiologin an der Universität von Victoria.

DIE GEISSEL DER KORALLEN

Korallen bleichen aus, wenn Stressfaktoren wie ungewöhnlich warmes Wasser gewissermaßen einen Kurzschluss in den symbiotischen Algen verursachen, die sich im Gewebe der Korallen befinden. Die Algen werden dadurch giftig. Die Korallen stoßen die bunten Algen dann aus, wodurch das weiße Kalkgerüst der Korallen sichtbar wird. Diese kurzfristige Überlebensmaßnahme birgt gravierende Risiken. Die Korallen bieten den Algen Schutz und ernähren sich im Austausch von deren Stoffwechselprodukten. Ohne die Algen können die Korallen verhungern – und tun das oft auch.

Wissenschaftler beschreiben den Anblick dieser ausgebleichten, sterbenden Riffe als zutiefst bewegend. Die Felder der einst bunten Korallen liegen brach und werden von einem Leichentuch aus opportunistischen Algen bedeckt. Die Fische ziehen weiter. Eine unheimliche Stille legt sich über das Wasser, in dem nicht länger das Surren und Knacken eines gesunden Riffs erklingt. (Lesenswert: In 30 Jahren könnten unsere Korallenriffe verschwunden sein)

Und dann ist da noch der Gestank.

„Man kommt aus dem Wasser und merkt, dass man stinkt – man stinkt nach Tod“, sagt der Co-Autor der Studie C. Mark Eakin. Er ist einer der Chefwissenschaftler für Korallen von der Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten (NOAA). „Die Korallen stoßen zusammen mit den Algen auch ihr eigenes Gewebe aus. Man hat [also] dieses ganze verrottende Korallenfleisch an sich.“

Dieses Massaker hat schwerwiegende Folgen. Mehr als ein Viertel aller bekannten Meerestierarten verbringt zumindest einen Teil seines Lebens in Korallenriffen, sagt Eakin. Darüber hinaus sind über 500 Millionen Menschen auf Korallenriffe als Nahrungsquelle oder als Fischgründe für ihren Lebensunterhalt angewiesen. Noch deutlich mehr Menschen brauchen die Riffe, um den lokalen Tourismus am Laufen zu halten und ihre Küstenlinien vor Erosion zu schützen.

Insgesamt stellte die neue Analyse fest, dass in den Jahren 2015 oder 2016 mehr als die Hälfte der 100 untersuchten Riffe 30 Prozent ihrer Korallen durch Ausbleichung verloren.

BELIEBT

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    Das Great Barrier Reef könnte schneller sterben als gedacht

    Darunter befindet sich auch das Great Barrier Reef, das auf einer Länge von etwa 2.300 Kilometern an der Ostküste Australiens verläuft. 2016 und 2017 bleichte das Riff zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen in zwei aufeinanderfolgenden Jahren aus. Das Ausbleichungsereignis 2016 tötete ungefähr zwei Drittel der Korallen in einem Bereich des nördlichen Riffs ab.

    Und das Great Barrier Reef ist damit nicht allein. Kaum ein Riff hat verheerendere Schäden zu verzeichnen als das der Weihnachtsinsel, die Teil des südpazifischen Inselstaates Kiribati ist.

    Von Juli 2015 bis August 2016 mussten die Wissenschaftler tatenlos zusehen, wie unnormal warmes Wasser dem Riff der Weihnachtsinsel zehn Monate lang zusetzte. Soweit Baum weiß, ist das die längste Periode des Hitzestresses, die man je bei einem einzelnen Riff beobachtet hat. Seither sind 90 Prozent der Korallen des Riffs abgestorben.

    „Das ganze Ding hat sich einfach aufgelöst“, sagt Baum, der 14 Expeditionen zur Weihnachtsinsel unternommen hat. „Die ohrenbetäubende Stille des toten Riffs ist für uns wie ein Schlag in die Magengrube.“ (Lesenswert: Verdrängen Schwämme und Algen die Korallen in der Karibik?)

    Die Korallen von Kiritimati – der Weihnachtsinsel – vor dem Ausbleichen 2016 und 2017.
    Foto von Danielle Claar
    Nach Monaten des Hitzestresses sind die meisten Korallen des Riffs entweder ausgebleicht oder abgestorben. Ihre Kalkgerüste werden von rotbraunen Algen überzogen.
    Foto von Kristina Tietjen

    GEFÄHRLICHE TEMPERATURANSTIEGE

    Das Ausbleichungsereignis 2016 wurde – ebenso die das verheerende Ausbleichen 1998 – durch El Niño verstärkt. Das Phänomen erhöhte die Temperaturen im tropischen Pazifik auf Werte über dem Durchschnitt. Durch die menschengemachten Veränderungen des weltweiten Klimas können mittlerweile aber auch schon „Durchschnittstemperaturen“ tödlich sein. Die Erwärmung, unter der das Great Barrier Reef 2017 zu leiden hatte, kam ganz ohne El Niño zustande.

    Trotz des Einflusses des Klimawandels konnte die Studie keine eindeutige Beziehung zwischen der Anzahl der schweren Ausbleichungsereignisse und der Langzeiterwärmung der Meere finden. Baum zufolge liegt das daran, dass Korallen nicht langsam gegart, sondern während relativ kurzer Temperaturhöhepunkte quasi sofort frittiert werden.

    1998 erlebte das Great Barrier Reef ein schweres Ausbleichungsereignis, welches die Korallen wie diesen bei Heron Island großem Stress aussetzte. Manche Korallen haben sich seither erholt, andere sind abgestorben.
    Foto von Gary Bell, National Geographic Creative

    Andere Studien deuten darauf hin, dass der Klimawandel das Auftreten solcher Temperaturhöhepunkte wahrscheinlicher macht. Eine Studie, die kürzlich von der American Meteorological Society veröffentlicht wurde, fand heraus, dass menschliche Aktivität die Wahrscheinlichkeit für den Temperaturhöhepunkt 2016 zusätzlich zu El Niño noch erhöhte.

    „Diese Temperaturhöhepunkte werden die Korallen innerhalb der nächsten paar Jahrzehnte ausrotten, wenn wir jetzt nicht aufwachen und mit der Rettung dieser Ökosysteme Ernst machen“, fügt Baum hinzu.

    SCHNELLES HANDELN NOTWENDIG

    Um die Schäden an den Korallen einzudämmen, muss die Menschheit laut den Forschern die Menge der Treibhausgase in der Atmosphäre verringern und die lokalen Schäden an Riffen – zum Beispiel durch Überfischung – mildern.

    Eakin zufolge sollten die Regierungen auch andere Möglichkeiten für die Rettung der Korallen in Betracht ziehen, zum Beispiel die Zucht von hitzebeständigen „Superkorallen“ oder Investitionen in riesige Korallenschulen.

    Die derzeitigen Maßnahmen reichen einfach nicht aus, sagen die Wissenschaftler. Der australische Korallenriffwissenschaftler Terry Hughes, der Hauptautor der Studie, hat seine Regierung öffentlich verbal für deren Unterstützung von Kohle angegriffen, einer der CO2-intensivsten Energiequellen des Planeten. Australien unterstützt das Adani-Carmichael-Kohlebergwerk, welches im Fall seines Baus eines der größten Bergwerke der Erde wäre.

    Eakin – ein Wissenschaftler der US-Regierung – fügt hinzu, dass auch die USA mehr tun könnten. „Die Maßnahmen, die von der Trump-Regierung ergriffen werden – der Plan, sich aus dem Pariser Klimaabkommen zurückzuziehen, und das Ende des Clean Power Plans – sind keine Maßnahmen, die man ergreifen würde, wenn man versucht, die Korallenriffe zu schützen“, sagt er.

    Die Forscher betonen, dass noch immer genug Zeit ist – vielleicht ein paar Jahrzehnte –, um existenzbedrohende Schäden an den Riffen der Welt zu verhindern – aber nur, wenn jetzt weitreichende Maßnahmen ergriffen werden. (Sehenswert: Größte Korallensamenbank der Welt soll Riffe retten)

    „Das Letzte, was die Leute daraus schließen sollten, ist, dass es keine Hoffnung gibt“, sagt Baum. „Das sollte als wirklich ernstzunehmender Weckruf dienen.“

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