Delfinpersönlichkeiten: Von Draufgängern und Mauerblümchen

Zum ersten Mal konnte ein Forscher belegen, dass wilde Delfine unterschiedliche Persönlichkeiten haben – die ihnen beim Überleben helfen könnten.

Von Virginia Morell
Veröffentlicht am 14. Apr. 2020, 14:20 MESZ
Tümmler schwimmen im Rangiroa-Kanal in Französisch-Polynesien. Die Meeressäuger leben in flexiblen Gruppen, die zwischen 4 und ...

Tümmler schwimmen im Rangiroa-Kanal in Französisch-Polynesien. Die Meeressäuger leben in flexiblen Gruppen, die zwischen 4 und 30 Tiere umfassen.

Foto von Greg Lecoeur, Nat Geo Image Collection

Auf Partys sind die extrovertierten Gäste oft schwer zu übersehen: Bei jedem Spiel sind sie dabei und immer bereit für die Tanzfläche. Der zurückhaltendere Typ Mensch hält sich hingegen oft lieber am Rand des Geschehens auf oder sieht zu.

Andauernde Forschungen zu tierischen Persönlichkeiten – von Insekten über Singvögel und Oktopoden bis hin zu Primaten – hat im Tierreich ähnliche Unterschiede offenbart: Schüchterne und verwegene Individuen gibt es in jeder Population.

Solche charakterlichen Unterschiede können sich auf das Überleben eines Tieres auswirken. In manchen Situationen zahlt es sich aus, bei der Suche nach Nahrung oder Partnern eher abenteuerlustig zu sein. Bei einigen Arten wie beispielsweise Zebrabärblingen sind verwegene Exemplare erfolgreicher bei der Partnersuche und der Fortpflanzung. Für andere Tiere wiederum zahlt sich die Vermeidung von Risiken aus und sorgt dafür, dass mehr Nachkommen überleben.

Ein Wissenschaftler berichtete nun erstmals von der Entdeckung schüchterner und verwegener Persönlichkeitstypen bei einer Gruppe wilder Delfine vor der Küste Sardiniens.

Delfine "halten Händchen"
Das ist das Delfinäquivalent von "Kumpeln", die "Händchen halten".

Die kühnen Delfine könnten für ihre Gruppe besonders nützlich sein, was beispielsweise die Nahrungssuche angeht. Die extrovertierten Tiere können dabei helfen, wichtige Informationen innerhalb der Gruppe zu verbreiten – zum Beispiel Wissen über Nahrungsressourcen.

„Wir wussten schon durch Studien an Delfinen in Gefangenschaft, dass sie diese Persönlichkeiten haben. Aber solche Delfine führen kein normales Leben“, sagt Bruno Díaz López, ein Verhaltensökologe am spanischen Bottlenose Dolphin Research Institute in Pontevedra. Er ist der Autor der neuen Studie. „Jetzt wissen wir, dass auch wilde Delfine Persönlichkeiten haben und diese in ihrem sozialen System eine wichtige Rolle spielen – genau wie bei uns.“

Darüber hinaus offenbarte seine Analyse auch, dass geselligere Delfine stärkere soziale Bindungen hatten als schüchterne. Eine solche Korrelation konnten Forscher bereits bei anderen Arten nachweisen, allerdings unter kontrollierten Bedingungen wie beispielsweise in einem Aquarium.

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BELIEBT

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    „Diese Studie verdient Anerkennung, weil sie demonstriert hat, dass diese erwarteten Zusammenhänge auch unter natürlichen Bedingungen bestehen. Solche Daten zu erheben, ist eine sehr große Herausforderung“, sagt Orr Spiegel, ein Verhaltensökologe an der Universität Tel Aviv, der an dieser Studie nicht beteiligt war.

    Starke Persönlichkeiten

    Forscher beobachten die Tümmler im Golf von Marinella bereits seit 16 Jahren im Rahmen einer Langzeitstudie. Anders als Orcas oder Paviane, die in festen Gruppen leben, sind die Gesellschaften dieser Delfine flexibel organisiert. Einzelne Tiere kommen und gehen. Im Durchschnitt umfasst eine Gruppe vier Individuen, manche setzen sich aber auch aus bis zu 30 Tieren zusammen.

    Im Golf von Marinella interagieren die Delfine regelmäßig mit Fischen, Touristen und den Angestellten einer örtlichen Fischfarm. Für Díaz López bieten sich damit hervorragende Möglichkeiten, um die Persönlichkeiten der Tiere in Aktion zu erleben.

    Er analysierte tausende Fotos von den Delfinen im Golf von Marinella und konnte dadurch 24 ausgewachsene Individuen – 13 Weibchen und 11 Männchen – identifizieren, die mehrfach beobachtet wurden.

    Für gewöhnlich messen Wissenschaftler die Scheu oder Kühnheit eines Tieres anhand seiner Reaktion auf neue, riskante oder herausfordernde Situationen. Ein Tier mit einer eher kühnen Persönlichkeit wird sich mit größerer Wahrscheinlichkeit einem unbekannten Objekt nähern oder einen potenziellen Fressfeind begutachten als ein scheues Tier.

    Für den nächsten Schritt in seinem Experiment filmte Díaz López, wie diese 24 Delfine auf zwei neue Bedrohungen reagierten: ein Mensch in Schnorchelausrüstung und ein Unterwasseralarm, der ursprünglich entwickelt wurde, um Delfine von Fischernetzen fernzuhalten.

    Zwischen 2004 und 2011 führte Díaz López 192 dieser Tests durch (davon 96 mit einem Alarm und 96 mit einem Schnorchler).

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    Er überprüfte jeden Film und maß die Entfernung zwischen den einzelnen Delfinen und der neuen Bedrohung. Die Ergebnisse präsentierte er in seiner Studie, die in „Animal Behaviour“ erschien.

    Er entdeckte, dass einige Individuen sich konsequent verwegener verhielten: Sie waren gewillt, sich sowohl einer fremden Person als auch einem unbekannten Objekt, das einen störenden Klang vor sich gab, zu nähern. Außerdem beobachtete er Delfine, die konsequent Scheu zeigten – im Schnitt blieben sie 67 Meter entfernt –, und andere, deren Verhalten variierte. Manchmal kamen sie näher, manchmal mieden sie die Gefahr.

    Die kühnen und die scheuen Delfine zeigten eine „bemerkenswert hohe“ Konsistenz in ihrem Verhalten, schrieb der Verhaltensökologe Andy Sih von der University of California, Davis, in einer E-Mail.

    „Diese Delfine zeigen ein viel stärkeres, deutlicheres Signal für Persönlichkeitsunterschiede, als wir es in fast jeder anderen der hunderten Studien zu Tierpersönlichkeiten gesehen haben“, sagt Sih, der zu diesem Thema forscht.

    Stärkung des Familienzusammenhalts

    Díaz López beobachtete auch, mit welchen anderen Delfinen seine 24 Studiensubjekte Zeit verbrachten. Aus diesen Beziehungen erstellte er ein Modell ihres sozialen Netzwerks.

    Die Analysen zeigen, dass sich die Beziehungen der Delfine entsprechend ihres Persönlichkeitstyps unterscheiden. Die unerschrockenen Tiere pflegten tiefergehende soziale Bindungen, beispielsweise eine stärkere Präferenz dafür, ihre Zeit mit bestimmten (nicht notwendigerweise ebenso unerschrockenen) Individuen zu verbringen. Die unterschiedlichen Persönlichkeitstypen schienen in keinerlei Beziehung zu dem Geschlecht der Delfine zu stehen.

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    Wie schon in anderen Studien gezeigt wurde, könnten sich diese Unterschiede im Sozialverhalten auf den Fortpflanzungserfolg der einzelnen Tiere auswirken – beispielsweise durch die Entstehung von Allianzen, gerade unter den Männchen anderer Gruppen

    Da kühne Delfine den Großteil ihrer Zeit mit anderen Delfinen verbringen, könnten diese Tiere laut Díaz López eine bedeutende Rolle dabei spielen, ihre Gruppe zusammenzuhalten.

    Woher kommen die Unterschiede?

    Wie die meisten tierischen Persönlichkeitsstudien liefert auch diese keine Antwort auf eine spannende, aber ungeklärte Frage: Warum? „Es ist eine tolle, solide Studie“, sagt Sasha Dall, ein Verhaltensökologe der britischen University of Exeter.

    „Aber warum haben Delfine oder andere Arten überhaupt Persönlichkeiten? Es gibt keinen evolutionären Grund, zu glauben, dass es in jeder Tierart schüchterne und unerschrockene Individuen geben sollte.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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