In Brasilien fangen Delfine und Menschen gemeinsam Fisch

Kooperation statt Konkurrenz: Große Tümmler haben ein kulturelles Jagdverhalten entwickelt, das auch bestimmt, mit wem sie am liebsten Zeit verbringen.

Von Erica Tennenhouse
Veröffentlicht am 12. Apr. 2019, 14:57 MESZ
Wilde Delfine jagen gemeinsam mit Fischern

Im Meer vor der brasilianischen Gemeinde Laguna haben es Fischer und Delfine auf dieselbe Beute abgesehen: kleine, silbrige Meeräschen. Anstatt um die Nahrung zu konkurrieren, haben sie jedoch eine Allianz geschlossen.

Die Großen Tümmler treiben ganze Schwärme von Meeräschen zur Küste hin, wo mehrere Fischer Seite an Seite hüfttief im Wasser stehen und ihre Netze bereithalten. In dem trüben Wasser können die Fischer ihre Beute nicht sehen, daher beobachten sie stattdessen die Delfine.

Wenn die Meeressäuger mit ihrem Kopf oder ihrer Schwanzflosse auf das Wasser schlagen, ist das für die Fischer das Zeichen, ihre Netze auszuwerfen. Dadurch brechen die Fischer aus ihrer Formation, was es den Delfinen erleichtert, einzelne Fische zu fangen.

Forscher wissen bereits seit den Achtzigern von dieser Beziehung, von der beide Seiten profitieren. Sie haben die örtliche Delfinpopulation beobachtet, die etwa 60 Tiere umfasst, von denen allerdings nur einige mit den Fischern kooperieren. Dabei fiel ihnen auf, dass diese Helferdelfine vorzugsweise Zeit mit anderen Helfern verbringen.

Der Biologe Mauricio Cantor von der brasilianischen Universität Santa Catarina und seine Kollegen fragten sich, woran das lag.

„Gehen sie ins selbe Restaurant, weil sie das Essen mögen, oder gehen sie als Gruppe in das Restaurant, weil sie auch die anderen Delfine mögen?“, sagt Cantor, der an einer neuen Studie zu dem Phänomen mitgeschrieben hat.

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Seine Forschung deutet eher auf Letzteres hin: Jene Delfine, die den Fischern helfen, formen untereinander enge soziale Bindungen.

Wer hilft, hält zusammen

Für ihre Studie durchkämmten Cantor und seine Kollegen die Küstenlagunen im Süden Brasiliens und machten Bilder der dortigen Delfine, um die einzelnen Tiere identifizieren zu können.

Insgesamt sammelten sie hunderte Aufnahmen, die zeigten, welche Delfine miteinander Zeit verbrachten und was genau sie zusammen taten. Außerdem nutzten sie eine harmlose Technik, um Proben zu sammeln, mit deren Hilfe sie eventuelle Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den Tieren in Erfahrung bringen konnten.

Das Ergebnis veröffentlichten sie im Fachmagazin „Biology Letters“: Die Helferdelfine entschieden sich aktiv dafür, Zeit miteinander zu verbringen. Dabei war nicht besonders wichtig, ob sie miteinander verwandt waren, dasselbe Geschlecht oder ein ähnliches Alter hatten. Die stärksten sozialen Bindungen entstanden zwischen Delfinen mit derselben Fischfangtechnik.

„Sie verbringen lieber Zeit miteinander, und zwar nicht nur, wenn sie gerade mit den Fischern kooperieren“, sagt Cantor, ein National Geographic Explorer.

Die Helferdelfine reisten beispielsweise zusammen umher, spielten miteinander und hielten sogar ihre Nickerchen Seite an Seite.

Tierische Kultur?

Die Delfinexpertin Janet Mann von der Georgetown University in Washington, D.C., die an der Studie nicht beteiligt war, hält dieses Verhalten für ein kulturelles Phänomen.

Es gibt zwar keine gänzlich einheitliche Definition des Kulturbegriffs, aber Mann sagt, „Anthropologen und Psychologen haben sich auf zwei grundlegende Kriterien geeinigt: dass das Verhalten sozial erlernt ist und sich vom Verhalten anderer Gruppen unterscheidet“.

Mann erforscht eine Delfinpopulation in der australischen Shark Bay. Dort haben es sich einige Delfine angewöhnt, schützende Schwämme in der Schnauze zu halten, wenn sie den Meeresboden nach Beute durchstöbern. Ihre Forschungen haben gezeigt, dass Töchter das Verhalten von ihren Müttern lernen – und dass die Schwammnutzer Cliquen mit anderen Schwammnutzern bilden, was das Verhalten zu einer kulturellen Tradition macht.

Genau so zeigt die neue Studie, dass die brasilianischen Helferdelfine am liebsten Zeit mit anderen Helfern verbringen. „Sie schließen sich aufgrund ihres gemeinsamen Verhaltens zusammen“, sagt Mann, womit eine der wichtigsten Voraussetzungen für Kultur gegeben ist.

Noch wurde nicht erforscht, ob diese kooperativen Delfine das Verhalten durch Beobachtung lernen, aber Cantor vermutet, dass das zutrifft.

„Die am ehesten akzeptierte Hypothese dazu, wie sich diese Taktik unter ihnen verbreitet, ist, dass das durch soziales Lernen geschieht“, erzählt er.

„Delfine sind nicht nur enorm soziale Tiere, sondern auch bemerkenswert lernfähig.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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