Erklärt: Warum dieser Vogel Fische füttert

Altruismus oder Verwechslung? Ein Kardinal kehrt regelmäßig zu einem Goldfischteich zurück, um dessen nimmersatte Bewohner zu füttern.

Von Jason Bittel
Veröffentlicht am 24. Apr. 2020, 16:36 MESZ

Zuerst war da der junge Bussard, der von Weißkopfseeadlern adoptiert wurde. Dann die Löwin, die ein Leopardenjunges gesäugt hat. Und dann gibt es da noch diesen Kardinal, der einen Goldfisch füttert.

Das entsprechende Video, das erstmals 2010 auf YouTube hochgeladen wurde, zeigt den roten Vogel dabei, wie er am Rande eines Goldfischteichs herumhüpft. Dann scheint er Samen in die offenen Mäuler der hungrigen Fische zu werfen.

Laut der Videobeschreibung soll der Kardinal bis zu sechsmal am Tag zurückgekehrt sein, um die Fische zu füttern.

Aber warum sollte ein Vogel eine völlig andere Tierart füttern? Die Biologin Christina Riehl von der Princeton University hat dazu ein paar Ideen.

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    „Meiner Einschätzung nach ähnelt das offene Maul der Goldfische an der Wasseroberfläche in Größe und Form dem offenen Schnabel eines Kükens genug, dass er den Instinkt des erwachsenen Vogels auslöst, ihn mit Futter zu versorgen“, so Riehl.

    Nestlinge haben oft einen kräftig gefärbten Schnabel und Rachen, zumeist in Gelb- und Rottönen. Auf die Eltern wirkt das wie eine Zielscheibe – in visueller Reiz, der förmlich „Füttere mich!“ schreit.

    „Das ist ein großartiges Beispiel dafür, wie einfache Reize tief verwurzelte Verhaltensweisen auslösen können – selbst in Situationen, die uns offensichtlich falsch erscheinen“, sagt sie.

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    Auch wenn der verwirrte Kardinal Stoff für ein amüsantes Video liefert, „verschwendet ein Kardinal, der Goldfische füttert, biologisch gesprochen seine Zeit“, sagt Riehl. „Ganz besonders, wenn er statt seinen eigenen Küken die Fische füttert.“

    Die Fische hingegen nehmen die kostenlose Mahlzeit vermutlich gerne an, sagt Kevin Roche, ein Biologe der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik.

    Gelber Kardinal gefilmt

    Roche zufolge sind Karpfen – zu denen auch Goldfische gehören – intelligent und merken sich die Orte, an denen sie Nahrung regelmäßig oder in großer Menge finden.

    Wenn sie an der Wasseroberfläche ihre Mäuler immer wieder aufreißen, sehen die Fische vielleicht nicht besonders schlau aus, aber das Verhalten erfüllt einen Zweck: Sie saugen damit Insekten und andere Beute ein und nehmen mehr Sauerstoff auf.

    Das Video von dem Kardinal, der die Goldfische füttert, ist nicht die erste Aufzeichnung eines solchen Verhaltens.

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    Der Ornithologe Robert Mulvihill vom National Aviary in Pittsburgh, Pennsylvania, erinnert sich an ein Schwarzweißfoto aus den „LIFE Nature Library“-Büchern der 1960er. Darauf war ebenfalls ein Kardinal abgebildet, der Goldfische fütterte.

    Genau wie bei dem Video von 2010 „war die Erklärung, soweit ich mich erinnere, dass das ein umgelenktes elterliches Fütterungsverhalten war, womöglich von einem Vogel, der seine Brut kürzlich verloren hatte“, sagt Mulvihill.

    Nesthocker vs. Nestflüchter

    Online findet man auch Videos von Trauerschwänen und einem Entenküken, die Fische zu füttern scheinen.

    In diesem Fall ist sich Riehl da allerdings nicht so sicher. Sie erklärt, dass Kardinalküken Nesthocker sind, also nackt und blind geboren werden und deshalb auf ihre Eltern angewiesen sind. Die meisten Küken von Wasservögeln sind hingegen Nestflüchter: Sie schlüpfen bereits gefiedert und mit offenen Augen und können das Nest schon nach kurzer Zeit verlassen. Theoretisch sollten Wasservögel auf aufgerissene Mäuler also anders reagieren als Kardinäle.

    J. Dale James, der Direktor für Naturschutzwissenschaften von Ducks Unlimited, stimmt dieser Einschätzung zu. „Sowohl die Schwäne als auch das Entenküken scheinen in einer Art abgeschlossener Umgebung gehalten zu werden“, sagt er. „Deshalb fressen sie vermutlich auch Futterpellets. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sie die beim Fressen ins Wasser tauchen.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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