Von Feind zu Freund: Wie Hunde und Pferde kommunizieren

Eigentlich sind sie evolutionäre Feinde, doch durch ihre Domestizierung scheinen Hund und Pferd sich beim Spielen über Mimik und Körpersprache verständigen zu können.

Von Virginia Morell
Veröffentlicht am 23. Apr. 2020, 16:07 MESZ
Hund

Hunde und Pferde wären aufgrund ihrer evolutionären Geschichte eigentlich natürliche Feinde. Die Domestizierung durch den Menschen hat ihnen jedoch ein friedliches Zusammenleben ermöglicht.

Foto von Hannele Lahti, Nat Geo Image Collection

Wenn ein Hund zum Spiel auffordert, ist seine Körpersprache unmissverständlich: Seine Vorderbeine sind langgestreckt und er wedelt mit dem Schwanz, um einem anderen Hund zu kommunizieren, dass er bereit für ein bisschen Action ist. Geht der Partner darauf ein, stürzen die zwei Hunde drauflos, jagen sich gegenseitig hinterher und kugeln über die Wiese. Dabei stimmen sie ihre Bewegungen auf einander ab und – so wirkt es zumindest für Menschen – scheinen mit offenem Maul zu lächeln.

Wissenschaftler haben nun zum ersten Mal berichtet, dass Hunde und Pferde auf ähnliche Weise miteinander spielen: Dabei zeigen die ungleichen Spielgefährten aufeinander abgestimmte Bewegungen und offene Mäuler.

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Am eindrucksvollsten ist daran vermutlich, dass die beiden unterschiedlichen Tierarten den Gesichtsausdruck ihres Spielpartners spiegeln. Dieses Verhalten wird als Rapid Facial Mimicry (RFM) bezeichnet und wurde bereits bei Primaten, Haushunden, Erdmännchen und Malaienbären beobachtet. Bis zu der aktuellen Studie wurde es aber noch zwischen Spielpartnern unterschiedlicher Arten dokumentiert.

„Das ist eine wundervolle Studie, die ganz neue Fragen rund um das Spielverhalten aufwirft“, sagt Sue McDonnell. Die Tierverhaltensforscherin der University of Pennsylvania in Philadelphia war an der Studie nicht beteiligt.

„Insbesondere haben sie das Spielverhalten zwischen zwei Arten demonstriert, bei denen man gar nicht damit rechnen würde.“

Dank Jahrhunderten der Domestizierung können Pferde und Hunde heutzutage friedlich zusammenleben. Von einem evolutionären Standpunkt aus handelt es sich bei ihnen aber um Jäger und Beute. Gerade deshalb hat es die Forscher überrascht, dass beide eine gemeinsame Sprache des Spiels zu haben scheinen.

BELIEBT

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    Darüber hinaus bekräftigt die Studie die These, dass Spielverhalten unter allen Arten ein universeller Faktor ist. Das Verhalten tritt bei einer solchen Vielzahl von Tieren auf – von Krokodilen über Otter bis hin zu Wespen –, dass Forscher vermuten, es hat sich mehrfach unabhängig voneinander entwickelt. Trotz seines vielfältigen Ursprungs ist Spielverhalten – spielerisches Kämpfen, Rennen, Jagdspiele und Sprünge – in der Natur auffällig gleichförmig.

    Der eigentliche Zweck des Spiels ist nicht ganz so offensichtlich. Es könnte Jungtieren dabei helfen, ihre sozialen Fähigkeiten und ihr Jagdverhalten zu trainieren. Die neue Studie, die das gemeinsame Spielverhalten unterschiedlicher Arten betrachtet, bringt deshalb ein spannendes neues Element in diese Überlegungen.

    Ungleiche Freunde

    2018 erhielt die Tierverhaltensforscherin Elisabetta Palagi von der Universität Pisa einen YouTube-Link von einem Studenten. Er führte zu einem Video von einem Hund und einem Pferd, die zusammen spielten. „Mir fiel auf, dass sie sich aufeinander abstimmten.“

    Diese sonderbare Partnerschaft zwischen Pferd und Hund weckte ihre Neugier, und so beschloss sie, einen wissenschaftlichen Blick auf das Spielverhalten zwischen den zwei Arten zu werfen.

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    Es gibt zahlreiche anekdotische Beispiele für Spiel zwischen unterschiedlichen Arten: Katzen und Hunde, die im selben Haushalt leben, spielen oft miteinander. Auch bei wilden Tieren wurde solches Verhalten schon beobachtet, zum Beispiel zwischen einem jungen Pavian und einem Zebra, einem ausgewachsenen Gnu und einem jungen Nashorn und sogar zwischen einer ausgewachsenen Wölfin und einem Braunbären.

    Palagi trug ihren Schülern auf, YouTube nach ähnlichen Videos zu durchkämmen, in denen Hunde und Pferde miteinander spielen. Dabei sollten sie auf bestimmte Kriterien achten: Es dürfen sich keine Menschen in die Interaktion einmischen, die Tiere können sich frei bewegen und das gemeinsame Spiel sollte mindestens 30 Sekunden andauern. Zwischen Dezember 2018 und Februar 2019 analysierten Palagi und ihre Stundeten hunderte Videos und wählten für ihre Studie schließlich 20 davon aus.

    Besonders interessierten die Forscherin Momente, in denen es zwischen den Spielpartnern zu Rapid Facial Mimicry kam. Das Phänomen ist abhängig vom Grad der Toleranz und der Vertrautheit zwischen den Spielgefährten sowie von ihrer Zusammengehörigkeit. Als Palagis Team mit der Studie begann, war noch nicht bekannt, ob es zwischen unterschiedlichen Arten überhaupt zu RFM kommen konnte.

    Die Wissenschaftler suchten in den Videos der spielerischen Interaktionen nach drei Faktoren: Welche Bandbreite hatten die Spielverhaltensweisen beider Tiere; welche Strategien wandten sie an, die ihnen selbst einen Nachteil verschafften; und welche Zeichen von Facial Mimicry gab es?

    Gemeinsame Taktik

    Das Spiel begann immer, wenn einer der Partner – Hund oder Pferd – dazu aufforderte und der andere positiv darauf einging. Das Spiel endete, wenn einer der Partner aufhörte zu spielen oder wegging und das Verhalten damit unterbrach. Im Schnitt dauerte ein Spiel 79 Sekunden.

    Einige der Verhaltensweisen der Hunde und Pferde spiegelten das Verhalten des Partners. Die Tiere taten dann beispielsweise so, als wollten sie einander beißen, täuschten aber nur an. Sie sprangen oder schoben, schlugen und jagten einander, spielten mit einem Gegenstand oder begaben sich in eine benachteiligte Position, indem sie sich auf den Rücken rollten oder den Kopf schüttelten.

    Die Forscher konzentrierten sich dabei auch auf ein Verhalten, das als relaxed open-mouth display bezeichnet wird. Dabei öffnet das Tier sein Maul und zeigt seine Zähne – allerdings nicht in einem Akt der Aggression, sondern eher im spielerischen oder deeskalierenden Kontext. Das Verhalten ist ein wichtiges Mimikrysignal und trat bei zwölf Hunden und zehn Pferden in den analysierten Videos auf.

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    Die Forscher wählten außerdem zufällig einen zehnsekündigen Ausschnitt aus jedem der 20 Videos aus und untersuchten ihn auf diverse spezifische Spielverhaltensweisen, beispielsweise Angriffs- und Verteidigungsverhalten. Mithilfe eines standardisierten Index katalogisierte das Team diese Spielarten.

    Das überraschende Ergebnis: Es gab keine markanten Unterschiede zwischen den Spielstilen von Pferden und Hunden.

    „Das deutet darauf hin, dass es einige gemeinsame Taktiken gibt“, die das „soziale Spiel zwischen unterschiedlichen Arten ermöglichen“, sagt Palagi, die als Co-Autorin an der Studie beteiligt war, die in „Behavioural Processes“ erschien.

    Spiel als Brücke zwischen den Arten

    Die Studie dokumentiert zwar nicht, wie diese Spielbeziehungen zwischen Hunden und Pferden begannen. Aber sie zeigt, dass eine gemeinsame Sprache des Spiels die Bindung zwischen den Tieren aufrechterhält, schrieb Barbara Smuts, eine Verhaltensökologin der University of Michigan, in einer E-Mail.

    „Das ist eine wichtige Studie, da sie zeigt, wie zwei Tiere, die so ein unterschiedliches Aussehen und Verhalten haben, sich trotzdem auf eine Spielweise einigen können, die für beide angenehm ist“, so Smuts.

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    „Das ist sogar noch bemerkenswerter, bedenkt man den Größenunterschied zwischen Hunden und Pferden. Der Hund kann vom Pferd verletzt werden, und das Pferd neigt eigentlich von Grund auf dazu, Angst vor Tieren zu haben, die Wölfen ähneln.“

    Obwohl Hunde und Pferde unterschiedliche evolutionäre Entwicklungen hinter sich haben, sind beide Arten domestiziert und können Gesichtsausdrücke von ihren Artgenossen und von Menschen erkennen, wie Palagi betont. Das sind Faktoren, die es ihnen ermöglichen könnten, sich im Vergleich zu wilden Tieren besser auf die Emotionen anderer Lebewesen einzustellen.

    Dennoch bleibt die gemeinsame Sprache des Spiels zwischen Hunden und Pferden ein Mysterium. Womöglich, so spekuliert Palagi, können selbst sehr unterschiedliche Arten ihre Instinkte mal für ein paar Momente ignorieren, um ein bisschen Spaß zu haben.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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