Mini-Mitbewohner: In unseren Gesichtsporen leben Milben

In einer Probe ihres Gesichtstalgs entdeckt die Autorin fast unsichtbare Untermieter, die jeder hat: Hautmilben.

Von Erika Engelhaupt
Veröffentlicht am 3. Juni 2020, 15:28 MESZ
Hautmilben leben in Poren

In unseren Gesichtsporen wohnen zwei Milbenarten. Beide verlassen so selten ihr Zuhause, dass Forscher kaum die Möglichkeit haben, sie zu beobachten. Daher wissen wir nur wenig über ihre Lebensweise.

Foto von Amanda Dalbjorn

Während du dies liest, tummeln sich Hunderte oder Tausende achtbeiniger Kleinstlebewesen in den Tiefen unserer – auch Ihrer – Gesichtsporen. Es sind Milben, winzige Spinnentiere, Verwandte der Spinnen und Zecken. Sie sind zu klein, um sie mit dem bloßen Auge zu sehen oder ihre Bewegungen zu spüren. Nicht dass sie sich viel bewegen würden. Die Haarbalgmilbe, auch Gesichtsmilbe genannt, führt ein Einsiedlerdasein und haust fast ausschließlich kopfüber im Inneren eines einzelnen Haarfollikels. Ihre Körperform hat sich dem Haarbalg angepasst und im Laufe der Evolution auf einen spindeldürren Pfropfen mit acht klitzekleinen Beinchen reduziert. Die ersten Haarbalgmilben wurden 1841 im menschlichen Gehörgang entdeckt, wenig später auch in Augenbrauen und Wimpern. Inzwischen weiß man, dass sie nicht nur in Brauen- und Wimpern leben, sondern auch unter den kurzen, feinen Härchen, die bis auf Handflächen und Fußsohlen unseren gesamten Körper bedecken.

Dicht besiedelte Gebiete

Im Gesicht ist die Dichte der Talg produzierenden Drüsen besonders hoch – dementsprechend auch die der Milben. Mindestens zwei Milbenarten sind in unseren Follikeln zu Hause, beide gehören der Gattung Demodex an. D. brevis, die kürzere und rundlichere Art, ist keulenförmig und verkriecht sich gerne etwas tiefer in unseren Talgdrüsen. Die längere, dünnere Milbenart, D. folliculorum, tummelt sich in unseren Haarfollikeln nahe der Hautoberfläche. Beide Arten verlassen ihr Zuhause so selten, dass Forscher sie kaum beobachten können, daher wissen wir nur wenig über ihre Lebensweise. Ziemlich sicher sind sich die Biologen, dass die Milben das Licht scheuen, keinen After haben und daher nichts ausscheiden. Sie verbringen quasi ihr gesamtes Leben auf unserer Haut. Ansonsten tappen wir größtenteils im Dunkeln. Vermutlich fressen sie unsere toten Hautzellen und Hauttalg. Wir wissen, dass sie sich paaren, doch Details sind unklar. Die meisten von uns bekommen diese rätselhaften Milben nie zu Gesicht.

Haben Milben Sex auf meinem Gesicht? Fragen, auf die man vielleicht keine Antwort will …

Unbemerkte Untermieter

Der Biologe Rob Dunn und seine Kollegen aber haben Bahnbrechendes über Haarbalgmilben herausgefunden, weshalb ich mich auf den Weg zu Dunns Labor in der North Carolina State University in Raleigh mache. Hoffentlich werde ich nicht nur meine eigenen Milben im Gesicht entdecken, sondern auch mehr über sie erfahren. Gerade weil sie so mysteriös sind, erzählt mir Dunn, habe er sich in die Erforschung der Haarbalgmilben gestürzt. Wie konnte ein Tier auf unserem Körper leben, ohne dass wir es bemerkten? Megan Thoemmes ist fast fertige Doktorandin in Dunns Labor und ein echter Profi beim Aufspüren der Gesichtsmilben. Für das Entnehmen von Milben aus meinen Poren streift sie Handschuhe über. Es könne allerdings sein, dass wir keine fänden, warnt sie. Besser funktioniere das Aufsammeln von Demodex-Milben mit Cyanoacrylat (Sekundenkleber). Dazu gibt man einen Tropfen Kleber auf das Gesicht der Testperson und klebt einen gläsernen Objektträger darauf. Ist der Klebstoff getrocknet, reißt man den Träger wieder von der Haut (tut weniger weh, als es klingt, behauptet sie). So wird in porenförmigen Klumpen alles aus der Haut herausgezogen, Milben inklusive. Der Laborrekord liegt bei 14 Milben aus einer einzigen Pore.

Milben zählen

Heute Morgen wenden wir die alte Methode an: Mit einem Laborspatel aus Edelstahl schabt Thoemmes den Talg aus meinen Poren. Ich bin nervös – hoffentlich war die fünfstündige Fahrt nicht umsonst. Sie kratzt den frischen Abstrich auf einen Objektträger – und ab damit unters Mikroskop. Thoemmes stellt routiniert ihr Mikroskop ein. Wenige Sekunden später murmelt sie: „Ich glaube, ich sehe eine.“ Sie schaut erneut. „Jawohl, da ist sie!“ Wir jubeln laut. Und es kommt noch besser: Meine Milbe lebt. Ich sehe ihre winzigen Beinchen im hellen Licht zappeln. Nachdem wir meinen Ex-Gesichtsbewohner fotografiert haben, wendet sich Thoemmes wieder aufmerksam dem Objektträger zu, um nach weiteren Milben zu suchen. „Zwei, drei … oh, ich glaube, da ist eine brevis!“ Längere Stille. „Acht Milben“, verkündet Thoemmes schließlich – sechs D. folliculorum und zwei D. brevis. Das seien viele, teilt sie mir diplomatisch mit. Normalerweise findet sie eine oder zwei Milben pro Gesichtsschabung, wenn überhaupt. Thoemmes hat eine weitere Methode, Haarbalgmilben zu finden: mithilfe der DNA. Dunns Laborteam fand bei der Analyse von Talgproben bei jeder erwachsenen Testperson Haarbalgmilben-DNA – durch Abschaben hingegen nur bei 14 Prozent der Testpersonen. 2014 wiesen sie in einer Veröffentlichung nach, dass Haarbalgmilben unter Menschen allgegenwärtig sind. Weitere DNA-Untersuchungen zeigen die enge Evolution der Haarbalgmilben mit ihrem menschlichen Wirt. Mindestens vier verschiedene Abstammungslinien haben sich ausgebildet, die unsere eigene Herkunft widerspiegeln: europäisch, asiatisch, lateinamerikanisch oder afrikanisch. Dunns Kollegin Michelle Trautwein von der California Academy of Sciences erforscht diese Vielfalt. Anhand der Milbenproben von Menschen aus über 90 Ländern hofft sie, das Haarbalgmilben-Genom vollständig zu sequenzieren und neue Forschungswege zu eröffnen. Vielleicht, sagt sie, erfahren wir, wie sich die Milben parallel zum Menschen entwickelt haben. Außerdem könnten wir durch die Gene der Milben, die sich im Labor nur schwer züchten lassen, ihre Physiologie besser verstehen.

BELIEBT

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    Milben als Ursache oder als Symptom?

    Die Wissenschaftler, die im 19. Jahrhundert die Besiedelung des Menschen durch Demodex-Milben entdeckten, hielten sie für potenzielle Schädlinge oder ein medizinisches Problem. Diese Betrachtung hatte ein ganzes Jahrhundert Bestand. Demodex-Milben sind vermehrt bei Patienten mit Rosacea zu finden, einer Hauterkrankung mit Gesichtsrötungen. Manche Dermatologen sehen Haarbalgmilben daher als Auslöser für Rosacea an. Heute verändert sich unsere Sichtweise auf die Milben, denn praktisch jeder von uns hat sie. Entweder sind wir alle davon „befallen“ oder wir sollten ihre Existenz anders bezeichnen. Selbst der Zusammenhang mit Rosacea sei zu hinterfragen, meint Thoemmes: Ist es eventuell genau umgekehrt? Vielleicht begünstigen der erhöhte Blutfluss und die Entzündungen, die mit Rosacea einhergehen, die Bedingungen für Haarbalgmilben. Mit anderen Worten: Die größere Milbenpopulation könnte für Rosacea ein Symptom sein, nicht die Ursache. Darüber hinaus betrachtet die Wissenschaft den menschlichen Körper inzwischen als Ökosystem, das eine Vielfalt an mikroskopischer Flora und Fauna beheimatet. Ob Dermodex-Milben überhaupt als schädliche Parasiten anzusehen sind, ist nicht klar. Milben könnten uns sogar unterstützen wie die „guten“ Mikroben in unserem Darm. Vielleicht fressen sie die schädlichen Bakterien in unseren Poren, die tote Haut und den Talg, oder sie sondern antimikrobielle Substanzen ab. Womöglich leben wir zusammen mit unseren Milben in einer symbiotischen Beziehung: Wir füttern sie mit Porentalg – dafür helfen sie uns beim Reinemachen.

    Aus dem Englischen von Dagmar Brenneisen Die Wissenschaftsjournalistin Erika Engelhaupt ist Verfasserin des Blogs Gory Details auf der amerikanischen Website natgeo.com. Sie schreibt u. a. für das NATIONAL GEOGRAPHIC Magazin und Scientific American. Im Herbst erscheint ihr Buch  „Körperlose Füße. Geschichten von der dunklen Seite der Wissenschaft“ im NG Buchverlag (14,99 €).

    Der Artikel wurde ursprünglich in der Mai 2020-Ausgabe des deutschen National Geographic Magazins veröffentlicht. Keine Ausgabe mehr verpassen und jetzt ein Abo abschließen!

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