Kapuzineräffchen testen ihre Freundschaft mit seltsamen Ritualen

Sie reißen sich die Haare aus, stecken anderen die Finger in die Nase und tauschen Gegenstände: Die Rituale der Äffchen geben Forschern zu denken – aber weisen auch Parallelen zu menschlichen Kinderspielen auf.

Von Corryn Wetzel
Veröffentlicht am 22. Juli 2020, 09:54 MESZ
Weißschulter-Kapuzineraffen (Cebus capucinus) legen seltsame Verhaltensweisen an den Tag: Sie fassen sich gegenseitig in die Nase, ...

Weißschulter-Kapuzineraffen (Cebus capucinus) legen seltsame Verhaltensweisen an den Tag: Sie fassen sich gegenseitig in die Nase, um ihre „Freundschaften“ zu testen und soziale Bindungen aufzubauen.

Foto von Susan Perry

In Costa Rica geht eine Gruppe Weißschulter-Kapuzineraffen ein paar seltsamen Beschäftigungen nach: Sie reißen sich gelegentlich gegenseitig die Haare aus, stecken die Finger in anderer Äffchen Nase und drücken die Kiefer ihres Gegenübers auf. Diese Verhaltensweisen dienen augenscheinlich keinem speziellen Zweck und wirken mitunter recht unangenehm und riskant. Ein besonders schelmischer Kapuzineraffe namens Napoleon wurde mehrfach beobachtet, wie er anderen Artgenossen ganze Haarbüschel ausrupfte – die er dann in seinen Mund steckte.

„Der andere Affe wollte seine Haare zurückhaben und musste dann versuchen, ihm den Mund aufzudrücken“, sagt Susan Perry. Sie ist die Direktorin des Lomas Barbudal Monkey Project der University of California in Los Angeles. Dabei handelt es sich um eine 30-jährige Studie über die Weißschulter-Kapuzineraffen im Lomas de Barbudal Biological Reserve in Costa Rica.

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Obwohl auch anderswo im Land Kapuzineraffen beobachtet wurden, die diese Verhaltensweisen gelegentlich zeigten, bemerkte Perry, dass sie besonders bei den Lomas-Barbudal-Affen beliebt zu sein schienen. Mit einem Forschungsteam dokumentierte sie über einen Zeitraum von 15 Jahren fast 450 Fälle dieser Verhaltensweisen bei den mehr als 50 Lomas-Barbudal-Affen. Fast 80 Prozent der Gruppenmitglieder nahmen an mindestens einem ritualisierten Austausch mit einem anderen Affen teil.

In einer im Juni veröffentlichten Studie erläutern Perry und ihr Kollege Marco Smolla ihre Theorie zur Entstehung eines Repertoires einzigartiger, scheinbar nutzloser Handlungen bei diesen Affen: Sie mutmaßen, dass es sich dabei um ritualisierte Verhaltensweisen handelt, mit denen soziale Bindungen getestet werden sollen. Die Verhaltensweisen wurden in diesem Umfang bisher nur bei dieser einen Gruppe dokumentiert. Damit sind sie ein weiterer Beweis dafür, dass Kapuzineraffen eigene Kulturen pflegen und weiterentwickeln.

Unangenehme Bindungstests

Weißschulter-Kapuzineraffen sind in Mittel- und Südamerika heimisch. Ihr Verhältnis von Gehirn zu Körpergröße ist mit dem von Schimpansen vergleichbar, was üblicherweise auf hochentwickeltere kognitive Fähigkeiten und soziale Systeme hinweist, sagt Sarah Brosnan. Die Primatologin an der Georgia State University war nicht an der Studie beteiligt.

Deshalb war Perry auch klar, dass es einen guten Grund dafür geben musste, warum diese Gruppe Zeit und Energie auf unbequeme Rituale verwendet. Solche „Rituale“ sind als eine Reihe von Handlungen definiert, die sich für gewöhnlich wiederholen und keinem offensichtlichen Zweck dienen.

„Man spürt eine fast schon instinktive Reaktion, wenn man sieht, wie ein Affe seine Finger in die Nase eines anderen steckt“, sagt Brosnan. „Das fand ich bemerkenswert [...] dass derjenige Affe, mit dem das gemacht wird, vollkommen zufrieden damit war, einfach nur dazusitzen. Das deutet darauf hin, dass es für ihn [irgendwie] wichtig ist – warum sollte er sich das sonst gefallen lassen?“

BELIEBT

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    Um diese Frage zu beantworten, setzte Perrys Studie auf eine Hypothese zum Test sozialer Bindungen, die in den Siebzigern erstmals vom Evolutionsbiologen Amotz Zahavi beschrieben wurde.

    „Die Idee hinter Zahavis Hypothese zum Bindungstest ist, dass ein Tier einem anderen einen Stressor auferlegt, um dessen Reaktion zu prüfen. So will es eine ehrliche Antwort darauf erhalten, was sein Gegenüber für ihn empfindet“, sagt Perry, ein National Geographic Explorer.

    Im Konflikt soll also der Charakter des Äffchens offenbart werden. Kapuzineraffen müssen den Charakter des anderen verstehen, um ihre soziale Bindungen zu festigen – denn es sind diese Bindungen, die ihren Status innerhalb der Gruppe bestimmen. Ihr Status wiederum kann sich auf ihren Fortpflanzungserfolg, ihre Sicherheit und ihren Zugang zu Nahrung auswirken.

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    Im Fall von Napoleon teste sein Verhalten, wie gut andere Affen mit seiner Aggression zurechtkommen – und ob sie bereit sind, ihre verletzlichen Finger in seinen Mund zu stecken, um ihre Haare zurückzuholen. Laut Perry hat Napoleon eine „besonders kreative Art, Bindungen zu testen“. Das könnte für viele Affen abschreckend sein, und Napoleon habe einen relativ niedrigen sozialen Status, so Perry.

    Sie ist der Meinung, dass solche Bindungstests am nützlichsten sind, wenn eine Beziehung nicht ganz eindeutig ist. Die Tests können Informationen darüber liefern, wie andere Affen reagieren und wie viel Toleranz sie gegenüber Unbehagen zeigen. Das kann hilfreich sein, um zukünftiges soziales Verhalten zu lenken – und Verbündete zu gewinnen.

    Austausch von Gegenständen

    Für diese Kapuzineraffen gehört zu den Ritualen auch das Hin- und Herreichen eines scheinbar nutzlosen Gegenstandes. Da diese Objekte eine besondere, aber nur temporäre Bedeutung zu haben scheinen, bezeichnet Perry sie als „heilige Gegenstände“ („sacred objects“).

    Der wiederholte Austausch eines solchen Gegenstandes, wie z.B. ein Stück Baumrinde oder ein Haarbüschel, ist eine weitere Möglichkeit, um die Stärke einer Bindung zu testen. Der Tausch kann riskant sein, da er unter Umständen den Griff in den Mund des anderen Affen einschließt, um den Gegenstand herauszufischen. Er kann aber auch spielerischer sein, indem die Affen einfach einen Gegenstand von einem zum anderen weiterreichen.

    Brosnan vergleicht diese objektbasierten Interaktionen mit typischen Kinderspielen. „Der Stock, mit dem die Kinder [spielen], ist wahrscheinlich nicht wichtig“, sagt sie. „Aber die Tatsache, dass man ihn hin- und herreichen muss, dass man in einem bestimmten Rhythmus auf die Rutsche klopfen muss, um in das geheime Clubhaus zu gelangen – das scheint eine sinnvolle, wenn auch recht grobe Parallele zu dem zu sein, was diese Kapuzineraffen tun.“

    Menschen und Kapuzineraffen haben sehr unterschiedliche Rituale und Bindungen an Gegenstände. Dennoch könnte sich dieser beobachtete Austausch darauf auswirken, wie wir über die Evolution der Primaten und den Ursprung dieser Rituale denken: Sind sie genetisch veranlagt oder werden sie kulturell erlernt?

    Perry will künftig untersuchen, wie sich diese ritualisierten Interaktionen im Laufe der Beziehungen zwischen den Affen entwickeln. Sie erhofft sich dadurch Einblicke in die Entstehung und Veränderung von Ritualen bei anderen Primaten – einschließlich dem Menschen.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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