Warum sich giftige Tiere nicht selbst vergiften

Forscher haben untersucht, wieso giftige Vögel und Frösche nicht von ihrem eigenen Gift getötet werden. Die Ergebnisse widerlegen bisherige Vermutungen.

Von Jason Bittel
Veröffentlicht am 9. Aug. 2021, 15:00 MESZ
Färberfrösche sind im Sipaliwini-Distrikt in Suriname heimisch.

Färberfrösche sind im Sipaliwini-Distrikt in Suriname heimisch.

Foto von Jon G. Fuller/VWPics / Alamy Stock Photo

Im Tropenwald von Neuguinea lebt der Zweifarbenpirol, ein kleiner Vogel mit einem tödlichen Geheimnis: Seine Haut und sein orange-schwarzes Gefieder enthalten das Gift Batrachotoxin (BTX).

Schon kleinste Verletzungen an der Haut reichen aus, damit die Berührung seiner Federn einen brennenden Schmerz auslöst. Geradezu gefährlich wird es, wenn das Gift des Vogels oral eingenommen wird: Es verhindert das Verschließen der Natriumkanäle, die für die Funktion von Nerven, Gehirnzellen und Muskeln zuständig sind. Es kommt zu Krampfanfällen, die stark genug sein können, um zum Tode zu führen. Die lebensgefährliche Dosis von Batrachotoxin wird für den Menschen auf 1 bis 2 µg/kg Körpergewicht geschätzt.

„Für die Tiere ist das Gift ein Schutz vor Angreifern. Beim Fressfeind löst es mindestens ein unangenehmes Gefühl aus – im schlimmsten Fall bringt es ihn um“, erklärt Daniel Minor, Biophysiker am Cardiovascular Resarch Institute der University of California in San Francisco.

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Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Zweifarbenpirol das Gift nicht selbst herstellt, sondern vielmehr das Gift der kleinen Käfer recycelt, die er selbst frisst. Nach demselben Prinzip kommen wohl auch die Baumsteigerfrösche – besser bekannt als Pfeilgiftfrösche - in Mittel- und Südamerika zu dem Gift auf ihrer bunten Haut.

Die faszinierende Frage ist, wie es diesen giftigen Tieren gelingt, sich nicht selbst zu vergiften.

Jahrzehntelang war die vorherrschende Theorie, dass die Natriumkanäle der giftigen Vogel- und Froscharten, mittels Mutationen im Laufe der Zeit eine Immunität gegen BTX aufgebaut haben müssen. Dafür sprach auch, dass es Tierarten gibt, denen Gift nichts anhaben kann: Etwa der Ichneumon, der einen Kobrabiss überleben kann.

Eine neue Studie, die im „Journal of General Physiology“ veröffentlicht wurde, hat diese Annahme nun widerlegt. Forscher fanden Belege dafür, dass Zweifarbenpirole und Baumsteigerfrösche über einen „Giftschwamm“ verfügen, ein Protein, das die tödlichen Giftstoffe einfach aufsaugt, bevor es im Körper Schaden anrichten kann.

Schwammprotein statt Immunität

Für ihre Experimente isolierten Daniel Minor und sein Team die Gene, die für die Natriumkanäle von Zweifarbenpirol und Baumsteigerfrosch zuständig sind, und übertrugen sie in lebende Zellen verschiedener Arten. Die Präparate wurden dann mit Batrachotoxin in Kontakt gebracht. Ausnahmslos alle Zellen wurden durch das Gift angegriffen, was darauf schließen lässt, dass bei den Natriumkanäle der giftigen Tiere keine Immunität gegen BTX vorliegt. In einer anderen Testreihe wurde verschiedenen Froscharten Batrachotoxin injiziert – nur die Giftfrösche überlebten.  

„Das deutet darauf hin, dass es in dem Körper dieser Tiere etwas geben muss, das dafür sorgt, dass das Gift gar nicht erst in die Nähe der Natriumkanäle kommt“, sagt Daniel Minor. Die für ihn wahrscheinlichste Erklärung ist das Schwammprotein. Im Jahr 2019 entdeckte sein Labor einen solchen Giftschwamm in Ochsenfröschen, die durch ihn gegen das starke Gift Saxitoxin immun sind. Ein ähnlicher Fund beim Zweifarbenpirol oder Baumsteigerfrosch stehe noch aus, so Minor, doch daran arbeite man.

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BELIEBT

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    Rebecca Tarvin, Evolutionsbiologin an der University of California in Bekeley und National Geographic Explorer, hat die Immunität von Giftfröschen gegenüber einem anderen Nervengift, dem Epibatidin, untersucht. Sie zeigt sich von den Ergebnissen der Studie sehr beeindruckt.

    „Ausgehend von meinen eigenen Forschungen hat es mich sehr überrascht zu erfahren, dass die Natriumkanäle von Giftfröschen nicht immun gegen Batrachotoxin sind. Das widerspricht dem, was wir vermutet haben“, sagt sie. Gleichzeitig warnt sie davor, das Ergebnis zu generalisieren. „Es wurde nur eines von vielen Gifte getestet, die man an Fröschen finden kann. Was dieses betrifft, bin ich jedoch überzeugt.“

    Gift oder Medizin

    Obwohl tropische Inselvögel und Regenwaldfrösche wie ein Nischenthema erscheinen, kann dieser Zaubertrick der Biologie für Menschen auf der ganzen Welt von Nutzen sein.

    „Toxine haben schon immer eine große Rolle bei der Erforschung bestimmter Proteine und ihrer Funktionen gespielt. Außerdem sind sie Grundlage bei der Entwicklung von Medikamenten“, erklärt Rebecca Tarvin.

    Eine Komponente des Ochsenfrosch-Gifts zeigte zum Beispiel bei Labortests einen Anti-Krebs-Effekt und das Tetrodotoxin, das man etwa in Kugelfischen und Molchen findet, könnte als neuer Grundstoff für Betäubungsmittel geeignet sein.

    „Für mich bleibt die wichtigste Frage, wie zur Hölle sich diese Tiere mit ihrem Gift nicht selbst töten“, sagt Daniel Minor. „Doch während wir versuchen dieses Rätsel zu lösen, gewinnen wir grundlegend wichtige Erkenntnisse über biologische Systeme.“

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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