Krabbenfischerei in Gefahr: Wie eine neue Maschine die alte Tradition retten soll
Ein Krabbenkutter fährt über den Heverstrom vom Husumer Hafen in die offene Nordsee. Die Kutter befinden sich oft seit mehreren Generationen in Familienbesitz, aufgrund der schlechten Wertschöpfungskette fehlen vielen Fischern die Mittel für Modernisierungen und nötige Investitionen.
Der Anblick von Krabbenkuttern, die in den kleinen Häfen der Nordseeküste von Schleswig-Holstein und Niedersachsen im Wind schaukeln, ist so untrennbar mit dieser Region verbunden wie ein Spaziergang durch das Wattenmeer. Die Krabbenfischerei ist eine der ältesten Kulturtechniken der norddeutschen Fischerei: Ihre Tradition geht bis in das 17. Jahrhundert zurück. Doch der gewerbliche Krabbenfang, der ausschließlich im Familienbetrieb geführt wird, befindet sich in einer schweren Krise – und das schon seit vielen Jahren.
Rund 280 Krabbenkutter sind laut der Erzeugergemeinschaft der Deutschen Krabbenfischer im Einsatz. Im Schnitt fangen sie etwa 12.000 Tonnen sogenannte Nordseekrabben, bei denen es sich aber nicht um Krabben im zoologischen Sinn, sondern um Nordseegarnelen (Crangon crangon) handelt. Die tatsächlichen Erträge unterliegen dabei starken jährlichen Schwankungen: So waren es im Jahr 2005 insgesamt 19.000 Tonnen, im Jahr 2016 aber nur 6.500 Tonnen.
Krabbenpulen ist Handarbeit
Doch nicht nur fangschwache Jahrgänge machen den Krabbenfischern zu schaffen: Das weitaus größere Problem liegt in der Weiterverarbeitung der Garnelen. Diese müssen vor dem Verzehr aus ihrer Schale gepult werden – und das von Hand. Traditionell fand dies in Heimarbeit statt, doch seit dem Jahr 1992 verbieten EU-Vorschriften dies aus Gründen der Lebensmittelhygiene. Gewerbliches händisches Krabbenpulen in Deutschland würde geschälte Nordseegarnelen aufgrund der vergleichsweise hohen Löhne zu einem unerschwinglichen Luxusgut machen. Darum werden derzeit 90 Prozent der hier gefischten Krabben in LKWs nach Marokko transportiert, dort geschält und dann wieder nach Europa importiert.
Einen kleinen Teil ihres Fangs verkaufen die Krabbenfischer ungeschält in ihrem Heimathafen (wie hier in Büsum), die meisten Nordseekrabben werden jedoch schon an Bord der Kutter mit Konservierungsstoffen für den Transport nach Nordafrika vorbereitet.
Zwar gab es bereits mehrere Anläufe, das Krabbenpulen maschinell durchzuführen, doch alle Ansätze stellten sich als unwirtschaftlich heraus. „Alle bisherigen Maschinen schälen die Krabben mechanisch“, erklärt Dr. Ralf Döring, Senior Advisor für ökonomische Beratung und Fischereiökonom am Thünen-Institut für Seefischerei in Bremerhaven. „Die Krabben sind aber nicht alle gleich groß, sodass die Maschine immer wieder neu eingestellt und die Krabben per Hand nachgepult werden müssen.“ Dabei sei die Ausbeute durch das maschinelle Schälen deutlich kleiner als beim Pulen von Hand, der Reinigungsaufwand bisheriger Krabbenpulmaschinen aber sehr hoch.
Stoßwellen statt Mechanik
Der Krabbenfischerei helfen und diese Situation ändern soll nun eine neue Art der Krabbenpulmaschine, die mit Stoßwellentechnik arbeitet. Die Idee dazu hatte die Erfinderin Christin Klever, deren Vater Günter Klever Geschäftsführer der Erzeugergemeinschaft Küstenfischer ist, während ihres Maschinenbaustudiums. Sie führte Laborversuche mit einem Ultraschallgerät durch, das in der Medizin zum Zertrümmern von Nierensteinen genutzt wird. Garnelenpanzer und Nierensteine ähneln sich in ihrem Kalkgehalt und der porösen Struktur. Klevers Versuche zeigten, dass Nordseegarnelen in einem Wasserbehälter bereits bei Schallwellen von 60 bis 70 Impulsen pro Minute zu schwingen beginnen, was zum Sprengen des Panzers führt.
Das Patent für die Maschine meldete Christin Klever bereits im Jahr 2020 an, doch für den Bau des Prototyps fehlte das Geld. Nun wird das Projekt unter der Federführung des Thünen-Instituts mit 2,3 Millionen Euro durch das Land Niedersachsen gefördert.
Im Rahmen des Projekts wird der Prototyp laut Ralf Döring sowohl auf seine Funktionalität als auch in Hinblick auf seine Wirtschaftlichkeit und die Qualität des Endprodukts geprüft. Außerdem soll getestet werden, inwieweit Schälreste weiterverwertet werden können. So eignet sich der Chitin-Panzer der Nordseegarnele zum Beispiel als Grundstoff für die Kosmetikindustrie.
Für den Bau der Maschine ist ein Zeitraum von drei Monaten eingeplant, rund ein Jahr ist für die Testphase vorgesehen. „Die Technik wurde schon getestet, wir wissen also, dass es funktioniert“, sagt Ralf Döring. „Es ist nur unklar, ob das auf größerer Ebene wirtschaftlich durchgeführt werden kann.“ Deswegen soll im Zuge des Projekts die gesamte Wertschöpfungskette vom Fang über die Verarbeitung bis hin zur Vermarktung untersucht werden.
Gut für Umwelt und Krabbenfischer
Die Weiterverarbeitung direkt vor Ort würde für die Krabbenfischer eine enorme Verbesserung ihrer Situation bedeuten. Während der Coronakrise sanken die marokkanischen Pulkapazitäten um zwei Drittel, sodass die Fischer gezwungen waren, ihre Fangquoten zu reduzieren. „Es sind deshalb keine Rücklagen mehr vorhanden“, sagt Ralf Döring. Während Dänemark und die Niederlande ihre Kutterflotten aufrüsten, fehlen den deutschen Kutterkapitänen die Mittel für Investitionen – ein erheblicher Wettbewerbsnachteil. Durch den Ukraine-Krieg gestiegene Treibstoffkosten verschärfen die Situation zusätzlich. Zudem haben die Fischer Ralf Döring zufolge kaum bis gar keinen Einfluss auf die Preise, da es nur wenige Aufkäufer für die Krabben gibt, die auf dem Markt eine Monopolstellung haben.
Aber auch die Umwelt würde von der erfolgreichen Entwicklung der Stoßwellen-Krabbenpulmaschine profitieren: Durch das Schälen in der Fangregion fiele der Transport nach Marokko weg, was laut US Processing Klever UG Tausende Tonnen CO2 einsparen würde. Außerdem müssten die Nordseegarnelen nicht mehr mit Benzoesäure behandelt werden, um sie für den langen Weg nach Nordafrika haltbar zu machen.
„Mit einer regionalen Entschalung könnte ein Markt aufgebaut werden, der stabilere Preise und höhere Einkommen verspricht“, sagt Ralf Döring. „Von daher könnten so praktisch zwei Probleme gelöst werden: Die Fischerei könnte krisenfester werden und das Produkt würde nachhaltiger verarbeitet.“
Auf diese Weise könnten in Greetsiel, Büsum, Husum und den anderen kleinen Kutterhäfen der Nordsee auch in Zukunft Krabben entladen werden – und diese alte Fischereitradition uns allen als Kulturgut erhalten bleiben.