Biene des Meeres: Krustentier befruchtet Pflanzen unter Wasser

Eine neue Studie zeigt, dass die Baltische Meerassel Rotalgen bei der Fortpflanzung unterstützt. Dies widerlegt die bisherige Annahme, dass die Befruchtung von Pflanzen durch Tiere nur an Land stattfindet – und dort seinen Ursprung hat.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 8. Aug. 2022, 09:31 MESZ
Die orange-rot schimmernde Baltische Meerassel auf einer Pflanze Unterwasser.

Die Baltische Meerassel (Idotea balthica) findet in dichtwachsenden Rotalgen Unterschlupf und Nahrung. Dafür zeigt sie sich erkenntlich, indem sie der Alge bei der Fortpflanzung hilft.


 

Foto von Wilfried Thomas / Station Biologique de Roscoff - SBR

Damit Pflanzen Samen und Früchte bilden können, müssen sie bestäubt werden – und alle, die nicht zu den Selbstbestäubern zählen oder sich vegetativ über Ableger vermehren, benötigen dabei Hilfe. Manchmal ist es der Wind, der die Pollen von Blüte zu Blüte trägt. Meistens aber fällt die Aufgabe Insekten wie Bienen, Schmetterlingen oder Hummeln, aber auch Kolibris oder sogar Fledermäusen zu. Farbe und Geruch der Blüten locken Tiere an, an denen die Pollen kleben bleiben, nachdem sie die Blüte inspiziert haben. Gelangen sie in der nächsten Blüte an deren Narbe, beginnt der geschlechtliche Fortpflanzungsprozess – Samen und Früchte entstehen.

An Land ist die Fremdbestäubung ein essenzielles System, dessen Ausfall unser aller Existenz in Gefahr bringen würde – deswegen ist das Bienensterben so besorgniserregend. Doch wie sieht es mit Pflanzen aus, die unter Wasser im Meer wachsen? In der Biologie wurde bisher die Ansicht vertreten, dass diese keine vergleichbare Unterstützung bei ihrer Fortpflanzung haben und Fremdbestäubung im Allgemeinen nur an Land stattfindet.

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Nun hat ein wissenschaftliches Team unter der Leitung von Myriam Valero, Biologin am internationalen Forschungslabor Station Biologique de Roscoff in Frankreich, diese bisher vorherrschende Annahme widerlegt. In einer Studie, die in der Zeitschrift Science erschienen ist, erklären die Forschenden, wie kleines Meereskrustentier namens Idotea balthica bei Rotalgen die Funktion des Bestäubers übernimmt.

Fremdbestäubung im Wasser wie an Land

In den dicht verzweigten, buschigen Rotalgen findet die ameisengroße Baltische Meerassel nicht nur Unterschlupf, sondern auch Nahrung: Auf ihrem Speiseplan stehen Mikroalgen, die auf der Oberfläche der Rotalgen wachsen. Die Forschenden fanden heraus, dass das Sperma der männlichen Algen mithilfe einer Substanz am Körper der Asseln haften bleibt, während diese die Algen abweiden. Das Sperma löst sich wieder, wenn die Krustentiere mit einer weiblichen Alge in Kontakt kommen, heftet sich an deren Fortpflanzungsorgane und bestäubt die Eier. Das Befruchtungsprinzip funktioniert also im Meer genauso wie an Land.

Ohne die Bestäubungshilfe der Baltischen Meerassel wäre die Rotalge bei ihrer Vermehrung allein auf günstige Wasserströmungen und die Nähe von männlichen zu weiblichen Pflanzen angewiesen. Somit dürfte die zusätzliche Unterstützung durch die Asseln durchaus zum Befruchtungserfolg der Wasserpflanzen beitragen. Wie unverzichtbar die Baltische Meerassel für die Fortpflanzung der Rotalgen tatsächlich ist, muss erst noch genauer untersucht werden. „Eine der Herausforderungen bestand vor allem darin, die vielen kleinen, nur wenige Mikrometer großen Geschlechtszellen auf der ebenso mikroskopisch kleinen, aber tausendmal größeren Körperoberfläche der Baltischen Meerassel zu lokalisieren und zu dokumentieren", erklärt Sébastien Colin, Forscher am Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen und Mitautor der Studie.

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    Neben der Frage, wie essenziell der Dienst der Meerasseln für die Rotalgen ist, wollen die Forschenden außerdem klären, ob auch andere Algenarten auf vergleichbare Weise bestäubt werden. Doch schon der jetzt erbrachte Beweis dafür, dass eine Fremdbefruchtung durch Tiere im Meer stattfindet, ist eine erstaunliche Erkenntnis, die auch abseits von Asseln und Algen von Bedeutung ist.

    Denn bis vor Kurzem wurde davon ausgegangen, dass die Bestäubung von Pflanzen mithilfe von Tieren sich erst an Land und vor etwa 140 Millionen Jahren entwickelt hat. Die neuen Forschungsergebnisse widerlegen dies, denn Rotalgen existieren bereits seit über 800 Millionen Jahren. Die Studienautoren vermuten, dass die Befruchtung der Wasserpflanzen durch Meerestiere wie Idotea balthica bereits weit vor der Entstehung pflanzlichen Lebens an Land stattgefunden hat – und somit ihren Ursprung in unseren Ozeanen hat.

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