Gibt es zu viel Rotwild am Königssee?

Im Nationalpark Berchtesgaden leben Tausende Rothirsche. Mehr als für die Natur verträglich, heißt es nun in einer Meldung. Ab wann viel zu viel wird – und wie der Nationalpark damit umgehen will.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 18. Aug. 2023, 15:19 MESZ
Eine große Gruppe Rotwild steht beisammen nahe eines Sees.

Winterliche Wildtierfütterungen offenbaren die Größe der Rothirsch-Population im Nationalpark Berchtesgaden. An den Futterstellen am Königssee finden sich regelmäßig Tiere im dreistelligen Bereich zusammen. Zu viele – findet auch Nationalparkleiter Roland Baier.

Foto von Nationalpark Berchtesgaden

Rotwild so weit das Auge reicht: Die Zahl der Rothirsche (Cervus elaphus) in den Wäldern rund um den Königssee nimmt stetig zu. Im Schutz des Nationalparks Berchtesgaden haben sie sich innerhalb der letzten 20 Jahre beinahe verdoppelt.

Die hohen Bestände könnten für das Wohlergehen von Jungbäumen und somit für den Waldbestand zum Problem werden, sagen die einen. Andere sorgen sich um die Verbreitung von Krankheiten zwischen den vielen Tieren. Gleichzeitig steht aber auch die Jagd der Tiere in der Kritik.

Was also tun? Vertreter*innen der Nationalparkverwaltung sowie der Kreisgruppe Berchtesgadener Land des Bayerischen Jagdverbandes trafen sich kürzlich zur Lösungsfindung. Vorgestellt wurde ein neues Konzept zur Wildbestandsregulierung in der Pflegezone des Nationalparks. Beide Seiten streben möglichst schonende Maßnahmen zur Regulierung des Rotwilds an.

Im Schutz des Nationalparks: Probleme durch „zu viel“ Rotwild

Der Schutz des Waldes und der Baumbestände im Voralpenland wird meist als Hauptargument für die Regulierung von Schalenwild – zu dem neben Rothirschen auch Rehe oder Gämse gehören – angebracht. Denn die Tiere ernähren sich, aufgrund mangelnder Alternativen, oft zu einem großen Teil von leicht zugänglichen, frischen Trieben und der weichen Rinde von Jungbäumen. 

Die Sorge um den Baumbestand ist nicht ganz unbegründet: Laut aktuellen GPS-Daten von 29 Hirschkühen im Alter von zwei bis 12 Jahren, die im Frühjahr 2022 besendert wurden, bewegen sich die Rothirsche im Sommer beinahe ausschließlich in der Kernzone des Nationalparks. Genau dort, wo Regulierungen der Bestände durch die Jagd nicht vorgenommen werden dürfen. 

In die eingerichteten Bereiche, in denen eine Entnahme möglich wäre, begeben sich die lernfähigen Tiere dafür immer seltener. Zusätzlich führen die verspäteten Wintereinbrüche dazu, dass sich die Tiere erst nach dem Ende der Jagdzeit aus der schützenden Kernzone des Nationalparks herausbewegen. Der Zustand der Wälder könnte sich innerhalb dieser Kernzone dementsprechend verschlechtern. Ein Schutzkonzept des Nationalparks Berchtesgaden zum Wohle der Waldokösysteme sollte deshalb Abhilfe verschaffen.

Deutlich mehr Rotwild auch bei Wildfütterungen

Ein Ansatz dieses Konzeptes beinhaltet den Schutz der Wälder durch winterliche Wildfütterungen. Um die Bäume vor Verbiss- und Schälschäden zu schützen, werden die Tiere ab Dezember durch Fütterungen in große Gatter gelockt – und erst im Frühjahr wieder freigelassen.

Doch Analysen zeigen: Die Nachfrage an den eingerichteten Futterplätzen steigt stetig. Inzwischen kann man nicht nur mehrere Dutzend, sondern teils sogar über 100 Tiere beobachten. Bereits Anfang des Jahres teilte der Oberste Bayerische Rechnungshof (ORH) mit, dass sich die Bestände des Rotwildes im Nationalpark in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt haben und auf derzeit rund 400 Tiere anstieg. Zu viele, findet dieser und fordert deshalb eine deutliche Reduktion der Rotwildbestände durch Abschuss. 

BELIEBT

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    Auch dem Nationalparkleiter Roland Baier bereiten die hohen Zahlen Sorgen: „Die großen Rotwilddichten an den Fütterungen am Königssee müssen tierschutzgerecht reduziert werden, denn sie begünstigen Tierseuchen und beeinträchtigen das Tierwohl durch innerartlichen Stress.“

    Bisherige Erfolge: Bestände entsprechen den Vorgaben

    Nationalpark-Wildbiologe Rudolf Reiner blickt den Forderungen der Entnahme von Rothirschen unterdessen kritisch entgegen: „Eine Regulierung des Rotwildes in der Kernzone ist aus wildbiologischer Sicht abzulehnen. Die Kernzone des Nationalparks ist auf rund 16.000 Hektar aktuell die größte Wildruhezone Bayerns. Hier haben die Tiere ganzjährig Ruhe und sind gut zu beobachten. Das soll auch so bleiben.“ 

    Laut ihm wäre eine Regulierung in dem sehr schwer zugänglichen Gelände des Nationalparks ohnehin kaum möglich. Um geschossene Tiere zu bergen, müssten Hubschrauber zum Einsatz kommen – in einem Nationalpark undenkbar. Zudem entspricht die Population der Rothirsche trotz einer Dichte von mehr als 30 Tieren pro 100 Hektar laut Reiner den Vorgaben. 

    Auch den Baumbeständen geht es laut dem stellvertretenden Nationalparkleiter Daniel Müller gut – das bisherige Konzept habe sich bewährt: „Aktuell haben wir für unser Projekt zur Wiederherstellung von Waldökosystemen sogar einen Preis der UN-Dekade erhalten. Dabei wurde unser Konzept zur Wildbestandsregulierung von der Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz explizit gelobt.“

    Austausch zum tierschutzgerechten Rotwildmanagement

    Fest steht laut Nationalparkleiter Baier: Das Thema der Wildbestandsregulierung im Nationalpark ist sensibel. Zukünftige Maßnahmen müssten von einer möglichst breiten Öffentlichkeit mitgetragen werden – und neben den Regularien des Nationalparks auch dem Tierschutzgesetz entsprechen. 

    Als mögliche Alternative brachte die Nationalparkleitung anlässlich des Fachaustausches mit dem Bayerischen Jagdverband (BJV) den Vorschlag eines neuen Forschungsprojektes zum Rotwildmanagement. Dieser sieht ein sogenanntes Reduktionsgatter vor, das bereits in mehreren anderen Nationalparks zum Einsatz kommt. Dabei werden die Tiere, anders als bei den winterlichen Fütterungen, ausschließlich zum Tötungszwecken in eingezäunte Bereiche gelockt. 

    Im Gegensatz zur konventionellen Jagd haben die Tiere hierbei allerdings keine Chance zu fliehen. Der BJV sieht diesen Vorschlag daher kritisch. „Der BJV-Kreisgruppe ist wichtig, dass zunächst alle jagdlichen Möglichkeiten geprüft werden und ein Entnahmegatter nur Ultima Ratio sein kann. Diesen Prozess werden wir sehr genau beobachten“, sagt Kreisgruppenvorsitzender Hans Berger.

    Nationalparkleiter Baier betont, es werden sämtliche Möglichkeiten ergebnisoffen und transparent diskutiert: „Aus Tierschutzgründen sollen die Methoden zum Einsatz kommen, die am effektivsten sind und dauerhaft die geringste Stressbelastung für unser Rotwild darstellen.“

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