Millionen Bergfinken zu Besuch in Schwaben

Auf der Schwäbischen Alb sind riesige Schwärme der kleinen Vögel aus Skandinavien auf Futtersuche. Das Naturschauspiel fasziniert Ornitholog*innen und Schaulustige gleichermaßen.

Die Fichten sind das Ziel der Bergfinken. Es dauert eine Weile, immer wieder steigen tausende Tiere empor – aber in dem Wäldchen findet jeder Vogel einen Schlafplatz.

Foto von Marina Weishaupt
Von Marina Weishaupt
bilder von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 5. März 2024, 08:44 MEZ

Die Schwäbische Alb heißt Neugierige an diesem durchwachsenen Februartag zunächst wenig herzlich willkommen. Es wirkt ein bisschen wie die Ruhe vor dem Sturm: Dicke Wolken verhängen den Himmel, ganz in der Ferne blitzt es sogar. Hobby Ornitholog*innen trotzen dem kurzen Graupelschauer – denn wer weiß, wie lange das Naturschauspiel, das sich hier seit einigen Wochen abspielen soll, noch anhält?

Mit dem zusehends besseren Wetter ziehen immer mehr Schaulustige auf. Wo man hinsieht, sind lange Objektive oder Ferngläser gen Himmel gerichtet, vorfreudig auf das, was in wenigen Minuten vonstatten gehen wird: Der Ansturm mehrerer Millionen Bergfinken. Normalerweise strotzt es hier nur so vor Ruhe. In diesem Winter aber hat sich eine gigantische Kolonie der laut zwitschernden Besucher für einen Kurzbesuch zusammengefunden. Ein für die Region einzigartiges Naturschauspiel.

Galerie: Millionen Bergfinken in Schwaben

4 Millionen Bergfinken begeistern jung und alt

Pünktlich, etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, tänzeln die ersten, kleinen Schwärme über dem abgelegenen Feldweg bei Justingen und Schelklingen im Alb-Donau-Kreis, nahe Ulm. Nur Minuten später summieren sich die kleinen Vögel zu einem riesigen Schwarm. Nun sind es nicht die Wolken, die den Himmel verdunkeln, sondern Fringilla montifringilla, so der wissenschaftliche Name der Bergfinken.

Unterdessen stehen entlang des Feldweges Jung und Alt beisammen, werfen die Köpfe in den Nacken und erfreuen sich mit breitem Grinsen an dem Anblick. Mit jeder neuen Runde, die der Schwarm über die Wälder und Wiesen zieht, geht ein Raunen durch die Menge. Wie viele Vögel hier über den Köpfen schwirren, lässt sich mit bloßem Auge kaum schätzen. Diplom-Biologin Pia Reufsteck gelang es Mitte Februar dank einer speziellen Zähltechnik mit Hilfe ihrer Kamera: Während dem morgendlichen Abflug erfasste sie 4 Millionen Vögel – eine Zahl, die angesichts des Spektakels am Himmel kaum überrascht.

Hungriger Besuch aus dem hohen Norden

Bei den Berg- oder auch Nordfinken, die sich in diesem Winter in den Wäldern rund um Schelklingen niederlassen, handelt es sich tatsächlich um Besuch aus dem hohen Norden. Die meiste Zeit ihres Lebens verbringen die etwa 15 Zentimeter langen Vögel in Skandinavien und Eurasien, wo sie brüten und ihre Jungen aufziehen. Mangelt es ihnen dort an Nahrung, entfliehen sie dem schneereichen Winter ihrer Heimat und ziehen in großen Schwärmen nach Mitteleuropa.

Hier finden sie das Nahrungsmittel, was auch den Stopp auf der Alb veranlasst hat: Bucheckern. Ein Schwarm von einer Million Bergfinken verdrückt gut und gerne etwa acht Tonnen davon – an nur einem Tag. Um ein geeignetes Gebiet zu finden, das genug Nahrung bietet, nehmen die Vögel dementsprechend lange Reisen auf sich.

BELIEBT

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    Links: Oben:

    Das Winterkleid eines männlichen Bergfinken besticht durch seine orangefarbene Brust.

    Rechts: Unten:

    Das Gefieder des Weibchens ist zwar ähnlich gemustert, aber weniger farbenfroh.

    bilder von Martin Mecnarowski, CC BY-SA 3.0, Wikimedia Commons

    Laut Sabine Kröber, Pressesprecherin vom NABU Ulm–Neu-Ulm, war der Tisch nicht immer derart reich gedeckt: „Bis in die Nachkriegsjahre hinein wurden die Bucheckern von Menschen gesammelt und als Viehfutter verwendet.“. Auch der erhöhte Nährstoffeintrag in unsere Wälder – etwa durch Landwirtschaft, oder höheren CO2 Gehalt in der Luft – führe zu mehr Mastjahren im Wald. Die Gegend rund um Schelklingen scheint sich in diesem Jahr besonders dafür anzubieten.

    Zwischen Nahrungsquelle und Schlafquartier

    Zudem treffen dort, wo sich das Spektakel beobachten lässt, Buchen auf Fichten. Reufsteck geht davon aus, dass das kleine Wäldchen als Schlafplatz ausgewählt wurde, weil es dort windgeschützter und wärmer ist als im laubfreien Buchenwald. Dass hier seit Wochen Millionen Vögel nächtigen, hinterlässt seine Spuren. „Es liegt zwar mittlerweile eine teils mehrere Zentimeter hohe Kotschicht auf dem Boden“, sagt Reufsteck. „Aber der Fichtenforst ist jung und ökologisch nicht besonders wertvoll. Ein mögliches Absterben von Bäumen wäre kein großer Verlust.“

    Auch an diesem Abend kehrt eine Wolke an Buchfinken hierher zurück, die kein Ende zu nehmen scheint. Die Sonne ist längst verschwunden und färbt den Himmel in warmes Licht, als es auch die letzten Finken geschafft haben. Statt über den Köpfen herrscht nun zwischen den Nadelbäumen ein reges Durcheinander. Das Stimmenwirrwarr der Vögel auf Schlafplatzsuche gleicht einem rauschenden Fluss und hält noch eine ganze Weile an.

    Ein jährliches Naturschauspiel?

    Tatsächlich konnten derart große Schwärme von Bergfinken in der Vergangenheit schon häufiger in Deutschland beobachtet werden. Die Wintersaison 2023 lockte beispielsweise ähnlich viele Vögel ins niedersächsische Weserbergland. Wie lange sich die Vögel noch in Schelklingen aufhalten werden, ist ungewiss. „Sicher ist, dass die Bergfinken innerhalb des Monats März in ihre Brutgebiete aufbrechen werden“, so Reufsteck.

    Ob sie in Zukunft in das kleine Fichtenwäldchen zurückkehren werden? Die Biologin entkräftet die Hoffnungen: „Dass es noch einmal eine so riesige Ansammlung an Bergfinken am Schlafplatz Justingen geben wird, ist unwahrscheinlich.“ Womöglich kann sich dann die ein oder andere Region an reichlich Bergfinken erfreuen.

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