Wundersame Bärtierchen: Dornröschen-Schlaf macht sie nahezu unsterblich

Bärtierchen gelten als fast unzerstörbar. Die winzigen Überlebenskünstler verfügen über eine Superkraft, die der Forschung bis heute Rätsel aufgibt.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 22. Mai 2024, 15:09 MESZ
Ein Bärtierchen unter dem Mikroskop in Schwarzweiß. Stark vergrößert kommt die Ähnlichkeit seines Namensvetters zur Geltung: ...

Ein Bärtierchen. Erst unter dem Mikroskop kommt die Ähnlichkeit seines Namensvetters zur Geltung. Der pralle Körper und die kurzen Beine erinnern an einen Bären.

Foto von Ralph Schill / Universität Stuttgart

Bis zu 50 Tage kann der Mensch ohne Nahrung überleben. Das klingt nach viel. Einige Tiere schaffen das aber deutlich länger. Zum Beispiel Bären, Igel und andere Säugetiere, die Winterschlaf halten. Oft verzichten sie mehrere Monate lang aufs Fressen. Schlangenarten wie die Anakonda kommen fast zwei Jahre ohne Nahrung aus. Zecken bringen es sogar auf bis zu zehn Jahre. 

Doch all das ist nichts im Vergleich zu jenen rätselhaften Kreaturen, die unter dem Mikroskop betrachtet eher an außerirdische Mini-Bären erinnern als an irdische Wesen: Bärtierchen (Tardigrada) sind winzige Wasserbewohner mit acht krallenbewehrten Beinen. Sie sind eine ganz eigene Tiergruppe und werden auch Wasserbären genannt. Weit über 1.300 Arten sind bislang bekannt.

Die wirbellosen, oft weniger als einen Millimeter großen Geschöpfe halten selbst extremen Umweltbedingungen stand. Bärtierchen überleben tiefste Minusgrade und sind auch gegen starke Hitze und kosmische Strahlung gefeit. Sie krabbeln im Polareis, in der Tiefsee und in Regenrinnen. Häufig findet man sie auch in weichem Moos. Hauptsache, es ist feucht genug.

Bärtierchen: So robust wie kein anderes Tier
Bärtierchen können in inaktivem Zustand mehrere Jahrzehnte ohne Nahrung auskommen und extremen Umweltbedingungen trotzen.

Kryptobiose: Das Geheimnis der Wasserbären 

Bärtierchen haben es im Laufe der Evolution geschafft, sich perfekt an schnell wechselnde Umweltbedingungen anzupassen. Ihr Trick: Bei extremer Hitze trocknen sie aus, bei Kälte gefrieren sie. „Sie fallen in einen Dornröschenschlaf, ohne zu sterben“, erklärt Ralph Schill, Professor am Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme der Universität Stuttgart. Forschende sprechen dabei von Kryptobiose.

Schill studiert die winzigen Wasserbären seit vielen Jahren. Wie genau ihre Superkraft funktioniert, konnte die internationale Forschungsgemeinschaft bis heute nicht herausfinden. Klar ist aber: Bärtierchen können nahezu ewig im kryptobiotischen Zustand verharren, ohne zu altern. Auf diese Weise kommen sie zum Beispiel jahrzehntelang ohne Nahrung aus. 

Dabei zeigen sie keine offensichtlichen Lebenszeichen mehr. „Während inaktiver Perioden bleibt die innere Uhr stehen und läuft erst wieder weiter, sobald der Organismus reaktiviert wird“, sagt Schill. „So können Bärtierchen, die ohne Ruheperioden normalerweise nur wenige Monate leben, viele Jahre und Jahrzehnte alt werden.“

BELIEBT

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    Lebendaufnahmen, die unter dem Mikroskop entstehen, helfen Forschenden, die Aktivität der Bärtierchen zu untersuchen.

     

    Foto von Ralph Schill / Universität Stuttgart

    Bärtierchen: Leben in der Zeitkapsel

    Verdorrt etwa das Moos, vertrocknen die Bärtierchen zu leblos anmutenden Kapseln. Stoffwechsel ist dann nicht mehr nachweisbar – bis ein Tröpfchen Wasser die ursprünglichen Lebensfunktionen wieder aktiviert.

    Auch andere Organismen sind zur Kryptobiose fähig, beispielsweise die Embryonen in den Eiern von Salinenkrebsen. Kein Tier aber gilt als so robust wie die kleinen Wasserbären. In gewissem Sinne können sie dank ihrer Superkraft in einer Zeitkapsel überdauern – auch wenn sie dabei praktisch leblos sind.

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