Erster Beleg für Halluzinogenkonsum in Höhlenkunst-Stätte

In der kalifornischen Pinwheel-Höhle steckte der Beleg für die Drogentrips der Höhlenbesucher direkt in den Wänden.

Von Megan Gannon
Veröffentlicht am 25. Nov. 2020, 16:58 MEZ, Aktualisiert am 25. Nov. 2020, 19:18 MEZ
Jon Picciuolo, ein Mitglied des Forschungsteams, dokumentiert die zerkauten Pflanzenklumpen, die vor Jahrhunderten in die Spalten ...

Jon Picciuolo, ein Mitglied des Forschungsteams, dokumentiert die zerkauten Pflanzenklumpen, die vor Jahrhunderten in die Spalten in den Wänden der Pinwheel-Höhle in Südkalifornien gestopft wurden. Die rote Malerei links im Bild, die an ein Windrädchen (eng.: pinwheel) erinnert, gab der Höhle ihren Namen. 

Foto von Devlin Gandy

Forscher rätseln schon jahrzehntelang über den Zusammenhang zwischen Halluzinogenen und Felsbildkunst. Alte Kulturen auf der ganzen Welt schufen ein faszinierendes Erbe an abstrakten, teils sogar psychedelisch anmutenden Bildern an Fels- und Höhlenwänden. Heute Forscher streiten über die Motivation hinter der Schaffung solcher Kunstwerke.

Bis vor Kurzem gab es keine physischen Beweise für die Verwendung von Halluzinogenen an Felskunststätten. Aber eine überraschende Entdeckung an einer Stätte in Südkalifornien liefert nun den Beleg, dass zumindest einige Menschen diesen Ort vor Jahrhunderten in einem veränderten Bewusstseinszustand erlebt haben.

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In einer Studie, die in „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht wurde, berichtet ein internationales Forschungsteam von dem Fund: In den Spalten an der Decke dieser heiligen Höhle steckten 400 Jahre alte zerkaute Klumpen von Stechapfelpflanzen, die stark psychoaktive Eigenschaften haben. Die Höhle, die sich nah an der Grenze des traditionellen Territoriums des Chumash-Volkes befindet, wird als Pinwheel-Höhle (dt.: Windrad-Höhle) bezeichnet – nach der spiralartigen roten Malerei an der geschwungenen Höhlendecke. Forscher glauben, dass dieses Kunstwerk eine Stechapfelblüte darstellen könnte, die sich in der Abenddämmerung entfaltet. Außerdem vermuten sie, dass die Höhle möglicherweise ein Ort für Gruppenzeremonien war, bei denen Stechapfel konsumiert wurde.

BELIEBT

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    Die markante Kunst in der Pinwheel-Höhle, die einigen Wissenschaftlern zufolge eine Stechapfelblüte darstellt, wurde mit rotem Ockerpigment gemalt, das mit der Zeit verblasste. Rechts wurde die Zeichnung mit einem Tool namens DStretch optisch verstärkt.

    Foto von Devlin Gandy

    „Das ist der erste Beleg für den Konsum eines Halluzinogens an einer Felskunststätte“, sagt Carolyn Boyd, eine Archäologin an der Texas State University, die an der neuen Forschung nicht beteiligt war, sich aber auf indianische Felsbildkunst spezialisiert hat.

    Stechapfel: heilig und gefährlich

    Die Pinwheel-Höhle ist eine von mehreren Felskunststätten im Wind Wolves Preserve, das sich über 37.000 Hektar südlich von Bakersfield in Kalifornien erstreckt. Das Preserve gehört zu der 1995 gegründeten gemeinnützigen Wildlands Conservancy. Im Inneren der Höhle finden sich einige abstrakte rote Kleckse und Schmierereien. Die Pinwheel-Malerei, das erstmals 2002 von Archäologen dokumentiert wurde, ist das markanteste Kunstwerk. Es befindet sich auf einem schrägen Abschnitt der niedrigen Decke, etwa einen Meter über dem Boden. Während der Sommersonnenwende wandert ein Sonnenstrahl hindurch.

    Der Archäologe David Robinson, der Leiter der Studie, hatte bereits zwei Jahrzehnte lang Felsbildkunst in Kalifornien erforscht und dokumentiert, als er und seine Kollegen 2007 mit der Arbeit an der Pinwheel-Höhle begannen. Durch kleine Ausgrabungen und Radiokarbondatierungen fanden sie heraus, dass die Stätte von etwa 1530 bis 1890 n. Chr. besucht wurde. Die Archäologen entdeckten, dass mehr als 50 kleine Spalten in der Decke mit gekauten Pflanzenfaserklumpen, sogenannten Quids, gefüllt waren. Solche Klumpen von beispielsweise Agave oder Yucca sind ein häufiger Fund an archäologischen Stätten im Südwesten der USA, wo sie gekaut wurden, um Nährstoffe zu extrahieren.

    Die Forscher nahmen zunächst eine Probe von den Klumpen, da sie hofften, Spuren von alter menschlicher DNA zu finden. Zwar brachten diese Analysen keine brauchbaren genetischen Ergebnisse, aber spätere Tests an 15 Klumpen zeigten, dass sie Scopolamin und Atropin enthielten. Die beiden halluzinogenen Alkaloide kommen in Stechapfel vor. Aufnahmen aus einem Rasterelektronenmikroskop bestätigten, dass die meisten Klumpen Pflanzenreste von der Art Wrights Stechapfel (Datura wrightii) enthielten. Im Anschluss offenbarten 3D-Analysen der Klumpen, dass diese Pflanzenfasern auf eine Weise zermalmt und zerquetscht wurden, die auf ein Zerkauen hindeuten.

    In hohen Dosen ist Stechapfel tödlich – und umso gefährlicher, weil sich seine Potenz oft nur schwer abschätzen lässt. Aber die Pflanze kann auch als Entheogen oder als psychoaktive Substanz eingestuft werden, die für spirituelle Zwecke verwendet wird – ebenso wie Ayahuasca und Peyote. In der Kosmologie des Chumash-Volkes, das die Pflanze früher während Initiationszeremonien und schamanischen Visionssuchen konsumierte, wurde Stechapfel der Großmutter Momoy zugeschrieben, einer Göttin mit heilenden und hellseherischen Kräften.

    Die Blüte von Wrights Stechapfel entfaltet sich nachts in einem spiralförmigen Muster. Viele Forscher vermuten, dass das in der Pinwheel-Höhle dargestellte Windrädchen eine solche Stechapfelblüte zeigen könnte.

    Foto von Elliot Schultz, Alamy Stock Photo

    „Stechapfel ist weit mehr als ein Halluzinogen“, erklärt Devlin Gandy, ein Mitautor der Studie, der 2014 ein National Geographic Young Explorers-Stipendium erhielt, um die Felsbildkunst von Chumash zu studieren. „Es ist ein heiliges Wesen, das Teil von Gebeten ist und sowohl zur Reinigung als auch zur Heilung verwendet wird.“

    Wie viele religiöse Traditionen der amerikanischen Ureinwohner wurden auch Stechapfelzeremonien durch die jahrzehntelange US-Politik der erzwungenen Assimilierung und Vertreibung aus den angestammten Gebieten unterdrückt. Viele rituelle Praktiken der Ureinwohner waren bis ins 20. Jahrhundert ausdrücklich verboten.

    „Wir haben historisch gesehen so viel verloren“, sagt Sandra Hernandez, eine Sprecherin des Tejon-Stammes, der Verbindungen zum Volk der Chumash hat und während der Erforschung der Höhle konsultiert wurde. Der Stamm wurde erst 2012 wieder offiziell vom Bundesstaat anerkannt. Obwohl der Stechapfel immer noch als kulturell wichtige Pflanze gilt, haben die heutigen Mitglieder des Stammes seinen rituellen Gebrauch nicht fortgesetzt.

    Hernandez erzählt, dass die Archive des Stammes Aufzeichnungen über eine Zeremonie enthalten, bei der Stechapfel innerhalb weniger Tage dreimal konsumiert wurde. Sie sagt, wenn sie über diesen Fall nachdenkt, sei sie immer beeindruckt von dem Wissen und der Sachkenntnis, die es erfordert haben muss, so viel von der Pflanze in kurzer Zeit gefahrlos zu konsumieren.

    „Mir fehlen manchmal die Worte, um das großartige Gefühl zu beschreiben, zu wissen, wie klug unsere Vorfahren waren“, sagt Hernandez. „Wir wussten Dinge, weil wir mit den Schöpfern und mit der Natur kommunizierten.“

    Regenbögen leuchten während eines Sturms im späten Frühling am Himmel über den kalifornischen San Emigdio Mountains. In dieser Region mit vielfältiger Ökologie und Geologie befindet sich die Pinwheel-Höhle.

    Foto von Devlin Gandy

    Was bedeutet die Höhlenkunst?

    Vermutlich ist es unmöglich herauszufinden, warum und unter welchen Umständen die Pinwheel-Malerei entstanden ist. Die Autoren der neuen Studie sind jedoch der Meinung, dass die archäologischen Zeugnisse im Inneren der Höhle Hinweise auf den Kontext geben könnten, in dem diese Kunst erlebt wurde.

    „Es gibt die Theorie, dass die Felsbildkunst in Kalifornien oft von Schamanen geschaffen wurde, die sich zeitweise von der Gemeinschaft zurückzogen“, sagt Robinson. Die Gemälde stellten also die psychedelischen Visionen dar, die diese für gewöhnlich männlichen Schamanen während ihrer halluzinogenen Trance hatten. Infolgedessen wurden diese Felskunststätten zu mächtigen übernatürlichen Orten, die vom Rest des Stammes gemieden werden sollten.

    Diese Theorie entsprang oft der Annahme, dass die Kunst „so surrealistisch aussieht, dass sie von jemandem auf einem Drogentrip stammen musste“, sagt Gandy. „Als Ureinwohner wie auch als Archäologe halte ich es für möglich, dass manche Felsbildkunst von Halluzinogenen herrührt. Aber ich finde diese Idee viel zu überspitzt.“

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    Die Forscher glauben nicht, dass die Beweise von dieser Stätte darauf hindeuten, dass Stechapfel gezielt konsumiert wurde, um die Kunstwerke zu schaffen. Vielmehr haben sie die Pinwheel-Höhlenmalerei als eine Darstellung einer Stechapfelpflanze interpretiert, die als Zeichen dient, das signalisiert: „Hier ist der Ort, an dem man Stechapfel konsumiert“. Forscher haben auch eine rote Figur in der Nähe als ein Insekt interpretiert – möglicherweise ein Schmetterling, der den Nektar des Stechapfels trinkt. Eventuell diente das Insekt als symbolischer Vertreter eines Stechapfelkonsumenten.

    Aufgrund der zahlreichen Stechapfelklumpen und der Anzahl der anderen Werkzeuge und Artefakte auf dem Höhlenboden glaubt Robinson, dass dieser Ort gemeinschaftlich genutzt wurde, nicht nur von einem einzigen Schamanen. Ethnographische Quellen deuten zudem darauf hin, dass ein Tee namens Toloache, der aus zerdrückter Stechapfelwurzel hergestellt wurde, während der Initiationsrituale von indigenen Jugendlichen in der Region konsumiert wurde. Auch die Stechapfelklumpen wurden also vielleicht bei solchen Initiationen zerkaut – oder vielleicht auch im Rahmen einer Gruppenzeremonie, um sich auf eine gemeinsame Aktivität wie eine Jagd vorzubereiten.

    Boyd von der Texas State University stimmt zu, dass es sich bei der Pinwheel-Malerei um die Darstellung einer Stechapfelblüte handele. „Abgesehen davon vermute ich, dass das Bild gleichzeitig visuelle Phänomene zeigt, die während eines veränderten Bewusstseinszustandes erlebt wurden. Das verstärkte die Bedeutung des Motivs zusätzlich für all jene, die die Stätte besuchten und die potente Pflanze konsumierten.“

    Für Hernandez ist der Besuch der Höhle und das Betrachten der Malereien heute „eine ganz individuelle Erfahrung“. Sie sagt, dass sie eine Stechapfelblüte sieht, wenn sie sich die Pinwheel-Malerei ansieht. Ihre Familienmitglieder sind allerdings nicht immer einer Meinung. Sie war offen für verschiedene Interpretationen der Stätte als ein Ort für einzelne Personen, die spirituelle Führung suchen, oder für Gruppen, die an einer gemeinschaftlichen Zeremonie teilnehmen. Ungeachtet dessen dient die Höhle ihrem Stamm als ein Ort, um etwas über die eigene Vergangenheit zu lernen.

    „Es gibt im ganzen Bundesstaat kalifornische Indigene mit solchen Orten, die in Bezug auf ökologisches Wissen so viel zu bieten haben“, sagt Hernandez. „Sie befinden sich überall um uns herum und warten darauf, dass wir als Stammesangehörige diese Dinge über unsere Vorfahren erfahren.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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