Weniger Auto – mehr Mobilität?

Verpestete Luft, quälende Staus, Maut-Chaos und Diesel-Fahrverbote erfordern ein Umdenken. Wie können wir umweltfreundlich mobil sein – in der Stadt und auf dem Land?

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 24. Juni 2019, 15:25 MESZ, Aktualisiert am 29. Apr. 2021, 12:39 MESZ
Fahrradfahrer in Kopenhagen
Fahrradstadt Kopenhagen: Die Hälfte der Bürger pendelt täglich mit dem Rad.
Foto von Thomas Rousing

Die Corona-Krise hat nicht nur das gesellschaftliche Leben in Deutschland weitgehend lahmgelegt. Auch auf den Straßen ist es viel ruhiger geworden. Das geht aus der aktuellen Staubilanz des ADAC hervor. Insgesamt mussten Autobahnfahrer 2020 nur halb so lang Schlange stehen wie im Jahr zuvor. Auch auf den Innenstadtstraßen war viel weniger los.

Deutschlands Stauhauptstadt ist München, wie der Dienstleister für Mobilitätsdaten Inrix ermittelt hat. Jährlich 65 Stunden Verspätung mussten die Autofahrer dort im letzten Jahr in Kauf nehmen – immerhin 25 Prozent weniger als noch im Vorjahr. In anderen Stauhochburgen wie Berlin, Nürnberg oder Hamburg hat sich die Situation ebenfalls verbessert.

Bringt Corona den Wandel?

Doch bleibt das auch so? Wie wird sich die Mobilität nach Corona ändern? Eine weitere ADAC-Untersuchung zeigt: Das Verkehrsverhalten vieler Menschen scheint sich zu wandeln. Fast 30 Prozent der mehr als 2.000 Umfrageteilnehmer gaben an, weniger fliegen zu wollen. Mehr als jeder Fünfte geht davon aus, künftig häufiger zu Fuß zu gehen. Jeder Sechste will öfter aufs Fahrrad steigen.

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Doch das Auto bleibt offenbar der beste Freund vieler Deutscher: Mehr als die Hälfte der Verkehrsteilnehmer schwingt sich nie aufs Rad. Ein gutes Drittel nutzt den öffentlichen Nahverkehr überhaupt nicht – viele aus Angst vor einer Corona-Infektion. Ein Sechstel will das Auto nach der Pandemie-Krise sogar häufiger nutzen.

Klar ist: Nicht nur Klima- und Umweltschutz erfordern ein Umdenken. Mobilität muss ökologisch nachhaltig werden. Autos verpesten die Luft, verstopfen die Straßen. Parkende Fahrzeuge rauben die letzten freien Flächen in den Städten – und damit ein gutes Stück an Lebensqualität. 1970 gab es rund 14 Millionen Pkw in Deutschland. Heute sind es mehr als dreimal so viel.

Wie also können wir öfter aufs Auto verzichten? Welche Alternativen gibt es zum lückenhaften Bus- und Bahnnetz auf dem Land? Lässt sich Mobilität sogar teilen?

Nahverkehr oft billiger

Wissenschaftler haben errechnet, dass der kostenpflichtige öffentliche Nahverkehr zumindest in Großstädten günstiger ist als das eigene Auto. So gingen Forscher der Universität Kassel der Frage nach, welche Kosten verschiedene Verkehrsmittel wirklich verursachen. Fazit: Der Pkw-Verkehr in einer deutschen Großstadt kostet die Kommunen das Dreifache des öffentlichen Personennahverkehrs.

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    Auch die Bürger selbst sind mit Bus und Bahn oft günstiger unterwegs. Zu diesem Schluss kommt das Vergleichsportal Verivox. Hierzu wurden die typischen Mobilitätskosten von Alleinstehenden und Familien in einer Großstadt gegenübergestellt. Vor allem Singles würden sparen, wenn sie aufs eigene Auto verzichten. Das Dilemma: Auf dem Land sind dichte Nahverkehrsnetze und Carsharing-Angebote oft Mangelware.

    Autofreie Städte keine Utopie

    Ist das Fahrrad eine Lösung? Sogenannte Fahrradstädte wie Kopenhagen machen es vor. Rund die Hälfte aller Berufspendler radelt dort nach offiziellen Angaben zum Job. Und 97 Prozent der Menschen sind zufrieden mit den Radfahrbedingungen in ihrer Stadt. Der E-Bike-Boom könnte auch in Deutschland neue Türen öffnen.

    Doch in vielen Städten scheint das Auto immer noch Vorfahrt zu haben. Zwei Drittel der Fahrradfahrer fühlen sich nicht sicher, wenn sie in die Pedalen steigen. 80 Prozent finden die Radwege zu schmal, für 75 Prozent sind parkende Autos auf Radwegen ein echtes Problem. Das hat eine aktuelle Umfrage des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) ergeben. „Wir brauchen jetzt flächendeckende Radwegenetze im ganzen Land“, fordert ADFC-Vizevorsitzende Rebecca Peters.

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    Deutschland vor der Mobilitätswende

    Andere Verkehrsexperten sehen das genauso. Deutschland braucht die Mobilitätswende, lautete das Fazit einer digitalen Diskussionsrunde der Deutschen Forschungsgemeinschaft. „Die autogerechte Stadt hat ausgedient“, so Doris Kleilein, Architektin im Bereich Stadtplanung in Berlin. „Nicht nur, um die Klimaziele erreichen zu können, sondern auch, weil Autos zu viel Platz brauchen und das Leben in der Stadt stressig machen.“

    Kleilein plädiert dafür, Autobahnen zu überbauen, sie also unter die Erde zu legen. Gleichzeitig sollten spezielle Verkehrswege wie zum Beispiel Brücken für Radfahrer und Fußgänger geschaffen werden. Sogenannte Mobility Hubs – Knotenpunkte, die verschiedene Verkehrsmittel kombinieren – könnten künftig die herkömmlichen Bahnhöfe ersetzen.

    Smarte Ökosysteme

    Vernetzung ist der Schlüssel zum Erfolg. Das weiß auch Svenja Polst vom Fraunhofer-Institut IESE Kaiserslautern. Gemeinsam mit Co-Autorin Anne Heß hat sie in einer Studie untersucht, wie ökologisch verträgliche Mobilität in der Stadt und auf dem Land möglich ist. „Eine große Chance liegt in der Digitalisierung“, sagt sie. „Wir brauchen smarte Ökosysteme – digitale Plattformen, die nachhaltige mobile Services anbieten.“

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    Polst versteht darunter bürgernahe Online-Portale, auf denen sich die Menschen vernetzen, um unterschiedlichste mobile Angebote wahrnehmen und selbst mitgestalten zu können. Das reicht zum Beispiel vom Carsharing über selbst organisierte Mitfahrgelegenheiten oder Bürgerbusse bis hin zur Kombination verschiedener Verkehrsmittel. Eine Mobilitäts-App zeigt alle Wahlmöglichkeiten an. Nach Polsts Worten können so ganze digitale Dörfer mit eigenständigen mobilen Angeboten im ländlichen Raum entstehen.

    Mobile Zukunft: Teilen statt besitzen

    Wie also sieht die mobile Zukunft in 20 Jahren aus? Der ADAC ist sicher: Klimaneutralität und Umweltschutz werden zum wichtigsten Treiber. Aber auch die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, könnte sich radikal wandeln. Ob Wasserstoff- oder Elektroauto: Im urbanen Raum werde der Pkw seine dominierende Stellung verlieren, auf dem Land im Zusammenspiel mit einem neuen, intelligenten Nahverkehr aber weiter eine wichtige Rolle spielen.

    Gleichzeitig könnte sich unser Verhältnis zum Auto entscheidend ändern. Teilen statt Besitz, laute künftig die Devise, prognostiziert der ADAC. In einer digital vernetzten Welt wird Sharing zum neuen Mobilitätsprinzip. Mobilität on Demand – Grundlage ist das automatisierte Fahren. Erweitert um selbstfahrende Fahrzeuge werde der Nahverkehr so komfortabel sein wie heute das Taxifahren.

    Für die Städte von morgen bedeutet das: lebenswerter, grüner, leiser. Kein Wunder, dass auch „Autopapst“ Ferdinand Dudenhöffer überzeugt ist: „Die Zeit, dass das Auto ein Statussymbol war, ist vorbei.“

    Umweltfreundliche Mobilität


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