Wie ernähren wir die Welt, ohne den Planeten zu zerstören?

Bis 2050 könnte die Erde 10 Mrd. Bewohner haben. Es gibt Möglichkeiten, um all diese Menschen nachhaltig zu ernähren.

Von Stephen Leahy
Veröffentlicht am 22. Juli 2019, 12:09 MESZ
Ein Bericht des WRI listet Lösungen auf, die einer wachsenden Weltbevölkerung eine gesunde Ernährung ermöglichen und ...
Ein Bericht des WRI listet Lösungen auf, die einer wachsenden Weltbevölkerung eine gesunde Ernährung ermöglichen und den Zustand des Planeten gleichzeitig verbessern sollen. Auf diesem Bild werden Tomaten in einem großen Anbaubetrieb in den Niederlanden geerntet.
Foto von Luca Locatelli, Nat Geo Image Collection

Das Jahr 2050 scheint ein Zielwert zu sein, der große Erwartungen weckt – und große Herausforderungen mit sich bringt: Schätzungen zufolge werden bis dahin etwa 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Sie alle wollen die Möglichkeit haben, sich gesund zu ernähren. Gleichzeitig soll die Welt für viele von ihnen ein besserer Ort zum Leben werden. Das sei nur zu schaffen, wenn es drastische Veränderungen in der Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung gibt, die großflächig umgesetzt werden, heißt es ist in einem aktuellen Bericht.

„Es gibt einen Weg, um das zu erreichen, aber die Herausforderung ist noch größer, als es irgendwer für möglich gehalten hat“, sagte Richard Waite vom World Resources Institute (WRI) und Co-Autor des Berichts „Creating A Sustainable Food Future: Final Report“.

Etwa die Hälfte der bewachsenen Landflächen der Erde entfällt auf die Landwirtschaft, die gleichzeitig 90 Prozent des von der Menschheit genutzten Wassers verbraucht und ein Viertel der jährlichen Emissionen produziert, die zur Erderwärmung beitragen. Trotzdem sind von aktuell sieben Milliarden Bewohnern des Planeten 820 Millionen unternährt, weil sie keinen Zugang zu einer angemessenen Ernährung haben oder sie sich nicht leisten können.

Galerie: Lebensmittelverschwendung: So eine Schande!

„Wir müssen 30 Prozent mehr Nahrung auf derselben Fläche produzieren, die Rodung der Wälder stoppen [und] die CO2-Emissionen aus der Lebensmittelproduktion um zwei Drittel verringern“, sagte Waite in einem Interview.

Gleichzeitig müssen die Armut und der Verlust von Lebensraum bekämpft sowie die Süßwasserreserven gesichert werden, während die Verschmutzung und andere negative Folgen der Landwirtschaft für die Umwelt abgemildert werden müssen.

„Es gibt kein Wundermittel. Um zu verhindern, dass noch mehr Landfläche in Acker umgewandelt wird, brauchen wir bedeutende Verbesserungen bei der Futterqualität und dem Weidemanagement. Dazu müssen wir Wege finden, um mehr als eine Ernte pro Jahr einzufahren – und dafür brauchen wir bessere Techniken zur Züchtung von Nutzpflanzen. Mit der CRISPR-Technologie können wir beispielsweise die Gene feinjustieren und die Erträge maximieren. Wir müssen alles tun“, so Waite.

Sein „alles“ bezieht sich auf die 22 Lösungen, die in dem 565 Seiten starken Bericht aufgelistet sind. Sie alle müssten, je nach Land und Region, in einem gewissen Umfang implementiert werden. Dazu gehören unter anderem:

Derzeit werden ein Drittel aller Lebensmittel weggeworfen oder gehen anderweitig verloren. Diese Menge muss drastisch reduziert werden. Möglichkeiten dafür sind mehr und größere solarbetriebene Kühleinheiten für Farmen; der Einsatz natürlicher Verbindungen, die das Bakterienwachstum hemmen und Obst und Gemüse länger frisch halten – so können sie im Supermarkt länger angeboten werden. Entlang der Versorgungskette lassen sich an vielen Stellen Verbesserungen erzielen.

Ernährungsumstellung: Weniger Fleisch, mehr pflanzliche Nahrung. Fleisch – besonders von Rindern, Schafen und Ziegen – ist sehr ressourcenintensiv. Wenn eine wachsende Zahl an Menschen Zugang zu einer gewissen Menge Fleisch haben soll, müssen einige Teile der Bevölkerung ihren Fleischkonsum einschränken. Mittlerweile gibt es diverse Fleischersatzprodukte auf Basis von Pilzen oder pflanzlichen Inhaltsstoffen, die auch geschmacklich an reine Fleischburger heranreichen oder sie gar übertreffen, wie der Bericht anmerkt. Außerdem schlagen die Autoren vor, dass die Regierungen jährlich Subventionen im Wert von 600 Milliarden Dollar für die Landwirtschaft zur Verfügung stellen, wobei die Subventionen für Fleisch- und Milchprodukte langsam zurückgeschraubt werden sollen. Zum Vergleich: Die weltweiten Rüstungsausgaben beliefen sich 2016 auf knapp 1,7 Billionen US-Dollar.

• Die Erträge müssen gesteigert werden, sowohl in der Landwirtschaft als auch bei der Milch- und Fleischproduktion. 

• Verbesserung des Fischereimanagements und der Aquakulturen. Die Überfischung kann minimiert werden, wenn ein Großteil der 35 Milliarden Dollar teuren Fischereisubventionen gestrichen wird. Zertifikate und strengere Kontrollen könnten Schätzungen zufolge 11 bis 26 Tonnen Fisch retten, die sonst illegalen Fischern in die Hände fallen. Bei Aquakulturen kann auf Algen, Seetang und Fischfutter auf Ölsamenbasis zurückgegriffen werden, anstatt große Fische mit kleineren Fischen zu füttern.

Werden die Maßnahmen ausreichen?

„Ich glaube nicht, dass der Bericht wirklich den transformativen Wandel aufzeigt, den das globale Ernährungssystem durchlaufen muss“, urteilt Hans Herren, der Präsident des Millennium Institute mit Sitz in Washington, der für seine Arbeit als Entomologe mit dem Welternährungspreis ausgezeichnet wurde.

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und das UN-Komitee für Globale Ernährungssicherheit (CFS) befürworten einen sogenannten agrarökologischen Ansatz, den der WRI-Bericht aber gar nicht erwähne, sagte Herren in einem Interview.

Bei der Agrarökologie orientiert man sich an der Natur und ersetzt externe Einflüsse wie synthetischen Dünger durch das Wissen darum, welche Kombinationen von Pflanzen, Bäumen und Tieren die Produktivität der Landfläche steigern können.

Galerie: Aquakultur: Die blaue Revolution

Der CFS veröffentlichte gerade erst seinen eigenen Bericht, in dem er ergründete, wie man die Weltbevölkerung nachhaltig ernähren kann. Dem Bericht zufolge umfasst die Agrarökologie ganze Landwirtschafts- und Lebensmittelsysteme, von der Produktion bis zum Verzehr, und gilt zunehmend als fortschrittliche Möglichkeit, um nachhaltige Systeme zu gestalten. Allerdings räumen die Autoren auch ein, dass die Landwirtschaft enorm vielfältig ist – was an einem Ort funktioniert, ist andernorts nicht zwangsweise eine gute Lösung.

Obwohl der Begriff der Agrarökologie im WRI-Bericht nicht auftaucht, könnten einige Lösungen durchaus so bezeichnet werden, sagte Waite. „Wenn man Agrarökologie zu stark als die Lösung schlechthin anpreist, lenkt das von der Notwendigkeit technologischer Innovationen ab“, sagte er.

Auch Bestäuber – Bienen und andere Tiere, die Nutzpflanzen bestäuben – werden im WRI-Bericht kaum erwähnt. Aufgrund der Klimaerwärmung steigt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass viele Pflanzen eher zu blühen beginnen, bevor die Bestäuber sich ans Werk machen. Auch das kann den Ertrag mindern.

Größere Bedenken gibt es auch aufgrund des wachsenden Artenmangels in der Landwirtschaft, die vielerorts von Mais und Soja dominiert wird. Dadurch werden Bestäuber zusätzlich gefährdet, wie eine aktuelle Studie warnt, die in „Global Change Biology“ erschien. Der Mangel an Diversität schränkt das Nahrungsangebot der Insekten stark ein. Daher wird empfohlen, verschiedene Feldfrüchte anzubauen, die zu unterschiedlichen Zeiten blühen, damit die Bestäuber länger Nahrung und Lebensraum finden.

Nützliche Ideen für die Nahrungsmittelproduktion

In dem WRI-Bericht finde sich gar nicht so viel Neues, sagte Danielle Nierenberg, die Gründerin und Präsidentin der gemeinnützigen Organisation Food Tank, die nach umweltfreundlichen Lösungen zur Bekämpfung von Armut, Übergewicht und Unterernährung sucht.

„Es gefällt mir, dass er konkrete Lösungen und nützliche Ideen für die Zukunft auflistet“, sagte Nierenberg in einem Interview.

Vieles davon könnten wir schon heute umsetzen, um der nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion einen Schritt näher zu kommen und für mehr Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum zu sorgen, sagte sie.

Die Welt müsse entschlossen handeln, schrieb der WRI-Präsident Andrew Steer im Vorwort zum aktuellen Bericht.

„Die Nahrungsmittelproduktion und der Schutz der Ökosysteme müssen auf allen Ebenen – Politik, Finanzen und Anbaumethoden – Hand in Hand gehen, um den zerstörerischen Wettbewerb um wertvolles Land und Wasser zu vermeiden“, so Steer.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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