Befinden wir uns in der ersten Phase des nächsten großen Massenaussterbens?
Das Perm-Trias-Ereignis war das größte Massenaussterben der Erdgeschichte. Laut einer neuen Studie verlief es in zwei Phasen, von denen die erste sich derzeit zu wiederholen scheint – in alarmierendem Ausmaß.
Der Meeresboden während des Perms vor dem größten Massenaussterben in der Geschichte der Erde.
In der Erdgeschichte gab es mehrere große Massenaussterben, während denen innerhalb von kurzer Zeit außergewöhnlich viele Spezies verloren gingen. Das dramatischste Ereignis dieser Art fand vor 252 Millionen Jahren an der Perm-Trias-Grenze statt. Schätzungen zufolge verschwanden bei diesem „Großen Sterben“ innerhalb weniger Tausend Jahre 95 Prozent aller Arten vom Angesicht der Erde. Über die Auslöser dieser Katastrophe herrscht in der Wissenschaft Einigkeit. Unklar ist jedoch, wie genau sie ablief.
Ein internationales Forschungsteam hat nun ein prähistorisches Meeresökosystem vor, während und nach dem Perm-Trias-Massenaussterben rekonstruiert und analysiert, um diese Wissenslücke zu füllen. Die Studie, die in der Zeitschrift Current Biology erschienen ist, belegt, dass der Verlust der Artenvielfalt, der zum ökologischen Kollaps führte, in zwei Phasen stattfand.
Vorbote des ökologischen Zusammenbruchs
Grundlage für die Untersuchungen waren Fossilien aus Südchina – einem Gebiet, in dem sich während des Übergangs vom Perm in die Trias ein flaches Meer befand. Anhand der hier gefundenen Proben bildeten die Forschenden die damalige Meeresumwelt nach und teilten die festgestellten Arten in Gruppen ein, die vorhandene Ressourcen auf ähnliche Weise nutzten. Basierend auf dieser Einteilung ermittelte das Team das Nahrungsnetz vor, während und nach dem Aussterbeereignis, indem es das Verhältnis zwischen Räubern und Beutetieren bestimmte und ermittelte, welche Funktionen die alten Arten in ihrem Lebensraum hatten.
„Die Fossilienfundorte in China eignen sich perfekt für diese Art von Studien, da wir für die Rekonstruktion von Nahrungsnetzen reichlich Fossilien benötigen“, sagt Michael Benton, Paläontologe an der University of Bristol. „Sie lassen sich außerdem sehr genau datieren, sodass wir den Prozess des Aussterbens und die spätere Erholung Schritt für Schritt verfolgen konnten.“
Dabei zeigte sich, dass das „Große Sterben“ in zwei Phasen verlief: Etwa 60.000 Jahre vor dem finalen ökologischen Zusammenbruch kam es zu einer ersten Welle des Artensterbens, bei der rund die Hälfte aller Spezies verloren ging. Trotzdem blieb das Ökosystem relativ stabil. Der Grund: Zu diesem Zeitpunkt existierten mehrere Arten, die ähnliche Funktionen erfüllten. Starb eine Spezies aus, gab es eine andere, die die entstandene Lücke füllte.
„Wir haben festgestellt, dass der Verlust an biologischer Vielfalt in der ersten Phase des Aussterbens in erster Linie ein Verlust funktionaler Redundanz war, sodass noch genug Arten übrig blieben, die die wesentlichen Funktionen erfüllten“, erklärt Peter Roopnarine, Geologe an der California Academy of Sciences. Doch das Ökosystem verlor auf diese Weise seine Widerstandsfähigkeit gegen spätere Umweltstörungen. In der zweiten Phase des Massenaussterbens kam es schließlich an einen Kipppunkt, von dem es sich nicht wieder erholen konnte.
Jede Spezies ist wichtig
Laut ihren Autoren unterstreicht die Studie, wie wichtig die Vielfalt verschiedener Arten mit derselben Funktion in einem Ökosystem ist – ein Aspekt, der ihnen zufolge bei der Bewertung moderner Erhaltungsstrategien unbedingt berücksichtigt werden muss. „Wir verlieren derzeit schneller Arten als bei jedem anderen Aussterbeereignis in der Vergangenheit“, sagt Yuangeng Huang, Paläontologe an der China University of Geosciences. „Es ist wahrscheinlich, dass wir uns in der ersten Phase eines weiteren, schwerwiegenderen Massenaussterbens befinden.“
Das damalige „Große Sterben“ wurde sehr wahrscheinlich durch verstärkte vulkanische Aktivitäten ausgelöst. Der dadurch verursachte Anstieg des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre zog Umweltprobleme nach sich, die mit den heutigen vergleichbar sind: globale Erwärmung, Versauerung der Ozeane und Sauerstoffmangel in den Meeren. Um die aktuelle Krise der biologischen Vielfalt zu bewältigen und einen erneuten Zusammenbruch der Ökosysteme zu verhindern, müsse dringend gehandelt werden. „Wir können nicht vorhersagen, wann der Kipppunkt erreicht ist“, sagt Huang. „Aber er ist unvermeidlich, wenn wir den Verlust der biologischen Vielfalt nicht aufhalten.“