Einzigartiger Naturschutz im Herzen des Amazonasgebiets

Am Ufer des Río Napo im Nationalpark Yasuní in Ecuador kann man sehen, wie die Artenvielfalt gedeiht, wenn der Mensch nicht eingreift.

Von Júlia Dias Carneiro
Veröffentlicht am 26. Apr. 2024, 14:13 MESZ
Gelbfleck-Flussschildkröte

Ein Schmetterling sitzt auf dem Panzer einer vom Aussterben bedrohten Gelbfleck-Flussschildkröte (Podocnemis unifilis). Er trinkt die Tränen der Schildkröte – ein symbiotisches Verhalten, bei dem das Insekt Mineralien, vor allem Natrium, erhält. 

Foto von Thomas P. Peschak

Es gibt viele tragische Geschichten über die Umweltzerstörung im Amazonasgebiet. Aber es gibt auch die anderen Geschichten aus der Region in Südamerika, mit Paradebeispielen von unberührter Natur und wachsender Artenvielfalt. So zum Beispiel am Fluss Río Napo, kurz Napo, der durch den Norden des Yasuní-Nationalparks in Ecuador fließt. 

„Es ist ein Ort, an dem all deine Sinne explodieren. Du siehst nicht nur überall Leben, du hörst auch den Wind und die Rufe der Vögel und Frösche, riechst die Pollen der Pflanzen, den Boden, den Regen. Es ist überwältigend“, sagt der Biologe, Naturschützer und Umweltfotograf Lucas Bustamante. 

Ein Trio von Hoatzins (Opisthocomus hoazin) sitzt auf einem Ast über einem Bach am Napo. Hoatzins bauen ihre Nester zum Schutz ihres Nachwuchses oberhalb von Bächen: Wenn Raubtiere versuchen, ihre Nester zu überfallen, springen die jungen Küken ins Wasser, um zu entkommen, und klettern mit ihren Krallen zurück ins Nest, sobald die Gefahr vorüber ist.

Foto von Thomas P. Peschak

Der Nationalpark Yasuní, der 1979 im Nordwesten Amazoniens gegründet wurde, ist das größte Naturschutzgebiet Ecuadors. Rund 1,1 Millionen Hektar Amazonas-Regenwald werden hier geschützt; eine Fläche in etwa so groß wie Kroatien. Der Amazonas-Regenwald ist einer der artenreichsten Wälder der Welt – und der Río Napo eine seiner Lebensadern. Der Fluss entspringt in den nordöstlichen Anden und markiert die nördliche Grenze des Parks. Im Nordwesten Perus mündet er schließlich in den Amazonas.

BELIEBT

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    Lucas Bustamante stammt aus Ecuador und organisiert Expeditionen für Fotografen nach Añangu, einem Dorf am Napo, das von einheimischen Kichwa-Familien geführt wird. Lange war Holzernte und Jagd ihre Haupteinnahmequelle – bis die Gruppe beschloss, Ökotourismus zu betreiben. Seitdem floriert das Projekt und auch die Natur. 

    „Es hat ein paar Jahre gedauert, bis die Tiere zurückkamen und sich der Wald erholte“, sagt Bustamante. „Jetzt ist es wie ein kleines Paradies, eine Insel der Artenvielfalt.“ 

    Ein „aquatisches Spinnennetz“

    Dieser unberührte Fleck war der perfekte Ort für den Fotografen Thomas Peschak, der die tiefen Verbindungen zwischen den Tieren des Amazonas und seinen Wasseradern festhalten wollte. 

    Als National Geographic Explorer arbeitet Peschak an einem Langzeitprojekt, um den Regenwald vom Wasser aus zu dokumentieren. Sein „aquatisches Spinnennetz“ besteht aus riesigen Flüssen mit Hunderten Nebenflüssen und Tausenden Bächen. Er und Bustamante waren wochenlang mit dem Kanu auf den Nebenflüssen des Napo unterwegs, um nach endemischen Arten wie dem Riesenotter zu suchen. Diese vom Aussterben bedrohten Säugetiere gehören zu den fünf größten Raubtieren des Amazonas und verschlingen an einem Tag sieben Pfund Fisch. Ihre Anwesenheit ist ein wichtiger Indikator für ein gesundes aquatisches Ökosystem. 

    Riesenotter (Pteronura brasiliensis) kann man im Napo-Flussbecken beobachten, wo sie inmitten des überfluteten Waldes nach Fischen jagen. Diese vom Aussterben bedrohten Säugetiere sind mit bis zu einem Meter Länge die größten Otter der Welt und gehören zu den wichtigsten Raubtieren im Amazonasgebiet. Sie schlafen in Höhlen an Land, verbringen aber den größten Teil des Tages mit der Jagd nach Fischen. Zum Überleben sind sie auf gesunde Flusssysteme angewiesen.

    „Wir sehen überall im Amazonasgebiet eine Verschlechterung der Situation, aber der Napo widersetzt sich diesem Trend. Da es keine Wilderei, illegale Abholzung oder Bergbau gibt, sind viele der Wildtiere am Fluss auch unglaublich entspannt, wenn Menschen in ihrer Nähe sind“, sagt Peschak. 

    Diese Gelassenheit wiederum gibt Peschak die einmalige Gelegenheit, das Verhalten vieler Tiere in freier Wildbahn einzufangen. So zum Beispiel einen Schmetterling, der die Tränen einer Flussschildkröte trinkt, einen Riesenotter, der sich einen Fisch schnappt, und rote Brüllaffen, die oberhalb eines Flusses Blätter fressen. 

    Doch es läuft nicht immer alles reibungslos. In den Tagen vor Peschaks Expedition ließen starke Regenfälle den Wasserspiegel im Quellgebiet in den Anden ansteigen. Daraufhin stieg auch der Wasserstand des Napo drastisch an, sodass seine Bäche überliefen und den Wald fluteten. 

    Das Hochwasser war zwar für den Fluss und sein Ökosystem nicht ungewöhnlich, erschwerte den Forschenden aber die Suche nach Ottern. Durch die Überflutung konnten die Tiere weit in den überschwemmten Wald hineinschwimmen, weit weg von den Hauptflussläufen. So paddelten Peschak und Bustamante sieben Tage den Fluss entlang, ohne einen einzigen Otter zu Gesicht zu bekommen – bis sie am letzten Tag auf eine Gruppe stießen, die gerade Fische fraß.  

    „In diesem Beruf muss man unendlich viel Geduld mitbringen“, sagt Peschak. „Wenn dir jeder Knochen und jede Zelle deines Körpers sagt, dass du aufgeben solltest, musst du trotzdem weitermachen. Geduld und Beharrlichkeit werden von der Natur belohnt.“  

    Ein Fluss als Samen-Autobahn

    Ein roter Brüllaffe (Alouatta seniculus), gesichtet von einem Kanu auf dem Wasser aus. Diese Affen picken sich gerne die nahrhaftesten Blätter und Früchte im Wald heraus. Das bindet sie an gesunde Flüsse und Bäche, wo die Bäume immer neue, knackige Blätter produzieren. Es ist übrigens unmöglich, die Tiere im Amazonasgebiet zu überhören: Die Rufe, mit denen sie ihr Revier markieren, schallen kilometerweit.

    Foto von Thomas P. Peschak

    Der Napo wird mit Nährstoffen aus den Anden angereichert, unter anderem mit der Asche von Vulkanausbrüchen. Da er ein Wildwasserfluss ist, führt er große Mengen an Sedimenten mit sich, die ihm sein schlammiges Aussehen verleihen. Gleichzeitig ist er ein effizienter Verbreiter von Samen. „Der Napo ist wie eine Autobahn, auf der Millionen von Samen aus den Anden in die ganze Region gelangen und so zur Ausbreitung der Arten beitragen“, erklärt der Biologe Gonzalo Rivas-Torres. So entsteht die bemerkenswerte Artenvielfalt im Nationalpark Yasuní.

    Dieser Samenstrom stellt eine wichtige Nahrungsquelle für die vielen Fische dar, die in den Gewässern des Napo vorkommen. Sein Bestand hat Auswirkungen, die weit über die Waldgrenzen hinaus spürbar sind. 

    „Alles hängt zusammen“, sagt Rivas-Torres. „Die Fische sind abhängig von den Nährstoffen, Früchten und Samen im Wasser. Wenn die Wälder an den Flussufern in einem schlechten Zustand sind, ist der Fischbestand gering und die Otter haben nicht genug Nahrung.“

    Rivas-Torres ist Leiter der Tiputini Biodiversity Station, einer biologischen Feldstation, die von der Universidad San Francisco de Quito, Ecuador, in Zusammenarbeit mit der Boston University in den USA zu Forschungs-, Bildungs- und Schutzzwecken betrieben wird. 

    Ihr Stützpunkt liegt am Ufer des Tiputini-Flusses, einem Nebenflusses des Napo. Rivas-Torres ist immer wieder fasziniert davon, wie viele wilde Tiere man hier aus nächster Nähe beobachten kann. Seine Student*innen hätte er hier oft weinen sehen, erzählt er. Als sie zum ersten Mal einen Jaguar in freier Wildbahn sahen, zum Beispiel, oder als sie eine Gelbfleck-Flussschildkröte wieder in den Fluss entließen.

    „Sie sagten mir, dass sie nicht wussten, dass es so etwas in Ecuador gibt“, sagt Rivas-Torres. „Hier an den Fluss zu kommen, ist eine lebensverändernde Erfahrung.“ 

     Dieser Artikel wurde durch die Unterstützung von Rolex ermöglicht. Das Unternehmen pflegt eine langjährige Partnerschaft mit der National Geographic Society, um die Herausforderungen der Ökosysteme zu beleuchten, die unseren Planeten am Leben halten – mit Forschung, Expeditionen und Geschichten.

    Mehr spannende Berichte über die Perpetual Planet Amazonas Expedition von National Geographic und Rolex folgen in den kommenden Monaten. 

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