Warum lockt Blutgeruch Wölfe an und schreckt Menschen ab?

Schon ein einziges Molekül, das sich in Blut findet, kann sehr eindeutige und unterschiedliche Reaktionen bei Jägern und Beute auslösen.

Von Sarah Gibbens
Veröffentlicht am 20. Nov. 2017, 14:09 MEZ
Wolf
Ein Wolf schnuppert an einem Holzstück, das mit einer E2D-Lösung behandelt wurde.
Foto von Matilda Norberg

Ein bestimmtes Molekül in frischem Blut – jenes, das für den metallischen Geschmack verantwortlich ist – sorgt dafür, dass Menschen zurückschrecken, während sich andere Tiere erwartungsvoll die Lefzen lecken.

Eine Studie vom Karolinkska-Institut in Schweden wurde im Oktober 2017 in „Scientific Reports“ veröffentlicht und dokumentiert, wie Raubtiere und Beutetiere auf ein verdünntes, scheinbar nicht wahrnehmbares Molekül namens trans-4,5-epoxy-2(E)-Decenal reagieren – oder kurz gesagt, auf E2D.

Das Molekül wird freigesetzt, wenn die Lipide im Blut nach Kontakt mit Luft zerfallen. Wissenschaftler konnten E2D vom Blut trennen und es in einem Verhältnis von 1 ppt (einem Teil pro Billion) verdünnen. Das entspricht einem einzigen Tropfen des Moleküls in einem Swimmingpool von den Ausmaßen eines Olympiastadions, sagt der Studienautor Johan Lundström.

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Der Geruchssinn steht im menschlichen Zusammenhang oft im Schatten des Sehsinns, aber im Tierreich zählt er für viele Arten zu einem der wichtigsten Sinne. Er beeinflusst so gut wie alles, von der Partnerwahl bis zur Nahrungssuche. Das Forscherteam wollte untersuchen, wie genau E2D Menschen und Tiere beeinflusst und wie Menschen generell auf die Gegenwart von frischem Blut reagieren.

„Worin liegt die ökologische Relevanz dieses Geruchs?“ Laut Lundström war das die Frage, die sie beantworten wollten.

DIE AUFSPALTUNG DES BLUTES

E2D wurde zuerst an blutsaugenden Fliegen getestet. Den Fliegen wurden eine pure E2D-Lösung und eine Lösung mit einer organischen Verbindung von Nutztieren, die das Molekül nicht enthielt, angeboten. Sie wählten konsequent die E2D-Lösung.

Als nächstes testeten sie das Molekül an einem Rudel aus sieben Wölfen, die in einem Wildtierschutzgebiet leben. Das Team nutzte drei Holzklötze: Einen besprühten sie mit E2D, einen mit einer Fruchtlösung und einen anderen ließen sie als Kontrollklotz unbehandelt. Als sie das E2D wahrnahmen, leckten sich die Wölfe über die Lefzen und beanspruchten den Holzklotz für sich, als wäre es ein frisches Beutestück.

BELIEBT

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    Um zu untersuchen, wie Beutetiere auf die chemische Verbindung reagieren würden, testeten die Forscher sie an Mäusen. Die platzierten eine geruchsneutrale Lösung in einer Ecke eines Mäusekäfigs und Blut in einer anderen. Die Mäuse, die in die Nähe des Blutes kamen, fühlten sich davon konsequent abgestoßen und zogen sich in die entgegengesetzte Ecke des Käfigs zurück. Als das Blut durch E2D ersetzt wurde, zeigten sie die gleiche Reaktion

    „Wenn das eigene Leben von einer bestimmten Art von Nahrung abhängt und es chemische Reize gibt, die man nutzen kann, wäre es von hohem adaptiven Wert, wenn man diesen Geruch wahrnehmen kann“, sagt Artin Arshamian, einer der Autoren der Studie. „Wenn man umgekehrt aber selbst die Nahrungsquelle ist, wäre es gut, so früh wie möglich einen Hinweis darauf zu haben, dass ein Tier, welches einen fressen will, sich nähert oder in der Nähe ist.“

    WIE REAGIERTEN MENSCHEN?

    Um zu sehen, wie Menschen auf E2D reagieren würden, testeten Lundström und Arshamian die Verbindung an 40 männlichen und weiblichen College-Studenten. Als das E2D durch Röhrchen in die Nasenlöcher der Studenten gepumpt wurde, neigten sie dazu, sich einen Bruchteil eines Millimeters zurückzubewegen. Laut den Forschern ist dies ein normales Anzeichen für eine Abneigung. Sie sonderten außerdem mehr Schweiß ab als bei dem Kontrollversuch mit einer anderen Verbindung.

    Bemerkenswert ist außerdem, dass die Studenten den Geruch größtenteils als neutral einstuften, als sie gebeten wurden, ihn als angenehm, unangenehm oder neutral zu bewerten.

    Arshamian weist darauf hin, dass eine Abneigung gegen E2D nicht zwingend eine Abneigung gegen Blut impliziert.

    „Ein wichtiger Faktor ist, dass Lernen beim Geruchssinn wirklich wichtig ist“, sagte er.

    Galerie: Wölfe

    „Wir ekeln uns nicht vor Blut, bis wir lernen, was Blut bedeutet“, sagte Rachel Herz, eine Professorin an der Brown Universität. Herz war an der Studie nicht beteiligt, ist aber eine Expertin dafür, wie Gerüche menschliches Verhalten beeinflussen. „So ziemlich all unsere positiven und negativen Reaktionen auf Gerüche sind durch Erfahrung erlernt, ebenso wie der Kontext, in dem der Geruch auftritt.“

    Die Autoren der Studie verweisen darauf, dass mehr Forschung nötig ist, um mit Sicherheit sagen zu können, ob eine Abneigung gegen E2D eher angeboren oder eher unbewusst mit der Zeit erlernt ist.

    Lundström vermutet, dass sie wohl eher angeboren ist. Laut seiner Theorie geht die für Beute typische Reaktion auf einen frühen menschlichen Vorfahren zurück, der sich von Insekten und Pflanzen ernährt und sich später zu einem „opportunistischen Räuber“ entwickelt hat.

    „Mittlerweile sind wir ein Spitzenprädator, aber normalerweise wären wir das nicht“, sagte er.

    In einer Studie, die in der Fachzeitschrift „Chemical Senses“ veröffentlicht wurde, beschreibt Herz, dass Menschen am frühen und mittleren Abend am sensibelsten gegenüber Gerüchen sind. Diese Anpassung könnte Menschen davor gewarnt haben, dass Raubtiere in der Nähe sind, wenn die Sichtbarkeit des Tages abzunehmen beginnt.

    Bei der nächsten Durchführung des Experiments möchte Lundström E2D an menschlichen Teilnehmern sortiert nach Beruf und Alter testen. Er vermutet, dass Menschen wie Chirurgen und Jäger, die regelmäßig Kontakt zu Blut haben, eine andere Reaktion als jene Menschen haben, die nur selten damit in Kontakt kommen. Außerdem möchte er herausfinden, ob die Reaktion auf E2D sich mit dem Alter oder anderen Lebenserfahrungen verändert.

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