520 Millionen Jahre altes Fossiliengehirn in urzeitlichem Raubtier gefunden

Die neue Entdeckung gewährt Einblicke in die Evolution des Nervensystems von Insekten und Krustentieren.

Von Andrew Urevig
bilder von Illustration by Rebecca Gelernter, Nearbirdstudios
Veröffentlicht am 12. März 2018, 15:43 MEZ
Ein Künstler rekonstruierte das 520 Millionen Jahre alte Kerygmachela kierkegaardi. Die Darstellung zeigt die Spezies als hervorragenden Meeresräuber.
Foto von Illustration by Rebecca Gelernter, Nearbirdstudios

Wissenschaftler sind mithilfe von 15, kürzlich in Grönland gefundenen Fossilien nun in der Lage, einen Blick in das Gehirn eines Tieres zu werfen, das vor rund 520 Millionen Jahren gelebt hat.

Die ausgestorbene Spezies Kerygmachela kierkegaardi schwamm in den Ozeanen zu einer Zeit, in der die Evolution ein wahres Wettrüsten veranstaltet hat: der kambrischen Artenexplosion. Der urzeitliche Jäger besaß einen runden Kopf, einen langen Schwanzfortsatz und auf jeder Seite seines Körpers elf runzlige, flügelartige Körperteile. Seine furchteinflößenden, nach vorne gerichteten Gliedmaßen griffen nach Beute, sagt der in Großbritannien lebende Paläontologe Jakob Vinther. „Sie machten anderen Tieren das Leben schwer.“

Frühere Fossilienfunde des etwa 2,5 bis 25 Zentimeter großen Tieres stammten aus losem Gestein, der vom Wetter erodiert worden war. Aber dieser neue Fund ist der erste dieser Spezies, der dem Einfluss der Elemente nicht ausgesetzt war. Durch das versteinerte Nervengewebe erhalten die Forscher neue evolutionäre Einblicke in die Gehirne der Panarthropoda – einer Tiergruppe, zu der auch die Bärtierchen (Tardigrada), Stummelfüßer (Onychophora) und Gliederfüßer (Arthropoda) wie Krustentiere und Insekten gehören.

Bei diesem gut erhaltenes Kerygmachela-Fossil aus Grönland (links) ist das Gewebe des Nervensystems im Kopf zu erkennen (Nachaufnahme rechts). Diese neuen Hinweise lassen darauf schließen, dass der gemeinsame Vorfahre aller Panarthropoden kein komplexes Gehirn besaß.
Foto von Tae Yoon Park, Kopri
Nahaufnahme eines Kerygmachela-Fossil aus Grönland
Foto von Tae Yoon Park, Kopri

Die Studie wurde von Vinther und Tae-Yoon Park vom Korea Polar Research Institute geleitet und am 9. März im Magazin Nature Communications veröffentlicht.

Anders als bisher oft angenommen, so das Team, liefert dieses neue Fossil anscheinend Beweise dafür, dass der gemeinsame Vorfahre aller Panarthropoden kein komplexes, dreiteiliges Gehirn besaß – was auch auf den gemeinsamen Vorfahren der wirbellosen Panarthropoden und der Wirbeltiere zutrifft.

Moderne Gliederfüßer beginnen mit der Ausbildung eines einzelnen Nervenbündels oberhalb ihres Darms. Sie besitzen noch zwei weitere Hirnsegmente, die neben oder unter dem Darm liegen und die während der Weiterentwicklung wandern und sich mit dem ersten Nervenbündel verbinden. So entsteht ein komplexes, dreiteiliges Gehirn.

Diese Struktur kann in der Ahnenreihe durch Fossilien zurückverfolgt werden. Das relativ einfache Gehirn der Kerygmachela, das als dünner Kohlefilm erhalten geblieben ist, beinhaltet nur das erste der drei Segmente, die heute lebende Gliederfüßer aufweisen.

Das Team geht davon aus, dass Bärtierchen, die achtbeinigen Mikrotiere – auch bekannt als Wasserbären – einfache Gehirne besitzen, die dem bei Kerygmachela gefundenen ähneln. Stummelfüßer – Weichtiere, die als nachtaktive Lauerjäger leben – besitzen ebenfalls kein dreiteiliges Gehirn.

Es ist also eine durchaus sinnvolle Annahme, dass der gemeinsame Vorfahre, den diese Tiere mit Gliederfüßern teilen, ebenfalls kein komplexes Gehirn besaß. Das Gleiche gilt für den Organismus, der sowohl Panarthropoden wie auch Wirbeltiere hervorgebracht hat (die andere Tiergruppe, die ein dreigeteiltes Gehirn besitzt).

BELIEBT

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    Nicht alle Wissenschaftler sind davon überzeugt. Die Gehirne von Bärtierchen könnten auch unabhängig von Segmenten entwickeln, sagt Nicholas Strausfeld, ein Neurowissenschaftler an der Universität von Arizona, der nicht an der Studie beteiligt war.

    „Bei der Behauptung, dass das Gehirn der Kerygmachela genauso ist, wie das eines Bärtierchens, muss man sehr, sehr vorsichtig sein“, warnt Strausfeld. „Es könnte sich nämlich auch gut um einen Irrtum handeln.“ Bärtierchen könnten ein Gehirn besitzen, das gar nicht in Segmenten aufgebaut ist, sondern stattdessen in einem Ring um ihre Mundöffnung besteht.

    Vinther findet diese Perspektive interessant. Unabhängig davon, welche Annahme korrekt ist, sagt er, deuten doch beide auf ein einfacheres Nervensystem in den Vorfahren hin – und damit auf eine evolutionäre Entwicklung, innerhalb derer Tiere auf vielen voneinander unabhängigen Wegen ein komplexes, dreiteiliges Gehirn entwickelt haben.

    Das evolutionäre Wettrüsten, sagt Vinther, „hat zu ähnlichen Ergebnissen geführt, die wir in verschiedenen Gruppen beobachten können: Augen, komplexe Gehirne und so weiter.“

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