Neuer „Fluch“ des Pharaonengrabs: Tutanchamun abgestaubt

Braune Flecken und klebriger Staub – Restauratoren haben dem 3.300 Jahre alten Pharaonengrab bei einem zehnjährigen Projekt ein dringend benötigtes Makeover verpasst.

Von Michelle Z. Donahue
Veröffentlicht am 5. Feb. 2019, 10:33 MEZ

Als Howard Carter 1922 das Grab von Tutanchamun öffnete, war dies der Startschuss für eine ganze Reihe von Entdeckungen, die die Fantasie der Menschen beflügelten. Mit jeder weiteren Erkenntnis verliebte sich die Öffentlichkeit mehr in die 3.300 Jahre alte, bunt bemalte und reich bestückte Grabkammer des jungen Pharaos. Fast ein Jahrhundert später hat ein Team aus Wissenschaftlern nun das bislang bedeutendste Projekt in dem Grab abgeschlossen: eine zehn Jahre währende Untersuchung und Restaurierung, die zwar einige Rätsel lösen konnte, aber auch neue Fragen über die Zukunft eines der berühmtesten antiken Denkmäler der Welt aufwarf.

Auf einem Symposium in Luxor wurden die Ergebnisse des Projekts vorgestellt, das in Zusammenarbeit des Ägyptischen Antikenministeriums und dem Getty Conservation Institute mit Sitz in Los Angeles stattgefunden hatte. Die Arbeit an dem etwa 110 Quadratmeter großen Grab, an der zu jederzeit etwa zwölf Restauratoren gleichzeitig beteiligt waren, begann 2009 und sollte ursprünglich 2014 abgeschlossen werden. Allerdings wurde die Arbeit durch die Revolution in Ägypten 2011 und darauffolgende Unruhen 2013 verzögert.

„Jeder, der das Tal der Könige besucht, will Tuts Grab sehen“, sagt Neville Agnew, Gettys Chefwissenschaftler und -restaurator für das Projekt. Um einen Plan für die Zukunft zu entwickeln, war eine umfassende Dokumentation, Diagnose und Prognose für das Grab notwendig: „Was wird passieren, wenn wir nichts unternehmen? Wir haben uns für das gesamte Aktivitätsspektrum interessiert, sowohl das Vergangene und das Gegenwärtige als auch das Zukünftige. Und wir wollten sehen, wie wir damit insgesamt umgehen können.“

Das Rätsel der braunen Flecken

Eine der Eigenheiten des Grabs sind die allgegenwärtigen braunen Flecken an den Wandbildern. Sie waren bereits vorhanden, als Carter das Grab öffnete, und wurden damals umfassend fotografisch dokumentiert. Jahrzehntelang waren die mysteriösen Flecken für Forscher ebenso spannend wie besorgniserregend. Worum genau handelte es sich? Und wichtiger noch: Wurden es mehr?

Eine Studie der Flecken offenbarte hohe Konzentrationen von Apfelsäure – ein Stoffwechselprodukt einiger Pilze und Bakterien. Damit war klar, dass die Flecken einen mikrobiellen Ursprung hatten. DNA-Analysen von Proben der Grabwände deuteten auf das Vorhandensein moderner Organismen wie Bacillus und Kocuria hin. Unter dem Elektronenmikroskop fand man aber keinerlei Hinweise darauf, dass die ursprünglichen Organismen, die die Flecken produziert hatten, noch präsent waren. Die Restauratoren haben eine Vermutung, wie es überhaupt zur Entstehung der braunen Sprenkel kam: Da Tutanchamun recht plötzlich und unerwartet starb, wurde sein Grab wahrscheinlich hektisch fertiggestellt. Die frisch verputzten und bemalten Wände konnten daher vermutlich nicht zur Gänze durchtrocknen und enthielten noch genug Feuchtigkeit, damit Mikroben in der dunklen, warmen Umgebung gedeihen konnten. Eines können die Restauratoren jedoch mit Sicherheit sagen: In den Flecken steckt schon lange kein Leben mehr. Ein Vergleich der Verfärbungen auf aktuellen Fotos und Aufnahmen von kurz nach der Graböffnung zeigen, dass sie weder an Zahl noch Größe zugenommen haben.

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Da die Flecken als Teil der Geschichte des Grabs angesehen werden, werden sie Agnew zufolge nicht entfernt oder übermalt. Das war allerdings nicht immer der Fall: Im Rahmen früherer Studien wurden die Flecken mehrfach stellenweise abgeschabt oder mit Bioziden behandelt, als man befürchtete, dass sie sich eventuell ausbreiten könnten.

Staub zu Staub

Eines der größten Probleme im Grab ist der Staub. Schätzungsweise 500 bis 1.000 Besucher pro Tag tragen ihn unabsichtlich hinein. Die feinen Körner bleiben an jeder Oberfläche im Grab haften und absorbieren die Feuchtigkeit der Atemluft.

Die Wachen können zwar den durch Glas geschützten Sarkophag in der Mitte des Grabes regelmäßig abwischen, aber für die feinen Staubschlieren auf den empfindlichen Wandgemälden gab es keine so praktikable Lösung.

Als die Restauratoren die Wandbilder in mühsamer Feinarbeit säuberten und untersuchten, entwickelten sie daher auch einen Plan, um das Staubproblem langfristig zu beheben: Sie installierten ein ausgeklügeltes Luftfilterungs- und Belüftungssystem, das nicht nur den Staub aus dem Grab befördert, sondern auch die Feuchtigkeit und Temperatur stabilisiert, die zuvor wilden Schwankungen unterlagen.

Im Rahmen der Installation stießen die Restauratoren sogar auf ein paar neue „Flüche“: Als sie eine alte Aussichtsplattform über Tutanchamuns Grab entfernten, um die Luftschächte anzubringen, fanden sie neben Staub und Müll lauter kleine Zettel. Auf diesen hatten Besucher des Grabs Tutanchamun um seinen Segen gebeten – oder Personen genannt, die der Fluch des Pharaos treffen sollte.

Künftige Gefahren

Obwohl die gründlichste Untersuchung von Tutanchamuns Grab in der jüngeren Geschichte nun abgeschlossen ist, sind einige Fragen über seine Zukunft nach wie vor ungeklärt.

Die langfristigen Auswirkungen des Staubs sind noch immer nicht bekannt. Er besteht hauptsächlich aus Kalzium, Magnesium, Aluminium und Phosphor, und noch sind sich die Wissenschaftler nicht sicher, wie er auf lange Sicht mit den natürlichen Mineralen in den Farben und Pigmenten auf den Grabwänden interagieren wird.

Auch die Gefahr zunehmender Überschwemmungen, die mit dem Klimawandel einhergeht, wurde Agnew zufolge bislang nicht berücksichtigt. Obwohl Tutanchamuns Grab selbst vor direkten Überschwemmungen geschützt ist, besteht es aus demselben porösen, tonhaltigen Gestein wie die benachbarten Gräber im Tal der Könige. Wenn angrenzende Gräber geflutet werden sollten, könnte Feuchtigkeit durch die Wände treten und die verputzten Wände samt Gemälden „völlig auseinanderreißen“, sagt Lori Wong, die Chefrestauratorin für die Wandbilder in Tutanchamuns Grab.

Die akuteste Bedrohung für die Stätte ist nach wie vor der Tourismus. Obwohl in kaum anderthalb Kilometern Entfernung zu der Grabstätte des berühmten Pharaos eine extrem detaillierte Nachbildung desselben errichtet wurde, ist unklar, ob die ägyptische Regierung den öffentlichen Zugang zum Originalgrab künftig beschränken wird (und damit auch die todsicheren Einkünfte aus der Sehenswürdigkeit). In Frankreich haben Besucher mittlerweile keinen Zugang zu den prähistorischen Höhlenkunstwerken von Lascaux und Chauvet mehr. Stattdessen können sich die Touristen Nachbildungen ansehen, was das öffentliche Interesse an den Sehenswürdigkeiten jedoch keineswegs geschmälert hat. Im Jahr 2017 zog eine relativ neue Nachbildung der Höhle von Lascaux schätzungsweise 260.000 Besucher an.„Wir wissen, welche Folgen menschliche Aktivität für unser kulturelles Erbe haben kann“, sagt Pascal Terrasse, der Präsident des Pont d’Arc Grand Project, einer Nachbildung der Chauvet-Höhle, die tagtäglich mehr als 2.000 Besucher anlockt. „Wenn neue Technologien zum Schutz unserer Erbstätten verfügbar sind, müssen die Verwalter dieser Stätten diese Möglichkeiten nutzen. Wir konnten die größte Höhlennachbildung der Welt dank digitaler Technologien umsetzen, die es uns gestattet haben, eine möglichst realistische Replik anzufertigen.“

Agnew hofft, dass die jüngsten Restaurationsarbeiten an Tutanchamuns Grab zumindest dazu beitragen werden, künftigen Besuchern die Bedeutung dieser Grabstätte besser zu vermitteln.

„Man sollte daran erinnert werden, dass ein Besuch in einem Grab mit Demut und Interesse einhergehen sollte“, so Agnew. „Das ist keine Freakshow. Es ist ein Grab für einen König und dem sollten wir mit einem gewissen Respekt begegnen. Das ist etwas, das man in diesem Zeitalter des Massentourismus nur schwer vermitteln kann.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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