Auf der Dinosaurier-Baustelle: Zwischen Knochen und Kettensägen

Mitten in der amerikanischen Provinz kommen schweres Gerät und ein internationales Forscherteam zusammen, um ein Stück urzeitliche Geschichte zu bergen …

Von Armin Schmitt
Veröffentlicht am 14. Aug. 2019, 10:57 MESZ
Philip Havlik
Der Paläontologe Philipe Havlik vom Senckenberg Museum ist Grabungsleiter an der Fundstelle in Wyoming.
Foto von Janosch Boerckel

Im äußersten Osten von Wyoming, dem bevölkerungsärmsten Bundesstaat der USA, liegt das beschauliche Örtchen Lusk. Rund 1500 Menschen leben hier. Es gibt eine Bank, einen Supermarkt, einen Truckstop, zwei Schnapsläden und sonst nur Prärie: viel Gras, kaum Bäume, hier und da ein paar Hügel. Genau so, wie man sich amerikanische Provinz vorstellt. Trotzdem zieht Lusk Besucher aus der ganzen Welt an. Der Grund liegt circa 80 Kilometer von den niedrigen Häusern und den breiten Straßen entfernt begraben: tausende Knochen von Dinosauriern, darunter gigantische Skelette von Gattungen wie Tyrannosaurus, Triceratops oder Edmontosaurus.

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Anfang Juli sind Forscher aus Deutschland angereist, die sich gut auskennen mit den Überresten der ausgestorbenen Tiere: ein Team des Senckenberg Naturmuseums Frankfurt. Sie untersuchen seit Jahren, wie die Fleisch- und Pflanzenfresser lebten. Nun wollen sie ein Stück Dinosaurier-Friedhof aus den USA mitnehmen: In einer Kooperation mit dem Wyoming Dinosaur Center werden 20 Quadratmeter amerikanisches Sediment nach Frankfurt verschifft, um dort vor den Augen der Öffentlichkeit ausgegraben und untersucht zu werden. Gefördert wird das Projekt von der Lipoid Stiftung.

BELIEBT

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    Dass die Frankfurter dafür ausgerechnet nach Lusk gereist sind, hat einen einfachen Grund: Eine im Senckenberg Museum ausgestellte Dinosauriermumie wurde genau hier gefunden, nördlich von Lusk, in Gesteinen, die vor über 66 Millionen Jahren entstanden sind – also unmittelbar vor dem Kreide-Paläogen-Massenaussterben wo alle Dinosaurier mit Ausnahme der Vögel ausgestorben sind. Die Gesteine gehören zur Lance-Formation, die nach der Ortschaft Lance Creek benannt und unter Fachleuten berühmt für ihre Funde ist. Einer im Journal of Paleontological Sciences veröffentlichten Zählung zufolge, hat man in der Lance-Formation und der gleichalten Hell-Creek-Formation zusammen fast 700 Schädel und Teilskelette von Horndinosauriern, etwa 150 Skelette von Entenschnabeldinosauriern und etwa 70 Tyrannosaurier-Teilskelette entdeckt. Noch viel größer ist die Zahl an Zähnen und einzelnen Knochen von Dinosauriern: Über 40.000 Funde sind dokumentiert.

    Der in der Lance-Formation ausgegrabene und in Frankfurt ausgestellte Edmontosaurus, der zu den Entenschnabeldinosauriern gehört, ist das einzige Originalskelett dieser Art in ganz Europa – und so gut erhalten, dass sogar der Mageninhalt bestimmt werden konnte. „Heute will man verstehen, in welchem Umfeld ein Dinosaurier gelebt hat, was er gefressen hat, welche Feinde er hatte“, erklärt Philipe Havlik vom Senckenberg Museum, der das Projekt leitet. Welche anderen Tiere haben im gleichen Ökosystem mit ihm zusammengelebt, wie waren Klima und Vegetation? Die Forscher wollen seine Lebensumstände kennenlernen – und wenn möglich auch die Todesursache. Deshalb ist Havlik mit seinem Team an die Fundstelle des Edmontosaurus nach Wyoming gereist. Und deshalb soll ein Teil von ihr mit nach Frankfurt.

    Galerie: Zwischen Knochen und Kettensägen

    „Viele Untersuchungen sind sehr aufwendig und langwierig und können nur unter Idealbedingungen in einem wissenschaftlichen Labor vorgenommen werden“, sagt Havlik. Dazu gehören beispielsweise Untersuchungen am Schmelz der gefundenen Zähne, die Hinweise auf die chemische Zusammensetzung der damaligen Atmosphäre liefern. „Nur im Labor kann man nach Pflanzenpollen im Sediment suchen und diese dann auch einer bestimmten Pflanzenart zuordnen.“ Außerdem wolle man gerade auch sehr kleine Fossilien wie zum Beispiel Säugetierzähne, Fischschuppen oder Pflanzensamen finden, die im Gelände schnell übersehen werden könnten.

    Die Fundstelle liegt auf dem Gelände einer privaten Ranch etwa 80 Kilometer nördlich von Lusk. Um dorthin zu gelangen, geht es runter vom US Highway 18 und rauf auf eine Schotterpiste. Wilde Sonnenblumen zieren den Weg. Immer wieder wird die Fahrt durch Rinder behindert, die achtlos die Straße überqueren, während in einiger Entfernung Gabelböcke und Maultierhirsche durch die Landschaft streifen. Mit Ausnahme eines kleinen Laubwäldchens in der Nähe eines kleinen Flusses ist das Areal über viele Kilometer baumlos. Nadelbäume fehlen völlig.

    Ohne Allradfahrzeuge ist auf den Buckelpisten kein Vorankommen mehr.
    Foto von Janosch Boerckel

    Kurz bevor nach rund 16 Kilometern schließlich auch die Schotterpiste endet, führt sie an einer Kolonie von Präriehunden vorbei, die sich gegenseitig warnend zuheulen, bevor sie in ihren Bauten verschwinden. Von hier an kommt man nur noch mit einem allrad-angetriebenen Fahrzeug weiter. Obwohl die Fundstelle seit den 1970er Jahren bekannt ist, wird hier erst jetzt, knapp 50 Jahre später, zum ersten Mal wissenschaftlich gegraben. Grund ist der erhebliche logistische Aufwand: die Fundstelle ist einfach zu abgelegen.

     

    Pferde und Esel sind das ganze Jahr auf der Weide.
    Foto von Janosch Boerckel

    Mit Manpower und Maschinen

    Statt einzelne Knochen oder Skelettteile zu bergen und mit Gipsmanschetten zu versehen, haben sich die Forscher hier für eine Blockbergung entschieden: Die Fossilien werden mitsamt des Lockergesteins, das sie umgibt, geborgen und verschifft. Zwar ist das Konzept einer Blockbergung nicht neu, doch einen 20 Quadratmeter großen Block aus dem Gelände zu bergen, stellt selbst das erfahrene Senckenberg-Team vor eine besonders schwere Herausforderung.

    Manuela Aiglstorfer ist Expertin für fossile Säugetiere und hat das Knowhow um die fossilführenden Schichten so zu schützen, dass sie im Block geborgen und abtransportiert werden können.
    Foto von Janosch Boerckel

    „Um an die fossilführende Schicht zu gelangen, muss die komplette Fläche freigelegt werden“, erklärt Paläontologin Manuela Aiglstorfer, die die Grabung begleitet. Hierfür müssen mehrere Meter Deckschicht mit dem Bagger abgetragen werden. Knochen, die an der Oberfläche sichtbar sind, werden direkt geborgen oder eingegipst. Danach werden lange Stahlschrauben an der Oberfläche in die sogenannten Bonebed-Schichten getrieben, an denen Seile gespannt werden, um ein Grabungsgitter anzulegen. Das Gitter hilft dabei, die genaue Position von entnommenen Knochen einzuzeichnen, damit sie später wieder zugeordnet werden können. Dann werden Quader mit einer Kantenlänge von einem Meter Stück für Stück herausgeschnitten.

    Ein Teammitglied arbeitet mit einer der speziellen Diamantkettensägen.
    Foto von Janosch Boerckel

    Zum Einsatz kommt hier eine spezielle Kettensäge, deren Sägeblatt mit Diamanten bestückt und, von einem großen Tank gespeist, wassergekühlt wird. Bei diesem Vorgehen besteht zwar das Risiko, dass auch Knochen zerschnitten werden, im Labor können durchtrennte Knochen mit glatten Schnittflächen jedoch relativ einfach wieder zusammengefügt werden. Nach dem Sägen werden die freiliegenden Schnittflächen der Quader mit in Harz getränkten Stoffbahnen verstärkt, um ein Herausbröseln des Sediments zu verhindern. Sobald ein Quader entsprechend präpariert ist, wird er mit einer großen Baumaschine von der Grabungsstelle abtransportiert.

    Trotz großer Maschinen und technischer Hilfe braucht es viel Manpower, um ein solches Projekt stemmen zu können. Daher werden Philipe Havlik und Manuela Aiglstorfer von einem elfköpfigen Team aus Frankreich unterstützt, das beim Hämmern, Gipsen und Meißeln hilft. Die Gruppe ist ein Zusammenschluss von fossilbegeisterten Amateuren. Sie alle haben zum Teil eine geologische und zum Teil ein präparatorische Ausbildung und alle haben Erfahrung mit der Prospektion, Bergung und Präparation von Fossilien.

    Zeugnisse der Urzeit

    Die Fingerendglieder von Edmontosaurus sehen den Hufen heutiger Huftiere sehr ähnlich. Damit waren sie gut angepasst, um weite Strecken zurückzulegen.
    Foto von Janosch Boerckel

    Schon vor Ort wird klar, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Bereits an der Oberfläche der Blöcke kommen einzelne Knochen von Edmontosauriern zum Vorschein: Rippen, Wirbel, Oberarm- und Oberschenkelknochen sind erkennbar, aber auch filigranere Teile des Skeletts wie beispielsweise Unterkiefer und sogar Fingerendglieder, die denen heutiger Huftiere nicht unähnlich sehen. Die Größe der Knochen lässt keinen Zweifel daran, dass es sich um Dinosaurierüberreste handelt: Teilweise messen sie über einen Meter, sind also länger als ein 5-jähriges Kind. Die Hufe und die Zähne zeigen zudem, dass es sich nicht um Fleischfresser oder Horndinosaurier, sondern um Knochen von Entenschnabeldinosaurier handelt. Die Art der Ablagerung verrät außerdem, dass die Knochen nach dem Tod noch bewegt und wahrscheinlich bei einer Flut weggeschwemmt wurden. Dafür spricht, dass viele verschiedene Kochen von unterschiedlichen Individuen kreuz und quer übereinander in einem Bonebed liegen.

    „Die genaue Anzahl der hier begrabenen Tiere lässt sich nicht mehr mit absoluter Gewissheit bestimmen“, sagt Havlik. „Wenn man aber beispielsweise fünf linke Oberschenkelknochen findet, so kann man sicher sein, dass es sich um mindestens fünf Individuen handelt, da so ein Knochen pro Tier nur einmal vorkommt.“ Wenn es mehrere gleiche Knochen unterschiedlicher Länge gäbe, spräche das für verschiedene Tiere unterschiedlichen Alters.

    In kleineren Handstücken entdecken die Paläontologen Überreste von Schildkröten, Krokodilen und Säugetieren sowie verschiedene Pflanzenfossilien.
    Foto von Janosch Boerckel

    Doch das Team freut sich nicht nur über die Knochen der Dinosaurier, sondern auch über die kleinen Funde anderer Faunenelemente wie Panzerfragmente von Weichschildkröten aus der Gruppe der Pan-Trionychidae, oder über den ersten Säugetierzahn. Ein besonders schönes Handstück zeigt auch ein Blatt eines Laubbaumes neben dem Zweig eines Nadelbaumes. Vieles spricht schon jetzt dafür, dass es, im Gegensatz zu heute, damals Mischwälder in dieser Region gab. Was genau wuchs und wie die Gegend auf der Privatranch einst aussah, soll in den kommenden Monaten in Frankfurt erforscht werden – zwischen Hochhäusern und Banken, weit weg von Abgeschiedenheit und Präriehunden.

     

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