So beeinflusst der Klimawandel Spitzenweine – seit dem Mittelalter
Über 700 Jahre werden Aufzeichnungen zu Traubenernten im Burgund geführt. Sie zeigen deutlich, dass die Hitze der letzten drei Jahrzehnte an den Reben nicht spurlos vorrübergegangen ist.
Im Sommer 1540 brannte die Sonne heiß auf die Weinberge der Region Burgund in Frankreich herunter – so heiß, dass es laut einem schriftlichen Zeitzeugenbericht „beinahe unerträglich“ war.
Tatsächlich war es in diesem Jahr überall in Europa so heiß. In den Alpen schmolzen Gletscher ab und ihre Zungen zogen sich in Täler zwischen steilen Felswänden zurück. Flächenbrände tobten überall, von Frankreich bis Polen. Und im Weinanbaugebiet im Herzen Frankreichs wurden die Trauben noch am Stock zu Rosinen, was dem aus ihnen gewonnenen Wein eine sirupartige Süße und einen besonders hohen Alkoholgehalt verlieh.
Normalerweise begann die Traubenlese erst Ende September oder Anfang Oktober. Aber in diesem Jahr mussten die Winzer sich beeilen, die überreifen Früchten schon Wochen früher von den Reben zu ernten.
Aufzeichnungen über Erntedaten aus der Stadt Beaune im Burgund, die fast 700 Jahre lang zurückreichen, zeigen nun, dass die frühe Traubenlese wie im Jahr 1540 inzwischen aufgrund des Klimawandels die Norm ist. Ein Team aus Wissenschaftlern und Historikern setze gemeinsam eine Aufstellung von Erntedaten bis zum Jahr 1354 zusammen. Sie fanden dabei heraus, dass die Lufttemperatur sich – insbesondere in den letzten 30 Jahren – so weit erhöht hat, dass die Trauben inzwischen beinahe zwei Wochen vor dem historischen Durchschnittsdatum gelesen werden.
„Man erkennt ganz klar die Reaktion der Rebstöcke auf den Temperaturanstieg“, sagt Thomas Labbé, ein Historiker der Universtität Leipzig.
Und diese Reaktion verändert auch den Wein.
Weingeschichte ist Klimageschichte
Im Burgund ist der Wein tief in der Kultur der Menschen und im Land verwurzelt. Die Pinot Noir- und Chardonnay-Trauben, für die diese Region bekannt ist, werden hier schon seit Jahrhunderten angebaut und haben sich an die spezifischen klimatischen Bedingungen perfekt angepasst.
Winzer sind mit den Wachstumsstufen bestens vertraut: Sie überprüfen die Reben, bevor sich die ersten Blüten zeigen. Sie überprüfen die Entwicklung der Reben während der Reifung der Trauben. Und sie überprüfen die dicken, süßen, duftenden Trauben, wenn sie bereit zur Lese sind, um aus ihnen Wein zu machen.
Der Erntezeitpunkt ist entscheidend. Lässt man die Trauben zu lange am Stock, lagern sie zu viel Zucker ein, was den Alkoholgehalt des Weins steigen lässt – und dem Wein die Feinheit nimmt, das die meisten Winzer dieser Region anstreben. Durch eine zu späte Ernte kann auch die Säure verloren gehen, die ein wichtiger Bestandteils des Weins ist. Erntet man zu früh, haben die Trauben unter Umständen noch nicht die richtige Balance von Aromen, die dem Wein seinen charakteristischen Geschmack verleihen.
Die Winzer führen sorgfältig Buch über Erntedaten und einige dieser Aufzeichnungen reichen zurück bis ins Mittelalter. Im 19. Jahrhundert erkannten Wissenschaftler und Historiker dann, wie diese wertvollen Daten dazu genutzt werden konnten, die Klimaentwicklung über die Jahrhunderte hinweg in den verschiedenen Teilen Europas zu rekonstruieren.
„Diese Erntedaten sind die am weitesten zurückreichende Aufzeichnung in Europa“, sagt Elizabeth Wolkovich, die als Biologin an der University of British Columbia den Zusammenhang von Wein und Klima erforscht. „Uns liegen hunderte von Jahren an Dokumentation vor, die Auskunft über die Temperatur im Sommer geben und wir können sie quasi wie ein Thermometer benutzen.“
Die Erntedaten spiegeln die Temperatur wider, der die Trauben im Verlauf der Vegetationsperiode ausgesetzt sind, beginnend im April bis zur Lese. Sind Frühling und Sommer warm, reifen die Trauben schneller und müssen dementsprechend früher geerntet werden. Ist es kühler, ist das Gegenteil der Fall.
Klimahistoriker begannen außerdem, auch aus anderen Quellen Informationen zu sammeln. Sie verglichen Muster in den Ernteaufzeichnungen mit Daten, die über Baumringe und die Länge von Gletschern in den Alpen dokumentiert wurden.
Sie nutzten Aufzeichnungen wie diese, um nachzuvollziehen, dass die Temperaturen in Zentraleuropa während der Mittelalterlichen Warmzeit von ca. 900 bis 1300 anstiegen. Während der kleinen Eiszeit vom etwa 15. bis zum 19. Jahrhundert kühlten sie sich dann wieder ab.
Den Historikern fiel auch auf, dass die Temperaturen während der letzten beiden Jahrhunderte stark schwankten, sprunghaft warm ansteigen und dann wieder plötzlich sanken. Insgesamt bewegte sich das Klima jedoch recht konstant innerhalb gewisserer Parameter – bis jetzt.
Reben erzählen eine Geschichte
Eines der am längsten zurückreichenden und vollständigsten Archive fanden die Historiker in Dijon, das beinahe im Zentrum der berühmten Weinregion Burgund liegt. Allerdings mussten die meisten Weinberge im Umfeld der Stadt im Verlauf des 19. Jahrhunderts deren Wachstum weichen – was bedeutet, dass die Aufzeichnungen nicht bis in die heutige Zeit weitergeführt werden konnten.
Aber in Beaune, einer kleinen Stadt rund 40 Kilometer südlich von Dijon, befinden sich Weinberge, die schon seit Hunderten von Jahren die Hügel um die Stadt zieren und die bis heute Wein produzieren. Und die Stadtarchive sind ebenso gut gefüllt mit Dokumenten wie in Dijon.
Darauf stürzten sich Labbé und seine Kollegen nur zu gerne. Die früheste Aufzeichnung, die sie fanden, waren empfindliche Bücher aus Pergamentpapier der Kirche von Notre-Dame in Beaune die auf das 14. Jahrhundert zurückgehen. Zur Kirche gehörte ein kleiner Landbesitz, auf dem Wein angebaut wurde, der einen so guten Tropfen hervorbrachte, dass selbst der König damit beliefert wurde. Jedes Jahr notierte ein Mitglied des Ordens gewissenhaft das Datum, an dem die Arbeiter zur Traubenlese in den Weinberg geschickt wurden – und dieses Datum war von den Wetterbedingungen des jeweiligen Jahres abhängig.
Die Forscher arbeiteten sich Jahr für Jahr durch Seiten voller Latein in krakeliger Schrift, um alle relevanten Daten zu sammeln. Später bezogen sie dann auch Notizen von Stadtratssitzungen und Zeitungsarchive mit ein, um so eine fast vollständige Chronik von 1354 bis 2018 zu erstellen.
Damit erhielte sie ein ziemlich präzises Bild des Klimawandels während dieser Zeit. Im Verlauf des Mittelalters und danach zeigen die Daten kurze Warmperioden und gelegentlich ein extrem heißes Jahr wie beispielsweise 1540. Aber seit Ende der 1980er-Jahre ist die Temperatur merklich angestiegen. Allein in den vergangenen 16 Jahren gehörten die Hälfte der Erntezeitpunkte zu den frühesten, die je verzeichnet wurden.
Das stimmt mit den Aussagen der Winzer dieser Region überein. Aubert de Villaine arbeitet seit 1965 im Weinbau und er ist der Meinung, dass die klimatischen Bedigungen sich drastisch verändert haben: Die vergangenen 30 Jahre waren vollkommen anders als die zu Beginn seiner Tätigkeit.
„Wir Winzer bemerkten die Auswirkungen des Wetters und des Klimas als erste“, sagt er. „Die Schwankungen, mit denen wir heutzutage rechnen müssen, sind viel schlimmer als jemals zuvor.“
Nathalie Oudin produziert auf dem Traditionsweingut ihrer Familie Chardonnay. Die Lese erfolgte früher immer um den Geburtstag ihres Vaters herum – 28. September –, aber inzwischen ist die Haupterntezeit dann bereits vorbei und das Erntegut bereits verarbeitet. Damit findet die Lese zwei bis drei Wochen früher statt als noch zur Zeit ihres Großvaters, berichtet sie.
Um den Wein zu retten, muss der Planet gerettet werden
Im Moment verursachen die höheren Temperaturen den Winzern im Burgund noch keinen Schaden. Tatsächlich, meint de Villaine, brachten die Hitzewellen der vergangenen Jahre einige der besten Jahrgänge der Neuzeit hervor. Selbst 2018, als das Thermometer in ganz Frankreich auf über 40 Grad Celsius kletterte, haben die Reben im Burgund überlebt. Sie wurden durch ihren Standort auf den Hügeln in relativ großer Höhe geschützt.
Weiter im Süden waren die Auswirkungen der Hitze deutlicher spürbar. Während des Sommers verbrannten im Südwesten Frankreichs die Blätter der Rebstöcke und der Stress, dem die Pflanzen ausgesetzt waren, ließ die Trauben verdorren.
So heiß war es im Burgund bislang noch nicht, aber es steht wohl auch dieser Region bevor, sagt Jean-Marc Touzard, der als Weinwissenschaftler am französischen Nationalinstitut für Landwirtschaftsforschung tätig ist.
„Wir können mithilfe von Modellen Prognosen für Erntedaten in der Zukunft abgeben“, erklärt er. „Im Moment gehen wir davon aus, dass die Lese in vielen französischen Weinanbauregionen im Jahr 2050 um den 15. August herum erfolgen wird. Das ist die heißeste Zeit des Jahres, mitten im Hochsommer.“
Das wird auch mit großer Wahrscheinlichkeit Einfluss auf Geschmack, Ausprägung und Alkoholgehalt der Weine haben. Schon jetzt ist der Alkoholgehalt der Weine von etwa 12 Prozent in den 1970er-Jahren auf rund 14 Prozent heute gestiegen, auch wenn das von Region zu Region variiert. Einen Teil macht natürlich auch die Vorliebe des Winzers aus, sagt Greg Jones, ein Weinbauexperte und Wissenschaftler am Linfield College. Allerdings ist auch ein nicht unwesentlicher Anteil der früheren Reifung der Trauben durch die Hitze geschuldet. Je mehr Zucker in den Früchten eingelagert wird, desto mehr Alkohol entsteht bei der Weinproduktion.
„Heißes Wetter sorgt dafür, dass mehr Zucker angereichert wird und der Säuregehalt sinkt“, meint Oudin. „Wir bevorzugen hier keine schweren, süßen, reifen Chardonnays – wir wollen die Frische erhalten. Und das wird mit den warmen Sommern immer schwerer.“
Noch sind die berühmten Pinot Noirs und Chardonnays aus dem Burgund sicher. Doch ihre Zukunft bleibt ungewiss.
„Wir arbeiten jeden Tag mit den Böden, kümmern uns um sie und tun für unseren Wein, was wir können. Aber das Klima ist der Teil der Weinproduktion, den wir nicht kontrollieren können. Selbst wenn alles andere stimmt, das können wir nicht beeinflussen“, sagt Oudin.
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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