Was hat Edmontosaurus am liebsten gefressen? Paläobiologe Prof. Dr. Hervé Bocherens im Porträt
Die Zähne und Knochen eines Dinosauriers verraten eine Menge über seine Ernährung. Mit Hilfe von Isotopenuntersuchungen zeichnet Senckenberg-Forscher Prof. Dr. Hervé Bocherens ein detailliertes Bild.
Dino-Nahrung ist seine Leidenschaft. Wenn Hervé Bocherens mehr über den Speiseplan von Edmontosaurus erfahren will, sucht er nicht nach versteinerten Mageninhalten. Er bohrt den Sauriern die Knochen auf. Und er fühlt ihnen buchstäblich auf den Zahn. Mit der so genannten Isotopenanalyse entlockt der Professor für Biogeologie am Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen den Urzeitriesen spannende Geheimnisse.
Die meisten chemischen Elemente besitzen mehrere Isotope – unterschiedliche Atomarten, die sich in der Zahl der Neutronen voneinander unterscheiden. Menschen und Tiere nehmen Isotope von Geburt an über Nahrung, Luft und Wasser auf. Sie werden in Knochen und Zähnen gespeichert – und geben jedem Lebewesen je nach Zusammensetzung eine persönliche Signatur. Denn jeder Isotopen-Mix unterscheidet sich ein wenig voneinander und gibt zum Beispiel Auskunft über die Ernährungsweise.
Seit seiner frühen Kindheit ist Bocherens fasziniert von Dinosauriern. Und seit mehr als drei Jahrzehnten beschäftigt sich der 56-jährige Franzose mit der komplexen Methode. Bahnbrechend war seine 1991 veröffentlichte Studie über die Ernährung von Neandertalern. „Als erster Wissenschaftler konnte ich mit Hilfe von Isotopenuntersuchungen nachweisen, dass sie viel Fleisch aßen“, sagt er heute.
Vegetarier mit Lust auf Gras: Edmonds Speiseplan
Im Rahmen des Senckenberg-Projekts „Edmonds Urzeitreich“ geht Bocherens dem Nahrungsverhalten von Edmontosaurus und seinen versteinerten Zeitgenossen auf den Grund. Dazu sollen die zahlreichen Knochen, die in Wyoming gefunden wurden, bei Senckenberg in Tübingen analysiert werden. Bocherens setzt damit Forschungen fort, die schon vor über 30 Jahren für Aufsehen sorgten. Auch damals untersuchte er Fossilien des bis zu vier Tonnen schweren Pflanzenfressers aus der Lance-Formation in Wyoming.
Seinerzeit hatten die Isotopenanalysen ergeben, dass der Entenschnabeldinosaurier bereits vor rund 66 Millionen Jahren grasartige Pflanzen gefressen hatte, von denen man eigentlich annahm, dass sie sich erst viel später entwickelt hätten. „Aus verschiedenen Gründen konnte ich die Forschungen damals nicht fortführen“, sagt Bocherens. „Umso glücklicher bin ich, jetzt mit neuen Technologien daran anknüpfen und die Forschungsergebnisse hoffentlich bestätigen zu können.“
Bocherens erhofft sich nicht nur Rückschlüsse auf die damalige Lebenswelt der Dinosaurier. „Wenn wir verstehen, wie Ökosysteme unter sehr verschiedenartigen Umweltfaktoren funktionieren, hilft das der Wissenschaft auch, mögliche Szenarien für die Zukunft der Erde zu entwickeln.“
Short Facts: Prof. Dr. Hervé Bocherens
Forschungs- und Aufgabenbereich: Professor für Biogeologie am Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen.
Berufsweg: Studium der Biologie und Geologie in Paris, Doktor der Paläontologie (1992), Habilitation (2000). Weitere Forschungen unter anderem in Paris und Montpellier. Seit 2008 Professor an der Uni Tübingen.
Beitrag zum aktuellen Edmontosaurus-Projekt „Edmonds Urzeitreich“: Isotopenanalysen von Knochen, Zähnen und Pflanzen zur Untersuchung urzeitlicher Ökosysteme.
Technische Tools: Chemielaboratorium und Massenspektrometer zur Präparierung und Isotopenuntersuchung von Fossilien.
Wichtige Forschungsergebnisse: Studie über die Ernährung von Neandertalern im Jahr 1991, die erstmals mit Hilfe von Isotopenanalysen den Nachweis erbrachte, dass Neandertaler viel Fleisch aßen.
Spannende Forschungserlebnisse: Erste von mehreren Forschungsreisen in die Bandlands von Alberta, um Dinosaurierzähne für die Doktorarbeit auszuspüren. Außerdem die erste Reise zur 1994 entdeckten Chauvet-Höhle in Südfrankreich. Sie zählt zu den weltweit bedeutendsten archäologischen Fundorten mit Höhlenmalereien. Bocherens sammelte dort Knochen für Isotopenanalysen.
Weiterer Höhepunkt: die Sezierung einer gefrorenen urzeitlichen Wolfswelpen-Mumie.
Lieblingsfossil: Gigantopithecus, ein urzeitlicher Menschenaffe
Leidenschaften neben der Paläontologie: Reisen und Lesen (Science-Fiction-Romane)
Edmond
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Mit kriminalistischem Spürsinn untersucht Mónica Morayma Solórzano die Bernsteinproben von der Dino-Fundstelle in Wyoming. Finden sich darin eingeschlossene Fossilien, kann das Forschungsteam auf spannende Erkenntnisse hoffen.
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Geochemiker und Geologe mit Leib und Seele: Prof. Dr. Andreas Mulch rekonstruiert urzeitliche Lebenswelten mit Hilfe versteinerter Erdschichten. Die untersuchten Sedimentproben verraten eine Menge über Klima und Vegetation der Dinosaurier-Ära.
Edmonds Urzeitreich: Was versteinerte Pflanzenreste verraten
Paläobotaniker Prof. Dr. Dieter Uhl untersucht fossile Pflanzen, um die Umwelt der Vergangenheit zu rekonstruieren. „Man kann immer etwas Neues entdecken, was noch nie jemand vorher gesehen hat“, sagt der promovierte Diplombiologe.