Dieser Wolfwelpe ist 57.000 Jahre alt

Die gut erhaltenen Überreste des Tieres wurden im Permafrostboden des Yukon gefunden. Sie helfen der Wissenschaft nun, die Ausbreitung von Wölfen in Europa, Asien und Nordamerika nachzuvollziehen.

Von Riley Black
Veröffentlicht am 29. Dez. 2020, 10:49 MEZ, Aktualisiert am 29. Dez. 2020, 14:08 MEZ
Die gut erhaltenen Überreste eines Wolfwelpen wurden im Permafrostboden des nordkanadischen Yukon Territorys gefunden.

Die gut erhaltenen Überreste eines Wolfwelpen wurden im Permafrostboden des nordkanadischen Yukon Territorys gefunden. Sie enthüllen neue Details darüber, wie sich Wölfe ursprünglich in Nordamerika und Eurasien ausbreiteten.

Foto von Government of Yukon

Im Sommer 2016 stieß ein Goldgräber im Yukon Territory auf einen unerwarteten Schatz: Neil Loveless nutzte gerade eine Wasserkanone, um dem Permafrostboden seine versteckten Reichtümer zu entlocken, als sich plötzlich etwas aus dem Eis löste. Doch es handelte sich dabei nicht um Edelmetalle, sondern um die älteste und am besten erhaltene Wolfsmumie, die bislang entdeckt wurde.

Loveless deponierte den gefrorenen Welpen in einer Tiefkühltruhe, bis sich Paläontologen das Fundstück näher anschauen konnten. Diese ermittelten, dass es sich bei dem Tier um ein junges Weibchen handelte, das einst ein Ökosystem im Nordwesten Kanadas bewohnte, in dem sich auch Amerikanische Mastodons und andere Großfauna-Vertreter des Pleistozäns tummelten. Mitglieder der im Gebiet ansässigen Tr'ondek Hwech'in First Nation gaben dem 57.000 Jahre alten Welpen den Namen Zhur, was in ihrer indigenen Sprache „Wolf“ bedeutet.

In der sibirischen Tundra wurden bereits früher spektakuläre Funde aus dem Pleistozän gemacht. Dieses Zeitalter der Erdgeschichte, das vor etwa 2,6 Millionen Jahren begann und vor rund 11.700 Jahren endete, wird auch gerne als Eiszeit bezeichnet. Grund dafür ist die Tatsache, dass die Polkappen zu dieser Zeit deutlich weiter ausgedehnt waren als heute. Der Fund eines so gut erhaltenen Wolfs im Yukon ist jedoch aufsehenerregend.

Die kleine Wölfin starb mit gerade einmal sieben Wochen. Sie gehörte zu einer Population, die sich von Sibirien aus über die Beringbrücke in den Yukon ausbreitete.
 

Foto von Regierungsbehörde Yukon

„In Sibirien findet man häufig so gut erhaltene Kadaver, da die Bedingungen des Permafrostbodens dafür ideal sind. Im Yukon, in Alaska und anderen Teilen Nordamerikas ist das wesentlich seltener der Fall“, erklärt Julie Meachen, die als Paläontologin an der Des Moines Universität tätig ist. Meachen war leitende Autorin der Studie, die im Wissenschaftsjournal „Current Biology“ veröffentlicht wurde. Auch nach Zehntausenden von Jahren ist Zhurs Körper noch weitestgehend intakt geblieben, von ihrem Fell bis hin zu den feinen Papillen auf ihrer Zunge.

„Der Grad der Erhaltung ist bemerkenswert“, sagt Paläontologe Ross Barnett von der Universität Kopenhagen, der nicht an der Studie beteiligt war. Aber Zhur liefert noch mehr Informationen, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. „Sie hat uns viel zu erzählen“, meint auch Meachen. Angefangen bei ihrem Alter zum Zeitpunkt des Todes – sieben Wochen – bis hin zur Frage nach ihrer Ernährung. Die Forschung bekommt so einen kleinen Einblick in ein Zeitalter, in dem die große Eiszeit eine kleine Pause einlegte.

Verschwundene Wolfspopulation

Zhur lebte in einer zwischeneiszeitlichen Periode, in der die ausgedehnten, arktischen Gletscher kurzzeitig vermehrt abschmolzen, und die kargen Steppen einer Waldlandschaft Platz wichen. Das war eine Epoche der Mastodons, Kamele, Riesenbiber und – wie Zhur beweist – Wölfe.

Diese Illustration zeigt einen Wolf bei der Jagd mit seinem Jungtier im nordwestlichen Kanada vor knapp 60.000 Jahren.

Foto von ILLUSTRATION BY JULIUS CSOTONYI

„Ein so außergewöhnlich gut erhaltener Carnivore erlaubt uns einen einzigartigen Blick in die Ökosysteme der Eiszeit aus Sicht von Raubtieren“, sagt Tyler Murchie, der als Paläontologe an der McMaster University forscht und nicht an der Studie beteiligt war.

Wölfe gehören für uns seit jeher zum Bild der nordamerikanischen Wildnis, doch sie stammen ursprünglich nicht vom amerikanischen Kontinent. Diese Caniden wanderten gegen Ende des Pleistozäns, vor mehr als 500.000 Jahren, über die Beringbrücke aus Eurasien ein.

„Zhur stammt aus einem Erdzeitalter, aus dem wir im Yukon bislang nur wenige Mumien gefunden haben“, sagt Barnett. Und bei der DNA-Analyse der kleinen Wölfin stellten Meachen und ihre Kollegen fest, dass dieses Tier zu einer Gruppe von Wölfen gehörte, die es in dieser Region gar nicht mehr gibt.

Die junge Wölfin Zhur ist so gut erhalten, dass die Wissenschaftler sowohl den Körper als auch die DNA des Tieres studieren konnten.

Foto von Regierungsbehörde Yukon

Zhur gehörter einer Population an, die genetisch mit Wölfen in Alaska und Eurasien verwandt ist, doch die Wölfe, die heute im Yukon leben, weisen eine andere genetische Signatur auf. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass die ersten Wölfe im Yukon irgendwann ausstarben und später durch andere Populationen ersetzt wurden, die sich zuvor bereits weiter südlich angesiedelt hatten.

„DNA-Proben aus vorgeschichtlicher Zeit belegen immer wieder, wie komplex Evolutionsgeschichte und Paläoökologie tatsächlich ist. Knochen und Fossilien lassen da manchmal einen anderen Eindruck entstehen“, meint Murchie. Ohne Zhurs Gene wäre den Forschern die Ausrottung der ursprünglichen Population, und Ersetzung durch eine neue, nie aufgefallen.

Ein kurzes urzeitliches Leben

Zhurs Körper erzählt uns außerdem eine Menge über ihr Leben. Sie starb im Alter von nur sieben Wochen, in der Umstellungszeit von Muttermilch auf feste Nahrung. Die geochemischen Signaturen ihrer Zähne deuten darauf hin, dass sie vor allem Beute aus Flüssen und Bächen zu sich nahm. Vielleicht standen Fische wie der Königslachs auf ihrem Speiseplan, der noch heute in den Flüssen ablaicht, in deren Nähe Zhur gefunden wurde. Viele der modernen Wölfe in Alaska ernähren sich heutzutage ebenso eher von Fisch als von Großwild.

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Unglücklicherweise endete Zhurs Leben sehr früh. Wahrscheinlich starb sie durch den Einsturz ihres Baus, der gleichzeitig für die hervorragende Konservierung ihres Körpers verantwortlich ist. Andere Säugetiere aus dieser Zeit – wie Arktische Ziesel oder Schwarzfußiltisse – wurden auf ähnliche Weise mumifiziert.

Zhur lebte im übertragenen Sinn auf einer Kreuzung: nicht nur zwischen zwei Eiszeiten, sondern auch zwischen zwei Wolfspopulationen, die inzwischen voneinander getrennt sind. Durch die genetische Untersuchung des Welpen erhalten Wissenschaftler nun ein umfassenderes Verständnis darüber, wo Zhurs Platz in der vorgeschichtlichen Welt war und was sich seitdem verändert hat. „Urzeitliche DNA haucht den Dynamiken des späten Pleistozäns Leben ein, das es nur durch Knochenfunde noch nicht besaß“, führt Barnett aus.

Wie sich Tierpopulationen während des Pleistozäns verbreiteten und veränderten, ist eine Geschichte, die noch Stück für Stück aus den aus dieser Zeit verbliebenen DNA-Fragmenten extrahiert wird. Zhurs Überreste liefern hier wertvolle Hinweise. An der Schnittstelle von Knochen und Genen finden Forscher neue Fenster in die verlorenen Welten der Eiszeit.

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