Teenager T. rex: Warum sich Forscher beim Nanotyrannus geirrt haben

Die detaillierte Analyse der Beinknochen von zwei fossilen Dinosauriern gibt Aufschluss über Wachstum und Leben des jugendlichen Tyrannosaurus rex – und räumt mit einem Irrglauben auf.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 28. Sept. 2021, 13:57 MESZ
Teenager T. rex:

Die fossilen Überreste des jugendlichen Tyrannosaurus rex lassen darauf schließen, dass der Gigant in seinen Teenagerjahren ein schlankes, leichtfüßiges Raubtier mit messerähnlichen Zähnen war.

Foto von Illustration by Julius T. Csotonyi

Vor 66 Millionen Jahren bebte der Boden des westlichen Nordamerikas unter den Schritten eines wahren Gewaltherrschers: Tyrannosaurus rex. Heute ist das kreidezeitliche Gestein der Region eine wortwörtliche Fundgrube für fossile Überreste dieses furchteinflößenden Dinosauriers. Doch obwohl es an Forschungsmaterial nicht mangelt, gab es lange eine Wissenslücke über das Leben dieses Superstars, die die Wissenschaftler nicht füllen konnten: Wie verlief die Jugend von T. rex?

Antworten liefert eine Studie, die in der Zeitschrift „Science Advances“ erschien, der eine bemerkenswert detaillierte Analyse von Knochenquerschnitten des jugendlichen Tyrannosaurus rex zugrunde liegt. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Wachstumsgeschwindigkeit der Dinosaurierspezies sich mit dem Alter änderte und sich in Phasen des Nahrungsmangels vermutlich sogar größtenteils oder ganz einstellte – das könnte T. rex einen enormen evolutionären Vorteil gebracht haben.

Die Ergebnisse der Studie bestätigen die bereits bestehenden Zweifel an der Existenz von Nanotyrannus, einem Mini-Tyrannosaurus, der zur selben Zeit wie Tyrannosaurus rex gelebt haben soll. In den Achtzigerjahren untersuchten Paläontologen die fossilen Überreste einer Reihe kleiner, schlanker Fleischfresser aus der Kreidezeit und ordneten die Fossilien einer eigenen Tyrannosaurus-Spezies zu: Nanotyrannus.

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Bei der Analyse der winzigen Strukturen in den Knochen zweier Fossilien, die angeblich von Nanotyrannus stammen sollen, stellte sich heraus, dass diese fossilen Überreste von heranwachsenden Dinosauriern stammen. Das lässt zwei mögliche Erklärungen zu: Entweder wurden bisher noch keine Knochen eines ausgewachsenen Nanotyrannus gefunden, oder er hat als eigenständige Art nie existiert, sondern war immer schon ein T. rex im Teenageralter. Sollte Letzteres der Fall sein, böten die Fossilien einen seltenen Einblick in dieses wichtige Entwicklungsstadium im Leben der Dinosaurier-Ikone.

„Es gibt nach wie vor vieles über Dinosaurier zu erfahren – selbst dann, wenn dieser Dinosaurier so weltberühmt ist wie Tyrannosaurus rex“, sagt Holly Woodward, leitende Autorin der Studie und Paläontologin am Oklahoma State University Center for Health Sciences in Tulsa. „Nach dem Ausschlüpfen wissen wir kaum etwas über den heranwachsenden T. rex. Wir kennen nur die ausgewachsene, 9.000 Kilogramm schweren Bestie.“

Fossilien unter dem Mikroskop

Laut älteren Studien konnte ein ausgewachsener Tyrannosaurus rex in seinen Zwanzigern gigantische Ausmaße erreichen. Im Jahr 2004 ergaben zwei der wichtigsten Forschungen zu dem Thema, dass der Dinosaurier in seinen Teenagerjahren einen Wachstumsschub durchlaufen haben muss, durch den er pro Tag durchschnittlich mehr als zwei Kilogramm zunahm. Doch weil für die Untersuchungen ausschließlich Knochen ausgewachsener Tyrannosaurier zur Verfügung standen, ließ sich die Theorie nicht sicher bestätigen: Knochen erneuern sich während des Wachstumsprozesses immer wieder, sodass mit zunehmendem Alter die Knochenstruktur, die in der Kindheit angelegt wurde, immer mehr verschwindet.

„Uns war schon immer klar, dass T. rex ein rasantes Wachstum durchlaufen haben muss: Direkt nach dem Schlüpfen war er nicht größer als eine Taube, als Erwachsener dann größer als ein Bus. Aber über die Lebensphase, die dazwischen lag, hatten wir schlicht keine Informationen“, sagt Steve Brusatte, Paläontologe an der University of Edinburgh in Schottland und Reviewer der Studie.

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BELIEBT

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    Bis Holly Woodward, die schon als Kind von Mikroskopen fasziniert war, damit begann, die winzigen Strukturen in den Dinosaurierknochen zu analysieren. Sie und ihr Team konzentrierten sich bei ihrer Forschungsarbeit auf zwei Dinosaurierfossilien, die im US-Bundesstaat Montana gefunden worden waren und nun im Burpee Museum of Natural History in Rockford, Illinois, ausgestellt werden. Bei einem der beiden handelt es sich um das fast vollständige Fossil eines über sechs Meter langen Tyrannosaurus mit dem Namen Jane. Der Dinosaurier, von dem das andere Skelett stammt, war vermutlich größer als Jane, sein Fossil ist jedoch nicht so vollständig und er hat keinen Namen.

    Zunächst schälten die Wissenschaftler dünne Scheiben von den Beinknochen der beiden Fossile und gossen diese in Kunstharz. Die Präparate schnitten sie in noch dünnere Scheiben, die abgeschliffen wurden, bis sie nur noch die Stärke eines menschlichen Haars hatten und somit so dünn waren, dass Licht durch den fossilen Knochen fallen konnte. Holly Woodward untersuchte die durchsichtigen Scheiben daraufhin mikroskopisch auf bisher unsichtbare Details. Die erhaltenen Blutbahnen verrieten ihr, wie gut der Knochen mit Blut versorgt wurde – eine Information, aus der sich wiederum ihre Wachstumsgeschwindigkeit ableiten lässt. Auch die Knochenstruktur lieferte wertvolle Hinweise: Ein gut organisierter Aufbau von Mineralien in der Knochensubstanz deutet auf ein langsames Wachsen des Knochens hin.

    Ähnlich wie aus den Ringen eines Baumes, können auch aus Knochen die Veränderungen der Umwelt im Laufe des Jahres abgelesen werden. In den warmen Monaten, in denen viel Nahrung zur Verfügung steht, wachsen Tiere schneller. Wenn das Leben im Winter härter wird, stellt sich das Wachstum für drei bis sechs Monate ein – es entstehen Ringe im Knochen, aus denen man diese Entwicklung ablesen kann.

    Die Knochenfasern der beiden Dinosaurierfossilien hatten eine unorganisierte Struktur und wiesen viele Blutbahnen auf. Daraus ließ sich ableiten, dass sich die Knochen der Tiere zum Zeitpunkt ihres Todes in einer Art Wachstumsschub befunden haben müssen. Außerdem waren in den Knochen nicht die gestapelten Linien sichtbar, die man typischer Weise in adulten Knochen findet: Ein weiterer Beleg, dass die beiden Fossilien von Heranwachsenden stammen müssen – und für das Team ein Beweis dafür, dass die fossilen Überreste Tyrannosaurus rex zuzuordnen sind.

    „Diese Studie liefert einen weiteren, deutlichen Hinweis darauf, dass es einen Nanotyrannus nie gegeben hat. Meiner Meinung nach ist es nun wirklich an der Zeit, die Idee seiner Existenz ein für alle Mal zu begraben“, sagt Steve Brusatte. „Obwohl ich persönlich noch darauf hoffe, dass irgendwann Knochen von einem ausgewachsenen Nanotyrannus gefunden werden, würde ich hier und heute sagen, dass die Chancen wohl ähnlich gut stehen wie die, das Fossil eines echten Einhorns zu finden.“

    Kontrolliertes Wachstum

    Basierend auf der Anzahl von Wachstumsringen in den Knochen schätzen Holly Woodward und ihr Team, dass Jane und der namenlose Dinosaurier ein Alter von mindestens 13 und 15 Jahren erreicht haben. Darüber hinaus stellten die Wissenschaftler fest, dass das Wachstum im Jahresvergleich starken Schwankungen unterlag, vermutlich in Abhängigkeit davon, wie viel oder wenig Nahrung zur Verfügung stand.

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    „Das zeigt, dass wir es hier mit einem klugen Organismus zu tun haben, der in Mangelsituationen anstatt zu verhungern und zu sterben einfach das Wachsen einstellte“, erklärt Holly Woodward. Paläontologen finden selten die Überreste anderer großer oder mittelgroßer Fleischfresser in demselben Gestein wie T. rex-Fossilien. Das könnte Holly Woodward zufolge daran liegen, dass andere Raubsaurier nicht so gut dazu in der Lage waren, in diesem Ökosystem zu überleben. „Eventuell ist es Tyrannosaurus rex gelungen, eine Strategie zu entwickeln, die ihm einen echten Vorteil verschafft hat.“

    Als nächstes möchte Holly Woodward herausfinden, ob sich anhand von zusätzlichen fossilen Fragmenten Modelle des Wachstumsmusters von Tyrannosaurus rex erstellen lassen. Für diese größere Studie zu dem Thema sammelt sie derzeit Daten. Ihre Analyse der beiden Fossilien im Burpee Museum möchte sie vertiefen, denn während ihrer ersten Untersuchungen stieß sie auf Hinweise, die auf das Vorhandensein medullärer Knochen in beiden Fossilien hindeuteten: Markknochen, die nur bei ovulierenden Weibchen vorkommen. Um diese Entdeckung zu bestätigen, müssten jedoch chemische Tests durchgeführt werden.

    „Als Kind habe ich all diese Bücher über Dinosaurier gelesen und wollte sie später unbedingt erforschen“, sagt Holly Woodward. „Damals hatte ich Angst, dass in der Zukunft schon alles über sie bekannt sein würde. Zum Glück lag ich in dieser Hinsicht falsch.“

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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