Warum Velociraptor nicht der Dinosaurier war, für den ihn viele halten

Aus „Jurassic Park“ kennt man Velociraptor als einen großen, gefährlichen Räuber der Kreidezeit, der im Rudel jagt. Fossilien weisen jedoch starke Ähnlichkeiten mit modernen Greifvögeln auf.

Von Amy McKeever
Veröffentlicht am 8. Sept. 2021, 16:51 MESZ
Velociraptor war in der späten Kreidezeit in Zentral- und Ostasien zu Hause und jagte vermutlich allein.

Velociraptor war in der späten Kreidezeit in Zentral- und Ostasien zu Hause und jagte vermutlich allein.

Foto von Stocktrek Images, Nat Geo Image Collection

Er ist ein Filmstar, festgelegt auf die Rolle des Bösewichts und in „Jurassic Park” hat Velociraptor den Auftritt seines Lebens: Größer als ein erwachsener Mensch – mit der schuppigen Haut eines Reptils – jagt er im Rudel und weidet seine Beute mit scharfen, sichelförmigen Klauen aus. Doch diese Darstellung wimmelt nur so vor Fehlern.

Der erste und offensichtlichste ist, dass der Körper von Velociraptor nicht von Schuppen, sondern von Federn bedeckt war. Außerdem war er bei Weitem nicht so groß wie die Exemplare, die im Film gezeigt werden: Mit einer Hüfthöhe von ungefähr 50 Zentimetern und einem Gewicht von etwa 15 Kilogramm waren Angehörige der Gattung Velociraptor eher mittelgroße Dinosaurier. Sie lebten vor 74 bis 70 Millionen Jahren im Zentral- und Ostasien der späten Kreidezeit und vermutlich jagten sie nicht – wie im Kino – im Rudel, sondern allein. Ihre Klauen hatten mit großer Wahrscheinlichkeit vorrangig die Funktion, die Beute festzuhalten – nicht sie aufzuschlitzen.

Wer sich mit Dinosauriern beschäftigt, ahnt: Vorbild für die in „Jurassic Park“ gezeigten Killer war wohl eher ein Verwandter von Velociraptor namens Deinonychus antirrhopus – ein sehr viel größerer Dinosaurier, der in der frühen Kreidezeit vor 145 bis 100 Millionen Jahren in Nordamerika lebte. Und Forscher decken immer neue Mythen auf: Mit jedem Fossil, das gefunden wird, erweitert sich das Wissen über Velociraptor und seine Verwandten.

Ist es ein Vogel?

Wissenschaftler sind sich grundlegend darüber einig, dass die modernen Vögel von Dinosauriern abstammen, genauer gesagt von den Theropoden. Die Mitglieder dieser taxonomischen Dinosaurierfamilie waren Prädatoren mit drei Zehen an den Füßen (und teilweise auch Fingern an den Händen), unter ihnen bekannte Spezies wie Velociraptor mongoliensis und auch Tyrannosaurus rex. Angehörige der Theropoden verfügten über einige Merkmale, die auch bei heutigen Vögeln zu finden sind: ein flexibles Handskelett, ein bumerangförmiges Gabelbein, nach vorne gerichtete Zehen – und Federn.

Dass die Haut von Velociraptor nicht aussah wie die eines Reptils, hatten Forscher schon längere Zeit vermutet. Die Bestätigung kam im Jahr 2007, als im Rahmen einer Studie, die im Jahr 2007 in der Zeitschrift „Science“ erschien, am Unterarmknochen eines Fossils von Velociraptor mongoliensis Einkerbungen festgestellt wurden. Bei ihnen muss es sich nach Angaben von Forschern um Ansatzstellen für die Federkiele der Armschwingen gehandelt haben. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch am Skelett moderner Vögel.

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Doch die Federn hatten andere Zwecke als heute bei Vögeln: Dinosaurier waren flugunfähig. Ihre Arme waren zu kurz, um wie Flügel eingesetzt zu werden, und die Form des Gabelbeins – der gebogene Knochen zwischen Brust und Hals, der wie eine Feder funktioniert und Vögeln das Fliegen ermöglicht – war für den Flug ungeeignet. In der Studie aus dem Jahr 2007 wird daher auch die Hypothese aufgestellt, dass es sich bei dem Gefieder von Velociraptor um das evolutionäre Überbleibsel eines kleineren, flugfähigen Vorfahrens handelt. Andere Erklärungen sind, dass der Dinosaurier seine Federn zur Schau stellte, um Partner anzulocken, dass sie das Gelege im Nest vor Kälte schützten oder beim schnellen Laufen für eine gewisse Stabilität sorgten.

Aufgrund der langen Krallen, die aus dem zweiten und dritten Zeh ihrer Füße hervorragten, ist ein Vergleich von Velociraptor mit Raubvögeln wie Adlern und Falken naheliegend. Zunächst wurde davon ausgegangen, dass der Dinosaurier seine Klauen als Waffe einsetzte. Heute neigt man eher dazu anzunehmen, dass sie ein Werkzeug waren, um Beute zu ergreifen und festzuhalten – ähnlich wie es der Falke tut.

Urzeitlicher Einzelgänger

Der Name Velociraptor setzt sich aus den lateinischen Worten velox für schnell und raptor für Räuber zusammen. Tatsächlich war dieser zweibeinige Dinosaurier ein hervorragender Jäger mit einem exzellenten Geruchssinn. Das belegt die Größe und Form des Bereichs des Schädels, in dem sich der Riechkolben befinden – der Teil des Gehirns, der Geruchsinformationen weiterverarbeitet. Die muskulösen Beine und langen Unterschenkel von Velociraptor erlaubten es ihm, lange Schritte zu machen, sodass er Geschwindigkeiten von ungefähr 39 km/h erreichen konnte. Die scharfe, lange Kralle an der jeweils zweiten Zehe war ausschließlich für den Beutefang gedacht. Beim Laufen hielt der Dinosaurier sie mithilfe eines speziellen Gelenks über dem Boden, um eine Abnutzung zu vermeiden.

Die Darstellung des gemeinsam jagenden Velociraptor-Rudels in „Jurassic Park“ kann wissenschaftlich nicht belegt werden. Wahrscheinlich war sogar genau das Gegenteil der Fall: Im Rahmen einer anderen Studie aus dem Jahr 2007 wurden an den Zähnen von Deinonychus, dem bereits erwähnten Verwandten von Velociraptor, chemische Tests durchgeführt. Diese sollten zeigen, ob die Jungtiere der Spezies dieselbe Nahrung zu sich nahmen wie die ausgewachsenen Tiere. Es stellte sich heraus, dass sich das Nahrungsverhalten der Art im Laufe ihres Lebens änderte, was gegen die Zugehörigkeit zu einer Rudelspezies spricht.

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BELIEBT

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    Selbst wenn er die Gelegenheit dazu bekommen hätte: Ausgewachsene Menschen hätte der Velociraptor wohl kaum gejagt. Er hätte ihnen nicht einmal bis zur Hüfte gereicht. Zwar existiert ein berühmtes Fossil eines für die Ewigkeit erhaltenen Kampfes zwischen einem Velociraptor und einem sehr viel größerem Protoceratops, doch dabei handelt es sich mit großer Sicherheit um eine Ausnahmeerscheinung. Paläontologen gehen davon aus, dass Velociraptor hauptsächlich kleinere Säugetiere und Reptilien erlegt hat. Im Jahr 2011 stellten Wissenschaftler die These auf, dass es sich bei Velociraptor um einen nachtaktiven Jäger gehandelt habe. Sie begründeten ihre Annahme damit, dass Velociraptors Skleralring – eine knöcherne, ringförmige Verstärkung im Auge von Vögeln, manchen modernen Reptilien und Dinosauriern – eine auffällig weite Öffnung aufwies und somit zugelassen hätte, dass genug Licht auf die Linse fällt, um ein Sehen bei Nacht zu erlauben.

    Besonders schlau war Velociraptors vermutlich nicht. Zwar stimmt es, dass das Gehirn dieser Dinosaurierart im Verhältnis zum Körper überdurchschnittlich groß war und ihn dieser Umstand wahrscheinlich zu einem der schlaueren Erdbewohner der damaligen Zeit gemacht hat. Doch über das Niveau eines durchschnittlichen Vogels ging seine Intelligenz nicht hinaus. Einem Schimpansen oder Papagei hätte er nicht das Wasser reichen können.

    Ursprung und Ende

    Wissenschaftler forschen noch nach konkreten Antworten auf die Frage, von welcher Vorgängerspezies Velociraptor abstammte und ob weitere Arten existierten.

    Das erste Fossil eines Velociraptors wurde im Jahr 1924 in der mongolischen Wüste entdeckt und Velociraptor mongoliensis getauft. Als im Jahr 2008 in derselben Region fossile Kieferknochen gefunden wurden, die eine ähnliche Knochenstruktur aufwiesen, gab das Paläontologen Rätsel auf. Die neuen Fossilien wiesen dieselben Schädelöffnungen wie Velociraptor auf und verfügten über dieselbe Anzahl von Zähnen. Insgesamt war der Schädel jedoch in seiner Struktur andersartig genug, um die Zuordnung zu einer völlig neuen Spezies zu rechtfertigen: Velociraptor osmolskae. Die Erforschung dieses neuen, mysteriösen Velociraptors ist noch lange nicht abgeschlossen.

    Den ältesten bekannten Verwandten von Velociraptor machte die Wissenschaft erst vor Kurzem aus: einen etwa 90 Zentimeter langen, gefiederten Dinosaurier mit dem Namen Hesperornithoides miessleri. Das kleine Raubtier lebte vor 164 Millionen bis 145 Millionen Jahren im späten Jura und hatte an jedem Fuß eine sichelförmige Klaue. Obwohl er anscheinend flugunfähig war, ist seine Existenz doch ein Hinweis darauf, dass sich schon damals, Millionen von Jahren bevor die ersten Vögel den Planeten bevölkerten, Federn und flügelähnliche Arme an Dinosauriern entwickelt hatten.

    Die jüngsten Fossilien des Velociraptor sind 70 Millionen Jahre alt. Seine Spur verliert sich also kurz bevor 4 Millionen Jahre später ein Asteroid alle flugunfähigen Dinosaurier auslöschte. Federn allein hätten ihn jedoch ohnehin nicht retten können.

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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