Wir müssen über Sex im Weltraum reden

In den nächsten Jahrzehnten wird die Branche des Weltraumtourismus vermutlich stark wachsen. Doch wie wirken sich Reisen ins All auf das menschliche Fortpflanzungssystem aus? Und welche Risiken birgt der Geschlechtsverkehr auf privaten Weltraumflügen?

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 5. Mai 2023, 15:54 MESZ
Wolf-Rayet-Stern WR 124, kurz vor der Supernova

Der Wolf-Rayet-Stern WR 124, kurz vor der Supernova. Eine andere Art der interstellaren Explosion könnten Weltraumtouristen erleben, die auf einer Reise ins All Sex haben. Welche Risiken und negativen Folgen so ein Abenteuer mit sich bringt, ist jedoch kaum erforscht.

Foto von NASA, ESA, CSA, STScI, Webb ERO Production Team

Schwerelos im Weltraum schweben und die Erde, die Heimat der Menschen, von oben betrachten: Das erleben bislang nur Astronauten und Forschende der Raumfahrtorganisationen und Superreiche, die sich einen Kurzaufenthalt auf der ISS oder einen der suborbitalen Flüge von SpaceX, Virgin Galactic oder Blue Origin leisten können.

In Zukunft – wie fern oder nah wird sich zeigen – sollen die Möglichkeiten des Weltraumtourismus ausgebaut werden. Mit dem wachsenden Angebot wird sich die Zahl der Menschen, die sich zum Freizeitspaß im Weltall aufhalten, erhöhen. Folgende Generationen könnten ihren Urlaub statt an der Ostsee oder der Adria im von Jan Wörner, dem ehemaligen Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) angeregten Moon Village – einer bemannten Basisstation auf der Mondrückseite – verbringen oder im Spaceshuttle die Erde umrunden.

360° Video: Aus dem Weltraum
Fliegt Seite an Seite mit Astronauten in dem ersten 3D-Virtual-Reality-Film, der je im Weltraum gedreht wurde. Erlebt die Schwerelosigkeit, fliegt mit 8 Kilometern pro Sekunde um die Welt und genießt einen einzigartigen Blick auf die Erde, der für immer verändern könnte, wie ihr unseren Planeten seht. Mit dabei sind die Astronauten Chris Hadfield, Mae Jemison, Mike Massimino und Nicole Scott. Das bahnbrechende 360°-Video der ISS wurde mit der Vuze VR Camera von Humaneyes Technologies aufgenommen. Produziert von BLACK DOT FILMS VR für National Geographic Partners © 2018 National Geographic Partners, LLC. All Rights Reserved.

„Die erwarteten Motivationen und Verhaltensweisen von Weltraumtouristen werden sich von denen professioneller Astronauten unterscheiden“, heißt es in dem Grünbuch einer internationalen Gruppe von Forschenden, Medizinern und anderen interessierten Parteien unter der Leitung von David Cullen, Astrobiologe an der englischen Cranfield University. Das Entwurfspapier will zur Diskussion einer Frage anregen, der laut seinen Verfassern bisher viel zu wenig Beachtung geschenkt wird: Wie riskant ist Geschlechtsverkehr im Weltraum und wie wirkt sich eine Reise ins All auf die Empfängnis und das menschliche Fortpflanzungssystem aus?

Touristen wollen Sex im All

Viele Menschen finden Sex an ungewöhnlichen Orten reizvoll. Nicht umsonst gibt es den Mile High Club, in dem jeder Mitglied ist, der einmal Geschlechtsverkehr in einem fliegenden Flugzeug hatte. „Es ist unrealistisch anzunehmen, dass alle künftigen Weltraumtouristen auf sexuelle Aktivitäten verzichten werden“, heißt es in dem Grünbuch mit dem Titel Sex im Weltraum: Überlegungen zur unkontrollierten menschlichen Empfängnis im aufkommenden Weltraumtourismus. „Somit eröffnen sich Möglichkeiten für die menschliche Empfängnis und frühe Stadien der menschlichen Fortpflanzung im Weltraum.“

 „Ausgangspunkt für unsere Arbeit war eine beiläufige Bemerkung über Sex im Weltraum“, sagt Cullen. Als die Forschenden prüften, inwieweit sich die Weltraumtourismusbranche mit dem Thema auseinandergesetzt hat, stellten sie überrascht fest, dass die damit verbundene Risiken bisher nicht offen diskutiert wurden.

Galerie: Gewaltige Supernova blies Bausteine des Lebens ins All

BELIEBT

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    Die menschliche Fortpflanzungsphysiologie hat sich unter 1g Schwerkraft und dem irdischen Maß an ionisierender Strahlung entwickelt. In Weltraumumgebungen herrschen aber ganz andere Voraussetzungen. Das Wissen darüber, wie diese sich auf das menschliche Fortpflanzungssystem und Fortpflanzungsprozesse auswirken, ist äußerst begrenzt.

    Den Autoren zufolge bestehen vor allem Risiken in Stadien kurz vor, während oder kurz nach der Befruchtung. Die Gametogenese – also die Spermienproduktion – dauert bei Menschen etwa 74 Tage. Es ist nicht bekannt, inwieweit die Samenzellen und das darin transportierte Erbgut unter Weltraumbedingungen beeinträchtigt werden. Ebenso unklar ist, was mit Eizellen geschieht, die im Weltraum für die Befruchtung heranreifen oder dort befruchtet werden.

    Fortpflanzung unter außerirdischen Umständen

    „Die Motivation für den Weltraumflug und der Reproduktionsstatus von Weltraumtouristinnen können sich von denen professioneller Astronautinnen unterscheiden“, heißt es in dem Grünbuch. Bei Ersteren könnte der Wunsch bestehen, während einer Weltraumreise oder kurz nach der Rückkehr schwanger zu werden. „Daraus ergibt sich das Szenario, dass die Empfängnis, wenn sie innerhalb von etwa vier Monaten nach dem Weltraumflug stattfindet, mit Eizellen erfolgen könnte, die sich während der Exposition in der Weltraumumgebung entwickelt haben.“

    Im frühesten Entwicklungsstadium nach der Empfängnis könnte es dann zu Anomalien kommen. Daraus resultierende Haftungsfragen, Rechtsstreitigkeiten und finanzielle Verluste sollten für Organisationen, die Weltraumflüge für Privatpersonen anbieten, Motivation genug sein, Risiken und Zusammenhänge offen zu diskutieren und entsprechende Maßnahmen zur Gefahrenminderung vorzubereiten. Das ist laut den Autoren bislang aber nicht der Fall – eine Situation, die sich ihnen zufolge dringend ändern muss.

    „In Anbetracht der Tatsache, dass die Menschheit versucht, sich zu einer multiplanetaren Spezies zu entwickeln, hat die menschliche Fortpflanzung jenseits der Erde eine langfristige Bedeutung“, sagt Egbert Edelbroek, Leiter von SpaceBorn United, eine niederländische Organisation, die sich mit der menschlichen Fortpflanzung im Weltraum befasst. Egal, ob sie geplant oder ungeplant geschehe, müsse die Empfängnis im Zusammenhang mit Weltraumreisen und ihre Folgen ernst genommen werden.

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