Erste erfolgreiche künstliche Befruchtung eines Breitmaulnashorns

Es ist ein Durchbruch für den Artenschutz: Zum ersten Mal wurde im Labor erfolgreich ein Nashorn-Embryo gezeugt und einer Leihmutter eingepflanzt. Kann so das vom Aussterben bedrohte Nördliche Breitmaulnashorn gerettet werden?

Von Dina Fine Maron
Veröffentlicht am 25. Jan. 2024, 13:23 MEZ
Ein roter Embryo auf zwei mit blauen Handschuhen bekleideten Händen.

Dieser Embryo eines Südlichen Breitmaulnashorns – hier zu sehen im Alter von 70 Tagen – ist der erste, der erfolgreich durch künstliche Befruchtung gezeugt und einer Leihmutter eingepflanzt wurde. Nun besteht die Hoffnung, mit dieser Methode das Nördliche Breitmaulnashorn vor dem Aussterben retten zu können.

Foto von Ami Vitale

Seit Jahren kämpfen Forschende darum, das Nördliche Breitmaulnashorn vor dem Aussterben zu bewahren. Nun ist ihnen ein signifikanter Durchbruch in ihren Bemühungen gelungen: Im Labor zeugten sie durch künstliche Befruchtung den Embryo eines Südlichen Breitmaulnashorns und pflanzten diesen erfolgreich einer Leihmutter, dem Nashornweibchen Curra, ein. Es folgte eine fast dreimonatige Schwangerschaft.

Jan Stejskal ist Teil des BioRescue-Konsortiums, einer internationalen Gruppe von Forschenden, die das Projekt betreuen. Er wertet den Erfolg als Beweis, dass die Methode sich als Strategie eignet, um bedrohten Nashornarten zu helfen – allen voran das Nördliche Breitmaulnashorn. Curra sei zwar früh in der Schwangerschaft an einer bakteriellen Infektion gestorben, doch die erfolgreiche Einpflanzung des Embryos und der positive Verlauf der ersten Schwangerschaftsphasen geben ihm zufolge Grund zur Hoffnung.

National Geographic hat das Projekt exklusiv begleitet und dokumentiert. 

Fatu, eines der beiden letzten lebenden Nördlichen Breitmaulnashörner, in ihrem weitläufigen Gehege im kenianischen Ol Pejeta-Landschaftsschutzgebiet. Aus ihren Eizellen konnten Forschende rund 30 Embryos erschaffen, die bald von Südlichen Breitmaulnashorn-Leihmüttern ausgetragen werden sollen.

Foto von Ami Vitale

Bald will BioRescue einen Schritt weitergehen und einem Südlichen Breitmaulnashornweibchen das Embryo eines Nördlichen Breitmaulnashorns einpflanzen. Die beiden Unterarten ähneln sich den Forschenden zufolge genug, um eine gesunde Entwicklung des Embryos im Uterus der Leihmutter zu gewährleisten.

Stejskal zufolge könnte die Methode auch andere vom Aussterben bedrohte Nashornarten wie das Java- und das Sumatra-Nashorn retten, deren Populationen derzeit weniger als hundert Individuen umfassen.

Doch keine Nashornart ist in so großer Bedrängnis wie das Nördliche Breitmaulnashorn. Männchen existieren keine mehr und bei den zwei letzten lebenden Individuen handelt es sich um ältere Weibchen, die in einem fast drei Quadratkilometer großen Gehege im kenianischen Ol Pejeta-Landschaftsschutzgebiet leben – unter dem schützenden Blick bewaffneter Hüter.

Sterben für das Horn: Jagd auf Nashörner

Einst war das große Tier mit dem kastigen Maul über ganz Zentralafrika verbreitet. Durch Bejagung nahm die Populationsgröße jedoch rapide ab. Die Jäger haben es auf das Horn abgesehen, das aus demselben Material besteht wie Fingernägel und äußerst begehrt ist – für kunsthandwerkliche Schnitzarbeiten, aber auch als Zutat in traditioneller Medizin. Alle Nashornarten werden aus diesem Grund gejagt, doch das Nördliche Breitmaulnashorn hat es besonders hart getroffen.

Die Tiere „sehen prähistorisch aus und sie setzen sich seit Millionen von Jahren gegen alle Widrigkeiten durch – doch uns Menschen sind sie offenbar nicht gewachsen“, sagt National Geographic Explorer Ami Vitale. Als Fotografin begleitet sie die Bemühungen von Forschenden für den Tierschutz und Arterhalt seit 2009.

„Wenn es nur eine kleine Hoffnung darauf gibt, dass sich der Genpool des Nördlichen Breitmaulnashorns aufpäppeln lässt – und auch wenn dieser wesentlich kleiner ausfallen wird, als er mal war –, dann ist noch nicht alles verloren“, sagt der Ökologe David Balfour, Vorsitzender der Fachgruppe für afrikanische Nashörner der International Union for the Conservation of Nature (IUCN).

Artenschutz: Ein Wettlauf mit der Zeit

Um das Verschwinden der Tierart zu verhindern, hat BioRescue Eizellen des jüngeren der beiden verbliebenen Weibchen mit Samenzellen eines männlichen Nördlichen Breitmaulnashorns befruchtet. Laut Thomas Hildebrandt, wissenschaftlicher Leiter von BioRescue und Leiter der Abteilung für Reproduktionsmanagement am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin, sind im Laufe dieses Prozesses etwa 30 Embryos entstanden.

Ziel des Teams ist es, das Nördliche Breitmaulnashorn in den Gebieten, in denen es einst heimisch war, wieder auszuwildern. „Das wäre einfach fantastisch, aber es wird noch lange dauern – Jahrzehnte“, sagt Stejskal.

BELIEBT

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    Thomas Hildebrandt und Susanne Holtze vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung, wollen durch künstliche Befruchtung neue Möglichkeiten schaffen, um das Nördliche Breitmaulnashorn und andere bedrohte Tierarten vor dem Aussterben zu retten.

    Foto von Jon Juarez

    Fünf verschiedene Nashornarten gibt es weltweit – und die meisten sind in Schwierigkeiten. In ganz Afrika leben nur noch etwa 23.000 Individuen, davon fast 17.000 Südliche Breitmaulnashörner. Die übrigen rund 6.000 Tiere gehören zu den etwas kleineren Spitzmaulnashörnern, deren drei Unterarten alle vom Aussterben bedroht sind. In Asien leben neben den ebenfalls vom Aussterben bedrohten Java- und Sumatra-Nashörnern auch Panzernashörner, deren Populationen derzeit wachsen. Aktuellen Schätzungen zufolge existieren etwa 2.000 Individuen dieser Spezies.

    BioRescue musste im Laufe des Projekts viele Rückschläge hinnehmen – und obwohl das Team nun über eingefrorene Embryos verfügt, läuft ihm die Zeit davon. Zwar sollen die Nashornbabys von Südlichen Breitmaulnashorn-Leihmüttern ausgetragen werden, Wunsch der Forschenden ist es aber, dass die Kälber von Angehörigen ihrer eigenen Art lernen. Das heißt, sie müssen geboren werden, solange die verbliebenen Weibchen noch leben.

    „Ihr Verhalten ist diesen Tieren nicht genetisch einprogrammiert – sie müssen es lernen“, sagt Balfour, der nicht in das BioRescue-Projekt involviert ist. Dass die Nashornkälber dafür rechtzeitig auf die Welt kommen müssen, sieht er als echte Herausforderung. „Wir balancieren auf einem schmalen Grat dessen, was möglich ist“, sagt er. „Aber einen Versuch ist es wert.“

    Najin, das ältere der beiden Weibchen, wird im Jahr 2024 35 Jahre alt, Fatu, das jüngere, 24. Die beiden Tiere, die im Dvůr Králové Zoo in Tschechien geboren wurden, haben laut Stejskal eine Lebenserwartung von 40 Jahren.

    Wie kommt der Embryo in die Leihmutter?

    Innerhalb der nächsten sechs Monate soll einer der raren Nördlichen Breitmaulnashornembryos einem Südlichen Breitmaulnashornweibchen eingepflanzt werden. Eine geeignete Leihmutter ist bereits gefunden. Um sie vor bakterielle Infektionen zu schützen, wurde sie in ein neues Gehege gebracht, in dem die betreuenden Tierpfleger*innen strenge Vorgaben zur Reinigung ihrer Stiefel befolgen müssen.

    Derweil wartet das Team darauf, dass das Weibchen in die Brunft kommt, also begattungsbereit ist. Erst dann können sie den Embryo einpflanzen. Um herauszufinden, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, kann das Team nicht einfach eine Ultraschalluntersuchung durchführen, wie es in einem Zoo gemacht werden würde. Stattdessen soll ein kastrierter Nashornbulle als Lockvogel eingesetzt werden. Hildebrandt zufolge muss jedoch ein paar Monate abgewartet werden, um sicherzugehen, dass das Männchen tatsächlich über keine Samenzellen mehr verfügt.

    Sobald die beiden Tiere zusammengeführt sind, wird das Team anhand von Paarungsversuchen merken, wann die Zeit für die Einpflanzung des Embryos günstig ist. Der Paarungsakt ist wichtig, weil dadurch eine Kettenreaktion im Körper des Weibchens ausgelöst wird, die die Chancen auf eine erfolgreiche Einnistung des chirurgisch eingepflanzten Embryos erhöhen.

    Dass das Team den Paarungsakt verpasst, ist unwahrscheinlich. Dieser dauert Hildebrandt zufolge bei Breitmaulnashörnern für gewöhnlich 90 Minuten. Während das Männchen das Weibchen besteigt, nutzt es die vorübergehend erhöhte Position, um Pflanzenteile zu fressen, die es andernfalls nicht erreichen könnte.

    In Zusammenarbeit mit Rangern des Kenyan Wildlife Service und des Ol Pejeta-Landschaftsschutzgebiets hat das BioRescue-Team ein weibliches Südliches Breitmaulnashorn namens Arimet eingefangen. Im Laufe des Jahres 2024 soll es als Leihmutter das erste Nördliche Breitmaulnashornkalb austragen, das durch künstliche Befruchtung entstanden ist.

    Foto von Photo by Ami Vitale

    Die genetische Vielfalt erweitern

    Weil nur noch so wenig Breitmaulnashörner existieren, ist der verbliebene Genpool sehr klein. Das BioRescue-Team weist jedoch darauf hin, dass im späten 19. Jahrhundert die Population des Südlichen Breitmaulnashorns aufgrund von starker Bejagung weniger als 100 Tiere umfasst hat – vermutlich waren damals nur um die 20 Individuen übrig. Durch Schutzmaßnahmen der Regierung und intensive Bemühungen des Artenschutzes erholte sich der Bestand wieder und wuchs auf 17.000 Tiere an.

    „Ihre genetische Vielfalt ist ausreichend. Sie werden mit einem breiten Spektrum von Bedingungen fertig“, sagt Balfour. Man wisse zwar nicht konkret, wie viele Südliche Breitmaulnashörner es vor einem Jahrhundert noch gegeben hätte, klar sei aber, dass die Population der Unterart sich von einer extrem geringen zu einer nun gesunden Größe entwickelt habe.

    Zudem hofft das BioRescue-Team, den Genpool des Nördlichen Breitmaulnashorns mithilfe einer unkonventionellen Quelle erweitern zu können: Hautzellen aus konservierten Gewebeproben, die derzeit in Zoos verwahrt werden. Mithilfe von Stammzelltechnologie sollen aus diesen Zellen reproduktive Zellen gewonnen werden.

    Vorbild für diesen Ansatz sind Forschungsarbeiten mit Labormäusen, bei dem Hildebrandt zufolge gesunder Nachwuchs gezeugt wurde. Nashörner seien nicht so gut erforscht wie Mäuse, sodass diese Herangehensweise durchaus eine Herausforderung darstelle. Wenn alles positiv verläuft, sollen die mit der Methode gewonnenen reproduktiven Zellen mit natürlichen Samen- und Eizellen kombiniert werden. Die so entstandenen Embryos werden dann wiederum Südlichen Breitmaulnashorn-Leihmüttern eingepflanzt.

    Nashorn-Rettung: ein internationales Projekt

    Das Projekt zur Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns hat bereits Kosten in Millionenhöhe verursacht. Unterstützt wird es von einer Reihe öffentlicher und privater Spender*innen, darunter das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Weitere Unterstützer sind das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung, der tschechische Dvůr Králové Zoo, der Kenya Wildlife Service, das Ol Pejeta Landschaftsschutzgebiet und Katsuhiko Hayashi, der als Genombiologe die Stammzellforschung an Mäusen an der Universität Osaka, Japan, durchgeführt hat.

    Mithilfe seiner Forschungsergebnisse könnte der Genpool des Nördlichen Breitmaulnashorns laut Stejskal um bis zu zwölf Tiere erweitert werden: Es stünden dann Eizellen von acht Weibchen und Samenzellen von vier Bullen zur Verfügung.

    Kreuzungen zwischen Südlichem und Nördlichem Breitmaulnashorn wären Hildebrandt zufolge ebenfalls eine Möglichkeit, um für mehr Nachwuchs zu sorgen – allerdings wären die daraus hervorgehenden Kälber keine reinrassigen Nördlichen Breitmaulnashörner. Die beiden Unterarten sehen sich zwar sehr ähnlich, weisen aber auch deutliche Unterschiede auf. So hat das Nördliche Breitmaulnashorn haarigere Ohren und seine Füße sind besser an sumpfige Umgebungen angepasst.

    Laut Hildebrandt verfügen die beiden Tierarten auch über unterschiedliche Gene, die sie widerstandsfähig gegen bestimmte Krankheiten machen. Ebenso könne man nicht einschätzen, wie sich die Kreuzung der Unterarten auf das Verhalten der daraus entstehenden Tiere auswirken oder wie sich die Einführung dieser Kreuzungen ökologisch in den Auswilderungsgebieten niederschlagen würde.

    Das Nördliche Breitmaulnashorn „steht kurz vor dem Aussterben und Schuld ist die Gier der Menschen“, sagt Stejskal. „Seine Rettung ist in Reichweite. Wir haben die Pflicht, es zumindest zu versuchen.“

     

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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