Das mag ich nicht! Warum manche Kinder schwierige Esser sind
Krüsch, mäkelig, wählerisch: Viele Eltern verzweifeln daran, ihre Kinder gesund und vielseitig zu ernähren – und geben sich selbst die Schuld, wenn es nicht klappt. Zu Recht? Eine britische Studie gibt Antworten.

Viele Eltern stoßen bei der Ernährung ihres Nachwuchses auf harten Widerstand – und nehmen das als persönliches Versagen wahr. Doch ist die Erziehung wirklich schuld, wenn Kinder Essen verweigern?
Teenager, die mit chirurgischer Präzision kleinste Gemüsefragmente an den Tellerrand schieben. Kleinkinder, die sich ausschließlich von Nudeln ernähren. Kita-Essen, das verweigert wird, weil es die falsche Farbe hat. Eltern kennen diese Situationen – und verzweifeln daran. Denn alle Bemühungen, den Nachwuchs gesund und vielseitig zu ernähren, scheitern, wenn er nicht kooperiert. Und neben der Sorge, dass das Kind unter Nährstoffmangel leidet, treibt viele Mütter und Väter auch die Frage um: Ist das meine Schuld? Habe ich bei der Ernährung meines Kindes versagt?
Nein, lautet die Antwort eines englischen Studienteams, das die Gründe für wählerisches Essverhalten von Kindern untersucht hat. Die Ergebnisse, die in der Zeitschrift Journal of Child Psychology & Psychiatry veröffentlicht wurden, dürften viele Eltern beruhigen. Denn ob das eigene Kind viele verschiedene Dinge isst und Neues gern ausprobiert oder eher krüsch ist, liegt den Forschenden zufolge nicht in den Händen der Betreuungspersonen, sondern in den Genen.
Zwillingsstudie: nature vs. nurture
Um herauszufinden, ob genetische Prägung oder das Umfeld einen größeren Einfluss auf die Akzeptanz verschiedener Nahrungsmittel haben, analysierte das Studienteam Daten aus der Gemini-Studie des University College London (UCL). 2.400 Zwillingspaare verschiedenen Alters haben an ihr teilgenommen – die größte Zwillingskohorte, die jemals für die Erforschung dieses Zusammenhangs zur Verfügung stand.
“Unsere Studie zeigt, dass wählerisches Essen nicht nur eine ‚Phase‘ ist, sondern einem dauerhaften Verlauf folgen kann.”
Die Eltern der teilnehmenden Kinder füllten Fragebögen über deren Essverhalten im Alter von 16 Monaten sowie drei, fünf, sieben und 13 Jahre aus. Interessant war für das Studienteam bei der Auswertung vor allem die Frage, ob die Unterschiede bei zweieiigen Zwillingen, die 50 Prozent ihrer Gene miteinander teilen, größer sind als bei eineiigen Zwillingen, die genetisch identisch sind. Tatsächlich ist dies, wie die Studie zeigt, der Fall.
Den Forschenden zufolge sind bei 16 Monate alten Kindern die Gene für 60 Prozent des wählerischen Essverhaltens verantwortlich. Im Alter von 13 Jahren sind es sogar 74 Prozent oder mehr. „Unsere Studie zeigt, dass wählerisches Essen nicht nur eine ‚Phase‘ ist, sondern einem dauerhaften Verlauf folgen kann“, sagt Hauptautorin Zeynep Nas, Verhaltenswissenschaftlerin am UCL.
Kann man das Essverhalten von Kindern beeinflussen?
Ganz unbedeutend sind äußere Faktoren für das Essverhalten jedoch nicht, wie die Studienautorin Clare Llewellyn, Psychologin am UCL, erklärt. „Genetische Faktoren sind zwar der wichtigste Faktor, aber auch die Umwelt spielt eine Rolle“, sagt sie. Allerdings scheint dies vor allem bei Kleinkindern der Fall zu sein, bei denen das Umfeld zu etwa einem Viertel Einfluss auf individuelle Unterschiede beim Essverhalten hat. Gemeinsame Mahlzeiten mit der Familie und „Maßnahmen, die Kindern helfen, ein breiteres Spektrum an Lebensmitteln zu essen, sind in den ersten Lebensjahren am wirksamsten“, so Llewellyn.
Alle teilnehmenden Kinder waren mit etwa sieben Jahren besonders schwierige Esser. Danach nahm das wählerische Essverhalten in seiner Intensität ab und bei identischen Zwillingspaaren entwickelten sich immer mehr Unterschiede. Das deutet darauf hin, dass das Umfeld, individuelle Erlebnisse und auch der Freundeskreis mit zunehmendem Alter eine immer größere Rolle spielen. Der Studie zufolge beeinflussen solche Faktoren zu etwa einem Viertel, wie wählerisch Kinder im Alter von sieben bis 13 Jahren beim Essen sind.
„Eltern können ihre Kinder während der gesamten Kindheit und bis ins Jugendalter hinein dabei unterstützen, eine große Vielfalt an Lebensmitteln zu essen“, sagt Studienautorin Alison Fildes, Psychologin an der University of Leeds. „Aber wenn Kinder das Teenageralter erreichen, können Gleichaltrige und Freunde einen größeren Einfluss auf die Ernährung haben.“
Kein Ergebnis der Erziehung
Eltern und Betreuungspersonen gäben sich oft selbst die Schuld am schwierigen Essverhalten von Kindern und würden manchmal sogar von anderen dafür verantwortlich gemacht, so Zeynep Nas. „Wir hoffen, dass unsere Erkenntnis, dass wählerisches Essen weitgehend angeboren ist, dazu beitragen kann, elterliche Schuldzuweisungen zu entkräften: Dieses Verhalten ist nicht das Ergebnis der Erziehung.“
Die Kinder, die für die Studie begleitet wurden, stammen vorwiegend aus weißen Haushalten, deren sozioökonomischer Hintergrund im Vergleich zum Durchschnitt der britischen Bevölkerung höher liegt. Dies ist ein Schwachpunkt der Arbeit, den die Studienautorinnen anerkennen. Sie möchten darum in ihrer weiterführenden Forschung nicht-westliche Bevölkerungsgruppen in den Fokus rücken, deren Ernährungskultur und -gewohnheiten möglicherweise ganz andere sind.
