Depression ist nicht gleich Depression: Diese 6 Unterarten gibt es

Von ängstlich bis impulsiv: Depressionen unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. 6 verschiedene Biotypen sollen in Zukunft eine gezieltere und personalisierte Behandlung ermöglichen.

Bisher werden Depressionen nach dem Trial-and-Error-Verfahren behandelt. Das könnte sich bald ändern.

Foto von Annie Spratt / Unsplash
Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 2. Okt. 2024, 15:30 MESZ

Depressive Störungen gehören zu den geläufigsten psychischen Erkrankungen. In Deutschland sind rund 5,3 Millionen Erwachsene zwischen 18 und 79 Jahren im Laufe eines Jahres von der Volkskrankheit betroffen – Tendenz steigend. Auch die Zahl der Kinder und Jugendlichen, denen Depressionen diagnostiziert werden, steigt: Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, waren Depressionen im Jahr 2021 die häufigste Ursache für Klinikaufenthalte bei Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 17 Jahren. 

Obwohl die Krankheit mittlerweile so häufig ist, äußert sie sich nicht bei allen Menschen gleich: Während Frauen in ihren Symptomen beispielsweise häufiger zu Traurigkeit neigen, sind Männer eher schlaflos und gereizt. Und auch in den Gehirnen der Betroffenen passieren offenbar unterschiedliche Dinge. Forschende haben herausgefunden, dass es sechs Unterarten von Depressionen gibt, die jeweils ein anderes Aktivitätsmuster im Gehirn aufweisen – und dementsprechend auf unterschiedliche Behandlungsmethoden ansprechen. 

Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass mehr als 4,4 Prozent der Weltbevölkerung von Depressionen betroffen sind. 

Hirnscans machen Biotypen sichtbar

Die sogenannten Biotypen ermittelten die Forschenden erst im Juni 2024 im Rahmen einer Studie mithilfe von Hirnscans und 801 Proband*innen, die an einer Depression oder einer Angststörung litten, sowie 137 gesunden Menschen. Sie ließen die Studienteilnehmer*innen geistig und emotional fordernde Aufgaben lösen und beobachteten dabei ihre Gehirnaktivität. 

Beim Auswerten der Scans kristallisierten sich dann die sechs Subtypen heraus. Diese unterscheiden sich durch den Grad der Aktivität bestimmter Nervenbahnen im Ruhezustand oder bei der Reaktion auf bestimmte Reize.

6 Unterarten der Depression

Biotyp DC+SC+AC+ 
Dieser Typ zeichnet sich durch eine Überaktivität in mehreren neuronalen Schaltkreisen aus, die bei der Aufmerksamkeits- und Informationsverarbeitung sowie der Problemlösung eine Rolle spielen. Patient*innen vom Biotyp DC+SC+AC+ leiden im Vergleich zu den anderen Gruppen stärker unter Konzentrationsschwächen und Impulsivität. Um die Depressionssymptome zu lindern, hilft diesen Personen am ehesten eine Verhaltenstherapie.

BELIEBT

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    Abbildung von 6 Gehirnen mit unterschiedlichen aktiven Bereichen.

    Die verschiedenen Hirn-Schemata zeigen die aktiven oder inaktiven Bereiche der jeweiligen Depressionstypen. 

    Foto von Leonardo Tozzi et al.

    Biotyp AC-
    Im Gegensatz zu DC+SC+AC weist der Biotyp AC- eine deutlich geringere Aktivität in einem der Aufmerksamkeitsschaltkreise auf. Personen vom Biotyp AC- erhalten am häufigsten von allen Biotypen die Diagnose einer schweren Depression. Bei diesen Personen ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sich ihre Symptome nicht allein durch eine Verhaltenstherapie bessern. Die Forschenden vermuten, dass es bei dieser Depressionsform von Vorteil ist, zuerst eine medikamentöse Behandlung zu starten, die die Hirnaktivität in den auf Aufmerksamkeit und Engagement ausgerichteten Regionen aktiviert, damit diese Patient*innen im Anschluss doch noch von einer Gesprächstherapie profitieren können. 

    Biotyp NSA+PA+
    Dieser Depressionsbiotyp leidet unter einer erhöhten Aktivität während der bewussten Emotionsverarbeitung. NSA+PA+-Patient*innen weisen dadurch eine weitaus stärkere Anhedonie auf als die anderen Gruppen. Das bedeutet, dass sie weniger Interesse, Freude oder Vergnügen verspüren. Außerdem neigt der Biotyp mehr zum Grübeln.

    Biotyp CA+
    Am häufigsten sind Depressionspatient*innen laut der Studie vom Biotyp CA+ betroffen: Ihre Hirnaktivität zeichnet sich durch eine erhöhte Aktivität im kognitiven Kontrollkreislauf aus, der für Planung und Vorbereitung zuständig ist. Darum sind Personen vom Biotyp CA+ ängstlicher als die anderen Patient*innen. Dazu empfinden sie – ähnlich wie der Biotyp NSA+PA+ – weniger Freude. Patient*innen mit diesem Subtyp sprachen im Gegensatz zu allen anderen Biotypen am besten auf das Antidepressivum Venlafaxin an. 

    Biotyp NTCC-CA-
    Biotyp NTCC-CA- hat unter anderem Schwierigkeiten bei der Verarbeitung von bedrohlichen Gesichtern und neigt am häufigsten zu sozialen Ängsten. Dafür grübeln Patient*innen dieses Biotyps am wenigsten. 

    Biotyp DXSXAXNXPXCX
    Dieser Biotyp ist vermutlich der spannendste. Betroffene haben keine auffälligen, auf Depressionen hinweisenden Hirnaktivitäten. Sie unterscheiden sich damit nicht wesentlich von gesunden Personen. Laut den Forschenden zeigt dieser Fall, dass offensichtlich noch nicht alle neuronalen Verbindungen, die mit der Entstehung von Depressionen zusammenhängen, bekannt sind. 

    Die in den meisten Fällen illegale Substanz Psilocybin wird von immer mehr Menschen in winzigen Mengen ...

    Die Zukunft der Depressionsdiagnostik

    Die Forschungsergebnisse könnten helfen, in Zukunft schneller personalisierte Behandlungsmethoden für Betroffene auszuwählen. Bislang werden Depressionen im Trial-und-Error-Verfahren behandelt – vor allem, wenn es um das Verschreiben von Antidepressiva geht. Dadurch kann es Monate bis Jahre dauern, bis für eine erkrankte Person das passende Medikament oder die richtige Therapieform gefunden wird – wenn es überhaupt dazu kommt. Etwa 30 Prozent der Betroffenen leiden an therapieresistenten Depressionen, was bedeutet, dass verschiedene Arten von Medikamenten oder Therapien ihre Symptome nicht verbessern. 

    Um das in Zukunft möglicherweise ändern zu können, erweitern die Forschenden nun ihre Studie und testen neben mehr Arten von Behandlungsmethoden auch Medikamente, die bisher nicht traditionell für Depressionen eingesetzt werden. 

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